Erhöhung der Krankenkassenbeiträge "Eine politische Not-OP"
02.07.2010, 21:37 Uhr
(Foto: dpa)
Für die geplante Erhöhung der Beiträge zu den gesetzlichen Krankenkassen erntet die Koalition einhellige Kritik. Die Regierung lasse die Versicherten die Zeche zahlen, statt wie versprochen die Finanzierung langfristig auf andere Beine zu stellen. Damit wähle Kanzlerin Merkel wieder den bequemen Weg.
Die Mitteldeutsche Zeitung hält mit ihrer Enttäuschung nicht hinterm Berg. "Gemessen an den selbst gesetzten Maßstäben ist dieses Ergebnis erbärmlich", schreibt das Blatt aus Halle. Die Ziele von Union und FDP seien nicht erreicht worden, schließlich würden "[M]ittlere Einkommen, die man entlasten wollte, (...) geschröpft". Die Lösung sei auch unbefriedigend, weil "kein einziges Problem der Finanzierung über den Tag hinaus gelöst worden ist. 2012 und in den Folgejahren drohen erneut Defizite".
"Der große Wurf zur Reform des Gesundheitssystem ist es sicher nicht", pflichtet die Rhein-Zeitung bei. Die Finanzspritze durch eine Beitragserhöhung sei eine "politische Not-OP", die den Kassen aber nur kurzfristig helfen könne. Besondere Beachtung schenkt die Zeitung aus Mainz den Sonderbeiträgen. Sie "sollen weiterentwickelt werden. Die Formulierung soll wie eine Beruhigungspille wirken, schließlich klingt es nicht so hart wie Erhöhung - was es aber faktisch ist."
Die Frankfurter Rundschau widerspricht energisch: "Nur auf den ersten Blick ist das, was die schwarz-gelbe Koalition gestern in Sachen Gesundheit beschlossen hat, keine wirkliche Reform". Tatsächlich hätten es die Beschlüsse in sich: "Durch das Einfrieren des Arbeitgeberanteils müssen die Versicherten künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein tragen. Das ist ein Bruch mit der über 100 Jahre alten Tradition der Bismarckschen Sozialgesetzgebung." Die Koalition entließe die Arbeitgeber damit aus ihrer Verantwortung für die Krankenversicherung. "Die Zeche zahlen nun allein die Versicherten. Der von der Koalition vorgesehene Sozialausgleich ist allenfalls ein Trostpflaster."
Die Situation der Versicherten verschlechtere sich durch die Pläne der Koalition, meint auch die Süddeutsche Zeitung. Schließlich könnten bis zu 12 Euro an Zusatzbeiträgen verlangt werden, "ohne Rücksicht darauf, ob das Mitglied nun Rentner, Putzfrau, Friseurin, Ingenieur oder Facharbeiter ist. Das sind Zumutungen, die das Ansehen der schwarz-gelben Koalition nicht gerade verbessern werden." Letztendlich falle dies vor allem auf die Liberalen zurück, die mit dem Werbeslogan "Mehr Netto vom Brutto" angetreten waren. "Nun ist die versprochene Steuersenkung verschoben, und die Beitragssteigerungen führen zu weniger Netto auf dem Konto."
Viele Kommentatoren sehen das Gesundheitskonzept aus dem Koalitionsvertrag zunichte gemacht. "Mit einem Federstrich werden alle Ansätze für Änderungen in der Finanzierung, die immerhin im Koalitionsvertrag festgeschrieben sind, weggewischt.", beklagt die Südwest-Presse und wird deutlich:"Was sich da in der Gesundheitspolitik anbahnt, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten." Die FDP lasse sich vom großen Koalitionspartner vorführen. Deswegen müsse der verantwortliche Gesundheitsminister die Konsequenzen ziehen: "Wenn der liberale Gesundheitsminister Philipp Rösler konsequent wäre, bliebe ihm jetzt eigentlich nur eines: der Rücktritt."
Auf der Suche nach dem Schwarzen Peter landen die Nünberger Nachrichten bei der Bundeskanzlerin: "Letztlich verantwortlich für das Desaster ist Kanzlerin Merkel. Zum einen, weil sie den Sandkastenspielen ihrer Koalitionspartner viel zu lange untätig zusah. Zum anderen, weil Merkel gar nichts gegen höhere Beiträge unternehmen will." Sie stütze sich einfach auf ihr immer wieder bemühtes Tantra, dass Gesundheit immer teurer werde. Damit mache sie sich allerdings berechenbar, "denn alle Lobbygruppen im Gesundheitssystem nutzen diese Denkfaulheit dankbar für Preissteigerungen aus." Deswegen müsse die Regierung den Hebel an anderen Stellen ansetzen: "Mit Prävention ließen sich vermutlich Milliarden sparen, mit Strukturreformen auch. Aber bequemer ist es allemal, die Versicherten die Zeche zahlen zu lassen."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Christian Bartlau