Chodorkowskis Haft und Putins Abrechnung "Eine autoritäre Kleptokratie"
30.12.2010, 19:58 UhrDie Kritik ist unverhohlen. Nach der Verkündung des Strafmaßes für den ehemaligen russischen Oligarchen Michail Chodorkowski sieht die Presse Russland noch fern von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit. Das Gericht habe vielmehr seine Härte bis zur Neige ausgekostet, das Urteil sei eine Abrechnung von Premier Wladimir Putin mit einem Intimfeind, so die Meinung der Beobachter.
"Präsident Dmitrij Medwedjew hat die Erwartungen, die in ihn - vielleicht zu Unrecht - gesetzt wurden, nicht erfüllt", schreibt die "Süddeutsche Zeitung". "Er, der Jurist, galt als Grund dafür, dass das Verfahren fairer verlief als das erste, dass das Urteil bis zum Schluss als offen galt. Ob er ein milderes Strafmaß nicht durchsetzen konnte oder wollte, ändert nichts daran, dass er nun wie der Komplize eines fremden Racheaktes wirkt. Denn vor allem wirkt die Gerichtsentscheidung, die niemand in Russland für unabhängig hält, wie die Abrechnung von Premier Wladimir Putin mit einem Intimfeind."
Die "Welt" hält das Gericht nicht für unabhängig. "Richter Viktor Danilkin ist den vorgezeichneten Weg bis ans Ende gegangen. Im Prozess gegen den ehemaligen Ölunternehmer Michail Chodorkowski und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew folgte er aufs Haar dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die sechs Jahre Haft für die beiden beantragt hatte. Mit einer Gesamtstrafe von 14 Jahren, in die die bisher verbüßte Zeit eingerechnet wurde, werden die Verurteilten nicht vor dem Jahr 2017 freikommen. Einer sehr direkten, öffentlich im Fernsehen verkündeten Anweisung von Ministerpräsident Wladimir Putin folgend, hat das Bezirksgericht seine Möglichkeiten und seine Härte bis zur Neige ausgekostet."
Mit der Rolle der Justiz befasst sich auch die "Berliner Zeitung". "Der Prozess zeigte, wie die russische Justiz funktioniert. Die Obrigkeit entscheidet, wer ein Dieb ist. Einen moralischen Sieg zu erlangen, ist auch heute noch das Einzige, worauf der Bürger im Konflikt mit der Staatsgewalt in Russland hoffen kann, was er der Willkür entgegenzusetzen vermag. Chodorkowski aber als moralisches Vorbild im Bewusstsein der Russen zu verankern, wird schwer sein. Bei allem Mitgefühl für jene, die den Repressalien der Justizorgane unterlagen, bleibt der ehemalige Oligarch für viele Russen doch ein Betrüger, der unendlich reich war, als viele kaum etwas hatten."
Mit der Rolle Putins befasst sich auch die französische Zeitung "Le Monde". Indem er Chodorkowski erneut verurteilen ließ, habe Putin sich letztendlich selbst verurteilt. "Seine Verbissenheit zeugt von seiner Fieberhaftigkeit. Seine Anprangerung zeigt der ganzen Welt seine Entschlossenheit, den Rechtsstaat zu ohrfeigen, ebenso wie die persönlichen und politischen Freiheiten", schreibt das Pariser Blatt. "Ein neues liberales Russland, das Recht und Gesetzmäßigkeit achtet, gegen die Korruption kämpft, mit dem Wunsch, sich zu entwickeln und deshalb ausländische Investoren aufzunehmen, bleibt ein frommer Wunsch und eine illusorische Hoffnung. Solange Chodorkowski im Gefängnis sitzt, bleibt Russland das, was es ist: eine autoritäre 'Kleptokratie', abgeriegelt von Putin und seinen 'Freunden' vom KGB, von einer noch engeren Oligarchie kontrolliert als früher."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Gudula Hörr