Pressestimmen

Roth in der Lautstärke reduziert "Die festpappende Klebe-Claudia"

Claudia Roth will Grünen-Chefin bleiben, auch wenn ihre Partei sie nicht zur Spitzenkandidatin kürte. Roths Lehre aus dem Urwahl-Debakel: "Direkte Demokratie, das kann auch mal schief gehen." Dabei müssten die Grünen Roth dankbar sein, dass sie nicht beleidigt von Bord gegangen ist. Ein Blick in die deutschen Tageszeitungen

Halb wurde sie geschoben, halb sank sie hin: Claudia Roth.

Halb wurde sie geschoben, halb sank sie hin: Claudia Roth.

(Foto: dapd)

Der Münchner Merkur gibt den Grünen zu bedenken, dass sie fast jemanden losgeworden wären, den die Partei bitter nötig hätte. Die Zeitung schreibt: "Claudia Roth hat das Erscheinungsbild der Grünen dominiert wie kaum ein anderer Spitzenpolitiker, Joschka Fischer einmal ausgenommen, und zwar durch ihre unverwechselbare Art. Betroffenheit ist ihr Markenzeichen, aber es wäre billig, ihre Persönlichkeit auf die tränenfeuchte Nervensäge zu reduzieren, die politische Gegner gerne in ihr sehen. Sie wirkt bei aller Exaltiertheit stets authentisch, und von dieser Glaubhaftigkeit hat die Partei gewaltig profitiert. Ob die freundlich-sachliche Katrin Göring-Eckart und der zwischen Blasiertheit, Ironie und staatsmännischer Attitüde changierende Jürgen Trittin wirklich jene Wählermagnete sind, für die sie jetzt viele halten, muss sich noch zeigen."

"Claudia Roth will Parteichefin der Grünen bleiben - warum auch nicht?" fragt das Badische Tagblatt. "Dass sie bei der Urwahl der Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl ein kärgliches Resultat erzielt hat, entzieht ihr nicht die Legitimation dazu. (...) Roth wird dafür sorgen, dass der frisch entfachte Hype um Schwarz-Grün verfliegt. Sie wird es beim schüchternen Flirt bewenden lassen, wird laut darauf hinweisen, dass das Wahlziel Rot-Grün heißt, nicht Schwarz-Grün. Dass sie es tut, ist wichtig für die Grünen, denn Avancen an die Union sind einem Großteil ihrer Klientel immer noch zuwider. Wofür es triftige programmatische Gründe gibt."

Das Ergebnis der Urwahl wird zur Kenntnis genommen.

Das Ergebnis der Urwahl wird zur Kenntnis genommen.

(Foto: dapd)

Die "Bild"-Zeitung sieht das ganz anders: "Claudia Roth ist das Maskottchen der Grünen. Schön schrill. Schön bunt. Und immer mit Gefühl. Doch damit ist kein Staat zu machen. Das hat die grüne Basis ihr bescheinigt. Sie landete weit abgeschlagen bei der Spitzenkandidatenkür. Peinlich ist, dass die Funktionäre sie nun mit Treueschwüren hätscheln, damit sie wieder für den Grünen-Vorsitz antritt. Von der Basis abgewatscht. Von den Funktionären hochgelobt. Was ist das für ein absurdes Theater! Einst galt der grüne Glaubenssatz: Die da unten sagen, wo es langgeht. Das hat der Partei viel Sympathie gebracht. Die wird nun aber verspielt, wenn die da oben auf die Stimmung an der Basis pfeifen. Jetzt kann nur die lädierte Kandidatin sagen: Schön, dass ihr mich alle lieb habt. Danke für die Zuckerwatte! Doch ich mache Schluss! So ein klares Wort hilft den Grünen mehr als eine an ihrem Stuhl festpappende Klebe-Claudia!"

Etwas freundlicher gehen die Westfälischen Nachrichten mit Roth um: "In ihrer Lautstärke gewiss reduziert, dennoch aber deutlich vernehmbar wird Claudia Roth als Vorzeige-Linke das Grünen-Quartett komplettieren: Auch wenn die Basis sie deutlich abgestraft hat - die farb- und wortgewaltige Bayerin gilt als das personifizierte Tafelsilber der Grünen-Bewegung und wird, auch im Sinne eines Wiedergutmachungs-getriebenen Trostpflaster-Votums, auf dem Parteitag am Wochenende ein Bomben-Wiederwahl-Ergebnis einfahren."

