Machtkampf in der Ukraine "Frustration ist kein Programm"
23.01.2014, 21:51 Uhr
Die Lage in der Ukraine ist angespannt. Auf den Straßen Kiews brennen die Barrikaden, Demonstranten rüsten sich für weitere Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Die Opposition verlangt mit zunehmender Vehemenz den Rücktritt Janukowitschs. Die Lösung des Konflikts müsse jedoch woanders gesucht werden, kommentieren die deutschen Tageszeitungen.
"Selbst wenn Janukowitsch die Rücktrittsforderung erfüllte, könnte das den Konflikt nicht lösen", schreibt der Kölner Stadt-Anzeiger. Der Rückhalt des Präsidenten "unter den Oligarchen, vor allem aber im Osten und Süden des Landes" sei weiterhin groß, "die Abgeordneten seiner Partei und - noch wichtiger - die Sicherheitskräfte stehen bisher loyal zu ihm". Janukowitsch lasse sich nicht einfach aus dem Spiel nehmen. Deswegen, so das Blatt abschließend, müsse sich die Opposition "mit ihm irgendwie arrangieren, wenn sie ein Blutbad verhindern will".
Der General-Anzeiger betont die wichtige Funktion Russlands in dem Konflikt: "Wenn Janukowitsch nun eine Sondersitzung des Parlaments vorschlägt, in der die Volksvertretung über die Oppositionsforderung nach dem Rücktritt der Regierung beraten soll, weiß er doch: Die pro-russische Regierung hat im Parlament eine Mehrheit. Damit hätte Janukowitsch dann sogar ein offizielles Votum. Doch vermutlich liegt der Schlüssel zur Lösung der ukrainischen Misere ohnehin in Moskau."
"Dummheit und Ignoranz der Macht haben den Protest in Kiew radikalisiert", schreibt die Berliner Zeitung. Die Menge auf den Straßen werde derzeit vor allem von einem Gefühl beherrscht: "tiefe Frustration." Darin liege das Problem: "Frustration ist kein Programm, aufwallende Emotionen stehen politischen Lösungen vielmehr massiv im Wege. Inzwischen ist fraglich, ob die Menge den Versuchen einer Befriedung überhaupt noch zugänglich ist." Auch Vitali Klitschko habe dies inzwischen verinnerlicht und rede seitdem radikaler. Im Hinblick auf die Rücktrittsforderungen erklärt das Berliner Blatt abschließend: "Die Forderung nach einem Rücktritt des Präsidenten mag plausibel sein, ihre Erfüllung kann den Konflikt nicht lösen."
Auch die Stuttgarter Zeitung sieht eine Gefahr in der wachsenden Frustration der Demonstranten: "Sie machen nicht länger Musik, sie werfen Molotowcocktails." Das sei ebenso fatal wie die neue Liebe der Oppositionsführer zu martialischen Wortkaskaden: "Nach wochenlangem Reden vor Tausenden von Zuhörern wächst bei ihnen eine Hybris heran, die im höchsten Maße kontraproduktiv ist. Im Augenblick beschränkt sich der gewaltsame Protest auf kleine Flächen der Hauptstadt. Das ist noch kein Bürgerkrieg. Aber es ist dringend notwendig, Sorge dafür zu tragen, dass es nicht zu diesem kommt."
Auch die Frankfurter Rundschau blickt hinsichtlich einer friedlichen Lösung der Lage nach Moskau: "Bisher hat es die EU strikt abgelehnt, sich mit Russland über die Ukraine zu verständigen. Das Argument, die Ukraine sei ein souveränes Land, hat mehr mit politischer Theorie als mit praktischer Politik zu tun. Angesichts der eskalierenden Gewalt und der eigenen Ratlosigkeit lässt es sich nicht länger halten." Russland habe "legitime Interessen" in der Ukraine. Das lasse sich nicht ignorieren, kommentiert die Zeitung und schließt daraus: "Deshalb ist es dringend an der Zeit, den völlig anachronistischen Streit zwischen Brüssel und Moskau zu begraben, in wessen Einflusszone die Ukraine gehört: in die des Westens oder in die Russlands. Die EU muss sich mit Russland verständigen. Beide gemeinsam können in Kiew vielleicht noch Einfluss nehmen. Im Augenblick ist es das wichtigste, dass nicht noch mehr Menschen sterben."
Die neue Kompromissbereitschaft des ukrainischen Präsidenten beschreibt die Mittelbayerische Zeitung: "Es hört sich zunächst nach einem Punktsieg für Vitali Klitschko an: Sein großer Gegner Viktor Janukowitsch zeigt sich - nachdem es die ersten Toten in Kiew gegeben hat - zu Zugeständnissen an die Opposition bereit. Doch hinter der angekündigten Entlassung seines Regierungschefs verbirgt sich in Wahrheit ein taktischer Winkelzug des ukrainischen Präsidenten." Mit diesem Bauernopfer versuche er, der Demokratiebewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, so die Zeitung weiter. Klitschko sei es zwar gelungen, die Massen eindrucksvoll hinter sich zu versammeln und die Bewegung des "Beton-Präsidenten" könne er als Erfolg für sich verbuchen, "doch die große Frage lautet, ob Klitschko diesen Punkttreffer in weitere zählbare politische Erfolge ummünzen kann."
Zusammengestellt von Aljoscha Ilg
Quelle: ntv.de