Pressestimmen

EU-Kommissionschef Barroso bestätigt "Das ist schlecht für Europa"

Das Europaparlament hat nach wochenlangem Tauziehen mit einer breiten Mehrheit einer zweiten Amtszeit von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zugestimmt. Die Euphorie über die Wiederwahl des 53-jährigen rechtsliberalen Portugiesen hält sich bei der Presse jedoch in Grenzen.

Noch im Juli war Barrosos Wiederwahl am Widerstand des Parlaments gescheitert.

Noch im Juli war Barrosos Wiederwahl am Widerstand des Parlaments gescheitert.

(Foto: REUTERS)

Dass Barroso den Posten letztendlich bekommen würde, stand für das Coburger Tageblatt von Anfang an fest. "Brüssel produzierte (…) viel Lärm um Nichts", heißt es hier. Denn: "Eine wahre Streitkultur - einen Wahlkampf - zwischen zwei Kandidaten gab es nicht. Wer will da noch anzweifeln, dass die EU den Kommissionschef bekommen hat, den sie verdient?"

"Kein Kommissionspräsident vor ihm hat vorab ein derart umfangreiches Arbeitsprogramm vorgelegt und sich gegenüber den Fraktionen zu so weitgehenden Zugeständnissen verleiten lassen", konstatiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Die Stimmen der anfangs skeptischen Liberalen konnte er auf diese Weise 'kaufen'; die Sozialdemokraten verständigten sich am Ende auf eine Enthaltung, obwohl deren Vorsitzender Schulz mit sozialpolitischen Forderungen die Backen aufgeblasen und Barroso auch ihnen manches versprochen hatte; und die Grünen blieben trotz des versprochenen 'Klima-Kommissars' bei ihrer Ablehnung. Mit diesem Gemischtwarenangebot hat der alte und neue Kommissionspräsident letztlich aber seinen Ruf bestätigt, er habe keine eigene Linie, wechsele die Farben 'wie ein Chamäleon' und rede allen insbesondere den Führungen der großen Mitgliedstaaten nach dem Mund."

Eher despektierlich betrachtet auch die Märkische Oderzeitung aus Frankfurt/Oder die Wiederwahl zum EU-Kommissionspräsidenten: "Dass der farblose Portugiese Barroso dennoch das Parlament in Straßburg passierte und damit für eine zweite Amtszeit Präsident der EU-Kommission bleibt, hat mit den wirklichen Machtverhältnissen innerhalb der Union zu tun. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer setzten Barroso durch, weil sie keinen starken Mann an der Spitze der Exekutive wollten."

Auch die Rhein-Zeitung kann der zweiten Amtszeit Barrosos nicht viel abgewinnen: "Das sagt viel über Barroso und die EU. Nicht der Beste, sondern der Bequemste sitzt an der Schaltstelle Brüsseler Macht", schreibt das Koblenzer/Mainzer Blatt. "Dies müsste und könnte anders ein. In Wahrheit wollen EU-Chefs und Abgeordnete aber keinen Querdenker an der Kommissions-Spitze. Sie suchen jemanden, der weltgewandt repräsentiert, mit Rücksicht auf nationale Interessen agiert und ihren eigenen Handlungsspielraum nicht limitiert", formuliert die Tageszeitung weiter. Und diese Voraussetzungen erfülle "der polyglotte Portugiese". Derweil mahnt das Blatt: "Sein Aktionsradius dürfte sich weiter verengen, wenn der Reform-Vertrag in Kraft tritt. Denn dann trumpfen die Mitgliedsstaaten mit dem neuen EU-Präsidenten auf. Das Europaparlament baut seine Gesetzgebungsmacht aus. Der Kommissionschef droht weiter in die Defensive zu geraten, mehr zu folgen statt zu führen. Dabei sollte er doch qua Amt Motor der Integration sein. Das ist schlecht für Europa."

Ähnlich artikuliert auch der Mannheimer Morgen: "Barroso ist politisch nur ein Leichtgewicht. Die EU-Kommission wird in den nächsten fünf Jahren unter seiner Leitung noch weniger Bedeutung haben. Barroso hat seine Wiederwahl den 27 Staats- und Regierungschefs zu verdanken, das weiß er und wird sich dementsprechend verhalten". Einen eigenständigen, selbstbewussten Kurs dürfe man deshalb nicht von ihm erwarten: "Wer glaubt, dass er bei der Auswahl der Kommissare einen großen Spielraum haben wird, liegt falsch. Die Kommission fällt folglich als Reformmotor aus."

Die Stuttgarter Zeitung hingegen springt für den wiedergewählten EU-Kommissionspräsidenten in die Bresche: "Bis zuletzt haben Sozialdemokraten und Grüne versucht, die Wiederwahl Barrosos zu verhindern. Sie warfen ihm Schwäche und Zaghaftigkeit vor. Zahm am Gängelband der großen EU-Staaten habe er sich viel zu oft dem Willen der Regierungen unterworfen. Dabei haben die Kritiker ausgeblendet, dass es Barroso nicht mehr wie einst der von allen bewunderte Jacques Delors mit zwölf EU-Regierungen zu tun hat, sondern mit 27 sehr unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten. Sie ignorieren, dass der Kommissionspräsident gar nicht die Macht hat, um den Regierungen in die Parade zu fahren und die europäischen Richtungsentscheidungen zu treffen."

Zusammengestellt von Susanne Niedorf

Quelle: ntv.de

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