Die Neue Presse gibt zu bedenken, dass Roth schon einmal ganz unter war und dass sich ihr Politikstil schön längst überholt hat. "Acht Stimmen fehlten vor zehn Jahren in Hannover. 2002 kämpfte Claudia Roth schon einmal an der Leine um den Parteivorsitz, doch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Es ging um die Trennung von Amt und Mandat - ein Prinzip, das die Spitzenfunktionäre der Partei daran hindern sollte, all zu viel Macht anzuhäufen. Roth und ihr damaliger Co-Chef Fritz Kuhn scheiterten mit dem Bemühen, die Trennung zu kippen und verloren ihr Amt. Erst ein halbes Jahr später fiel das Dogma und Roth kehrte zurück. Roth lacht und weint, sie krawallt oft mehr, als dass sie argumentiert, und das kommt nicht immer gut an. Seit der Niederlage bei der Urwahl um die Spitzenkandidatur weiß Roth, dass ihr Stil nicht mehr zeitgemäß ist. Dass sie dennoch Parteichefin bleiben will, ist mutig. Aber sie wird sich weiterentwickeln müssen."

Kretschmann hält Roth für "unverzichtbar".

Kretschmann hält Roth für "unverzichtbar".

(Foto: dapd)

Die Rhein-Zeitung hat erkannt, dass der Dogmenwechsel zunächst die Basis und erst dann die Spitze der Grünen erreichen wird. Sie schreibt: "Kretschmanns Erfolg und jüngst auch der Wahlsieg von Fritz Kuhn in Stuttgart haben gezeigt, dass die Grünen neue Wählerschichten ansprechen - und mit diesen auch Wahlen gewinnen können. Das kann nicht länger ignorieren, wer im nächsten Jahr im Bund mitregieren will. Auch wenn Claudia Roth am Wochenende in Hannover noch einmal mit einem guten Ergebnis zur Parteichefin gewählt werden sollte: Ein Generationen-, wenn nicht gar ein Richtungswechsel an der Grünenspitze ist eingeleitet. An der Basis ist er bereits Realität."

Die Berliner Morgenpost weist noch einmal auf die Tücken der Urwahl hin: "Man wäre gern Mäuschen gewesen bei den therapeutisch-einfühlsamen Gesprächen, die die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt mit Roth geführt haben: ach, erst die bitteren Tränen, dann Treueschwüre, Empathiewellen, Durchhalteparolen - so lange, bis auch Claudia Roth sich wieder für unentbehrlich hielt und eine Pressekonferenz drehte von Begräbnisfeier zur Wiederauferstehungsandacht. Die tückischen Liebesadressen der Parteispitze dürften nicht ganz frei von Egoismen gewesen sein. Eine weitere entfesselte Abstimmung über Roths Nachfolge hätte die herrschenden Kontrollfreaks schwerst verunsichert. Die schlichte Rechnung der Granden: Lieber eine berechenbare Roth als noch so eine Urwahl, die stählerne Machtbalance der früheren Rotationspartei wanken lässt."

Zum Abschluss die Märkische Oderzeitung, die sich zu schwarz-grünen Optionen äußert: "Ole von Beust spricht von einer Verweigerung der gesellschaftlichen Realitäten, die insbesondere in Großstädten die Union reihenweise Wahlen verlieren lässt (...) Beust und andere, die allerdings alle nicht in der ersten Reihe stehen, fordern, dass die Union sich öffnet. Sie haben, was etwa die Grünen Winfried Kretschmann oder Katrin Göring-Eckardt betrifft, keine Berührungsängste. Da wären Schnittmengen denkbar, dass am Ende nicht mehr recht klar ist, ob es sich um schwarze Grüne oder grüne Schwarze handelt. Soweit aber ist es, bei aller Gedankenspielerei, noch nicht - auf beiden Seiten nicht. Es würde sie nach gegenwärtigem Stand beide überfordern, ja zerreißen, wenn sie auf Bundesebene Schwarz-Grün konkret ins Auge fassen würden."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Peter Richter

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