Olympia zwischen Wunsch und Wirklichkeit "Grundschüler in Kasernen"
10.08.2012, 21:29 Uhr
Die Vorgabe der Funktionäre erfüllen die deutschen Sportler bei den Olympischen Spielen nicht. Das Ziel von 86 Medaillen, 28 davon in Gold, stellt sich als unrealistisch heraus. Die deutsche Presse übt Kritik - allerdings nicht an den Athleten.
"Was da vereinbart wurde, ist realitätsfern", schreibt die Südwest Presse aus Ulm und rechnet vor: "In Sydney zur Jahrtausendwende holte das deutsche Team 56 Medaillen, in Athen vier Jahre später 49, in Peking zuletzt noch 41. Innerhalb von vier Jahren sollte die deutsche Mannschaft also ihre Leistungen so steigern, dass sie in London die Ausbeute verdoppelt." Doch zu mehr, als das Peking-Ergebnis zu bestätigen, werde es nicht reichen. "Was muss sich ändern? Die Vereinbarungen und die Vergabe der Fördergelder sollten transparent sein - und klar. Letzteres gilt auch für den Verstand aller Beteiligten."
"Deutschland investiert ziemlich gleichbleibend an Staatsmitteln pro Jahr gut 130 Millionen Euro in den Spitzensport. Eine deutliche Steigerung dieser Fördergelder ließe sich mit Sicherheit schon in der olympischen Medaillenbilanz im Jahr 2016 in Rio de Janeiro ablesen", meint der Münchner Merkur. "Die einfache, gesellschaftspolitische Frage" lautet: Wollen wir Deutschen das, mehr Geld ausgeben, um die Brust ein wenig stärker schwellen lassen zu können?" Jede andere Frage in dieser Debatte gehe an der Realität vorbei, meint der Kommentator. Deutsche Sportler seien nicht besser oder schlechter als andere. "Sie sind exakt so gut, wie sie gefördert werden."
Die Westdeutsche Zeitung sieht das ähnlich: "Intensiver als jemals zuvor muss die Frage beantwortet werden, was dieser Gesellschaft der Spitzensport wirklich wert ist." Das Problem sei in London insbesondere auch von den Athletinnen und Athleten in aller Deutlichkeit angesprochen worden, deren Karrieren noch viel intensiver als bisher mit ihrer beruflichen Ausbildung verknüpft werden müssten. Die angestrebten "dualen Karrieren" in Spitzensport und Beruf stünden in Deutschland noch am Anfang.
Die Süddeutsche Zeitung mahnt zur Zurückhaltung: "Niemand wird Grundschüler in Kasernen stecken, um sie zu Turmspringern zurechtzubiegen." Wer sich vergegenwärtige, wie chinesische Schwimmer trainieren, der könne nur hoffen, dass es nicht die eigenen Kinder sind, die jetzt im Namen des deutschen Schwimmsports den Anschluss an die Weltspitze wiederherstellen sollen. "Auch das würde jetzt zu einer offenen Debatte gehören: einzuräumen, dass man nicht überall gut sein muss. Wenn man sich anschaut, was für Typen es bei den Spielen so alles aufs Treppchen schaffen, darf man auch froh sein, dass es mit dem deutschen Ziel von 28 Goldmedaillen nicht geklappt hat."
"Was treibt jene an, die von Medaillen und Millionenverträgen nur träumen können?", fragt die Ludwigsburger Kreiszeitung. "Sie kämpfen um die Anerkennung ihrer Sportart und lassen sich auch durch Stürze und Verletzungen nicht unterkriegen. Leistung lässt sich eben nicht nur am Edelmetall festmachen", so der Kommentator weiter. "Das sollten sich die Anhänger von Medaillenspiegeln hinter die Ohren schreiben und mehr Sorgfalt bei der Bewertung walten lassen."
Auch die Berliner Zeitung zieht Olympia-Bilanz: "Die Spiele werden noch mehr in Erinnerung bleiben für die Wiederbelebung des olympischen Sportsgeistes. Nach dem staatsverordneten Jubel von Peking 2008 haben die Briten Olympias verschüttete Seele wieder freigelegt: mit Gefühlen, Natürlichkeit, Humor. Sie haben die Erwartungen mehr als bestätigt, als sportbegeistertes Volk einen Enthusiasmus an den Tag zu legen, der Sport zum sozialen Erlebnis bis an die Grenze der Euphorie zu erheben vermag. Über London und das Königreich kam Olympia wie ein Segen zur rechten Zeit."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Jan Gänger