Pressestimmen

Präsidentenwahl in Afghanistan Ein "Schein von Legitimität"

Millionen Wahlberechtigte haben in Afghanistan ihre Stimme abgegeben. Begleitet wurde die Präsidentenwahl von blutigen Anschlägen. Dass die Menschen sich davon nicht haben einschüchtern lassen, ist nur vordergründig Anlass zu Optimismus, so das Resümee der Zeitungen.

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen waren 17 Millionen Afghanen zur Stimmabgabe aufgerufen.

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen waren 17 Millionen Afghanen zur Stimmabgabe aufgerufen.

(Foto: REUTERS)

"Wie in einem Brennglas" sieht die Lüneburger Landeszeitung alles das, was in Afghanistan schief gelaufen ist, in dieser Präsidentschaftswahl gebündelt: "Stimmenkauf in großem Stil ist normal in einem Land, über das sich Korruption wie Mehltau gelegt hat. Favorit Karsai verkörpert all die geplatzten Hoffnungen der Vergangenheit. Der Terror der Taliban zeigt, dass ein neues 9/11 nicht ausgeschlossen ist." Das Blatt lenkt den Blick aber auch auf einen großen Fortschritt, "der den Afghanistan-Einsatz rechtfertigt und sogar adelt: Der Mut der Afghanen, die der mörderischen Wut der Taliban trotzen und ihre Stimme abgeben. Die mitbestimmen wollen über ihre Zukunft, obwohl oder gerade weil dies nur unter Lebensgefahr geht. Der Mut der Afghanen verpflichtet den Westen, nicht vorzeitig abzuziehen. Er verpflichtet auch dazu, das Wahlergebnis unter die Lupe zu nehmen, um nicht als Schutzmacht eines Betrügers Renommee zu verspielen."

Die Wahl wurde sowohl von den Besatzungsmächten als auch von den Taliban zur "Machtprobe" erklärt. Und die US-geführte Militärkoalition unternahm den Versuch "eine Normalität zu inszenieren, die es tatsächlich nicht gibt." Und gleichzeitig soll die Wahl der andauernden Besatzung "einen Schein von Legitimität verleihen, um die wachsende Kritik an der Heimatfront zum Schweigen zu bringen", schreibt die Westdeutsche Zeitung. "Für die Aufständischen, die kriminellen Warlords und Drogenbarone ist es die Gelegenheit, sich als die eigentlichen Herren am Hindukusch zu inszenieren. Dem Volk bleibt dabei nur eine all zu oft blutige Statistenrolle." Für das Blatt aus Düsseldorf steht damit fest: "An den tatsächlichen Machtverhältnissen ändert der Urnengang wenig, wie positiv oder kritisch man die Wahl selbst auch sehen will."

"Die Islamisten setzten alles daran, die Entfaltung von Volkssouveränität in einem Meer von Gewalt versinken zu lassen. Gemessen an dieser Entschlossenheit zur Destruktion liegt schon darin ein kleiner Erfolg, dass der Wahlgang nicht komplett verhindert worden ist. Aber sieben Jahre Antiterrorkrieg und Aufbauhilfe mit der Absicht, am Hindukusch eine Art Zivilgesellschaft möglich zu machen, haben dieses Ziel nicht annähernd erreicht." Trotzdem sind die von Verteidigungsminister Jung angekündigten weiteren zehn Jahre militärische Präsenz in Afghanistan in den Augen der Rhein-Neckar-Zeitung "grotesk … Die Ertüchtigung des Landes muss schneller gehen. Denn das deutsche Mandat ist nicht bis 2019 mehrheitsfähig."

Die Süddeutsche Zeitung hält alleine die Nennung eines Zeitrahmens für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan eine Aktion "zwischen Naivität und Wählertäuschung", denn "niemand kann realistischerweise einschätzen, wann die Verhältnisse in Afghanistan so stabil sein werden, dass die Nato und ihre Verbündeten mit gutem Gewissen abziehen können. Das muss ja wohl die Voraussetzung dafür sein, dass man das Land sich selbst überlässt. Natürlich könnte die Allianz jederzeit ihren Rückzug beschließen, aber das wäre dann das Eingeständnis der Niederlage. Die Konsequenzen müsste die leidgeprüfte Bevölkerung tragen, der man doch mit dem Einsatz helfen will. Und um die eigene Sicherheit, die es angeblich am Hindukusch zu verteidigen gilt, wäre es auch nicht besser bestellt. Wer heute mit Fristen jongliert, der setzt sich selbst unter Zugzwang und geht damit den Taliban in die Falle."

Zusammengestellt von Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

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