Abstimmung über Palästina "Eine Seite muss verzichten"
29.11.2012, 19:18 Uhr
Eine Mehrheit der Vereinten Nationen wird für eine Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat stimmen.
(Foto: picture alliance / dpa)
In der Nacht zum Freitag entscheidet die UN-Vollversammlung über den künftigen Status Palästinas in der internationalen Organisation. Eine deutliche Mehrheit der UN-Mitglieder wird für eine Aufwertung der Palästinenser stimmen, Deutschland enthält sich. In der Presse hagelt es Kritik für die Spaltung innerhalb der EU.
Die Stuttgarter Zeitung moniert, dass die Europäische Union in Bezug auf den Nahen Osten gespalten ist. "Der Einfluss Deutschlands in der Region ist nicht gering, aber etwas bewegen kann die deutsche Diplomatie im Alleingang nicht", schreibt die Zeitung. Nur ein geeintes Europa könne Fortschritte erzwingen. "Eine gemeinsame europäische Linie tut not, weil die USA erkennbar das Interesse an der Region verlieren und sowohl Nordafrika als auch den Nahen Osten zunehmend als Vorhof Europas betrachten, auf dem die Europäer künftig gefälligst selbst nach dem Rechten sehen sollen. Washingtons Blick ist dem Pazifikraum zugewandt."
Dahingegen sieht die Frankfurter Rundschau in der deutschen Position ein Symbol außenpolitischer Linientreue. "Dass Israel sich vehement gegen die Aufwertung Palästinas wehrt, ist nicht schön, aber auch nicht entscheidend. Auf das Einverständnis Serbiens hat Berlin auch nicht gewartet, als es 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Falle Palästinas anders entschieden. Und selbst wenn diese Entscheidung falsch ist, stellt sie etwas dar, was in Merkels zweiter Amtszeit sonst kaum zu sehen ist: Echte Außenpolitik. Eine Politik, die nicht dem persönlichen Belieben, der Tagesaktualität oder den heimischen Umfrageergebnissen geschuldet ist, sondern ein strategisches Interesse definiert."
Auch die Saarbrücker Zeitung hält die deutsche, ebenso wie die US-amerikanische, Haltung in der Palästina-Frage für korrekt. Der palästinensischen Autonomiebehörde wirft die Zeitung vor, nicht vorzuhaben, mit dem israelischen Nachbarn in Frieden zu leben. "Die angestrebte Statusaufwertung der Palästinenser dürfte als weitere verpasste Chance in die Geschichte des Nahost-Friedensprozesses eingehen. Unter anderem wegen den USA und Deutschland. Aber: Beide Staaten gehen mit dem Nein Washingtons und der Enthaltung Berlins den richtigen Weg. Denn den Palästinensern fehlt formal alles, was überhaupt einen Staat ausmacht: Es gibt zwei faktisch autonome - von Hamas und Fatah beherrschte - Gebiete, eine funktionierende Einheitsregierung existiert ebenso wenig wie eine klare Grenzziehung oder die Absicht, mit dem Nachbarn Israel in Frieden zu leben."
Dieser Einschätzung widerspricht der Berliner Tagesspiegel, der in der deutschen Enthaltung eine Schwäche des Auswärtigen Amtes sieht. "Deutsche Außenpolitik - gibt es noch eine Politik, die diese Bezeichnung verdient? Vorbei, ein dummes Wort, sagt Goethe, aber was nach Rot-Grün und Schwarz-Rot geschehen ist, lässt viele sich mit Grausen wenden, nicht zuletzt im Außenamt selbst. So eine Abwertung dieses Amts nach innen wie nach außen wird bald nicht mehr einfach zu beheben sein. Heute muss niemand mehr in einer wichtigen Frage das Außenamt, genauer: den Außenminister, fragen. Seine Haltung ist, wenn es darauf ankommt, zu gern eine Enthaltung. Das aber ist keine Haltung. Unentschiedenheit als Cleverness auszugeben, kann vielmehr ein Zeichen von Werteverlust sein."
Die Wetzlarer Neue Zeitung sieht auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung vor allem Israel in der Pflicht. In einer Situation, in der alle Akteure aus ihrer jeweiligen Sicht recht haben, müsse eine Partei einlenken. Dem Blatt zufolge müsste dies Israel sein: "Die 'Roadmap' steht zwar - die Richtung ist vorgegeben. Dennoch stockt alles. Daher gibt es nur eine Lösung: Eine Seite muss freiwillig auf die Vorfahrt verzichten. Jetzt bot sich für Israel die Möglichkeit: Mit viel Souveränität und Zähneknirschen hätte man den Palästinensern den - letztlich symbolischen - Erfolg gönnen können, von der UNO anerkannt zu werden."
Auch die Mittelbayerische Zeitung (Regensburg) sieht die deutsche Enthaltung skeptisch. Sie diene weniger der Sicherheit Israels als der Stärkung von Hardlinern wie Premier Benjamin Netanjahu. "Die Nahost-Frage stürzt die Bundesregierung in einen schweren Interessenskonflikt: Es gilt, die Loyalität zu den europäischen Partnern abzuwägen gegen die Solidarität zu Israel, zu der sich Kanzlerin Angela Merkel richtigerweise immer wieder verpflichtet hat. Doch ob die deutsche Enthaltung in der Palästinenserfrage tatsächlich der Sicherheit Israels dient, erscheint sehr fraglich. Selbst in Jerusalem gibt es namhafte Politiker wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert, der den Antrag der Palästinenser öffentlich unterstützte. Vor diesem Hintergrund wirken deutsche 'Solidaritätsbekundungen' wie die gestrige Enthaltung in New York reflexhaft. Letztlich erreicht die Bundesregierung damit vor allem eines: Die Stärkung der Hardliner um Premier Benjamin Netanjahu."
Das Düsseldorfer Handelsblatt gibt der Bundesregierung in ihrer Enthaltung recht. "Die Aufwertung der Palästinenser zum 'Beobachterstaat' wird den Konflikt allerdings nicht aus der Welt schaffen. Sie wird vielmehr zu einer Verhärtung der Positionen führen. Von der Resolution erhofft sich die Mehrheit der Weltgemeinschaft Fortschritte im Friedensprozess, der zu einer Zweistaatenlösung führen soll. Die Vorstellung, wonach zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss zwei Staaten nebeneinander existieren können, ist freilich überholt. Frische Ideen sind nötig. Die Annahme der Resolution blockiert die Suche nach einer neuen Nahostpolitik."
Anders als Deutschland stimmt die Schweiz der Anerkennung Palästinas als ein "Nicht-Mitglied" mit Beobachterstatus zu. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hält diese Entscheidung für richtig: "Die Schweiz wird in der Uno in der Nacht auf Freitag zusammen mit einer dreistelligen Zahl von Ländern Palästina den Status eines 'Beobachterstaats' zuerkennen. Dieser Schritt ist folgerichtig, setzt sich doch die Schweiz seit langem für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Die Welt hat zu lange darauf gewartet, dass sich Israeli und Palästinenser ohne äußeres Zutun an einen Tisch setzen und aufhören, mit Bulldozern und Raketen Fakten zu schaffen. Nebst der völkerrechtlichen Aufwertung Palästinas bringt der Status-Entscheid auch praktische Verbesserungen für die Palästinenser, etwa den Zugang zu Uno-Unterorganisationen oder zum Internationalen Strafgerichtshof."
Quelle: ntv.de