Bundeswehr-Reform "Guttenberg kann Messer ansetzen"
26.10.2010, 21:27 UhrVerteidigungsminister Guttenberg will die Bundeswehrreform nutzen, um die Streitkräfte und ihre Strukturen radikal zu erneuern. Richtig so, kommentieren das die deutschen Medien. Das Personal sei ineffizient eingesetzt. "Für eine Armee im Einsatz muss gelten: Maximale Sicherheit bei minimalem Einsatz von Personal und Material." Die "historische Chance" für eine Reform sei noch nie so gut gewesen. "Bleibt die Frage, ob der CSU-Mann wirklich das Zeug dazu hat, dieses scharfe Instrument anzusetzen."
Die Financial Times Deutschland betont die einmalige Chance, die sich mit der Reform dem Verteidigungsminister bietet. "Die Bundeswehr steuert auf die radikalste Reform ihrer Geschichte zu und das ist gut so. Verkrustete Strukturen und Industrieinteressen haben grundlegende Schritte bisher verhindert." Die Empfehlungen der Strukturkommission von Arbeitsagentur-Chef Frank-Jürgen Weise lieferten eine Steilvorlage für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. "Er hat den Vorteil, dass die Truppe viele seiner Ziele teilt. Es ist in ihrem Sinn, die Bundeswehr stärker auf die neuen Aufgaben zuzuschneiden. Auch würde sie davon profitieren, Waffen von der Stange zu kaufen, anstatt auf teure Rüstungsaufträge an die Industrie zu setzen. Meistert Guttenberg diese Aufgabe, hätte er nicht nur die Bundeswehr entgegen aller Erwartungen aus ihrer Starre gelöst sondern sich nebenbei noch für höhere Weihen empfohlen."
"Guttenberg weiß, dass sich ihm eine historische Chance bietet", schreibt auch der Bremer Weser-Kurier und listet die Möglichkeiten auf. "Den Wildwuchs an Stäben beschneiden? Unbedingt! Den Sanitätsdienst in die Streitkräftebasis eingliedern? Überfällig! 15-monatiger Freiwilligendienst statt sechsmonatiger Wehrpflicht? So schnell wie möglich! Lieber ein aufgewerteter Generalinspekteur als zwei Staatssekretäre? Na klar! Rüstungsbeschaffung 'von der Stange' statt aufwändiger Eigenentwicklung? Natürlich! Reine Strukturpolitik auf Kosten der Soldaten im Einsatz ist nicht nur unverantwortlich, sondern zynisch. Guttenberg kann jetzt das Messer ansetzen und die Schnitte ausführen."
Die Saarbrücker Zeitung betont, die Bundeswehr sei kein Mittel zur Arbeitsbeschaffung, zur Förderung der Rüstungsindustrie oder zum Bedienen regionaler Begehrlichkeiten. "Geduldiges Ertragen von Ineffizienz mag eine soldatische Tugend in der alten Wehrpflichtarmee gewesen sein. Für eine Armee im Einsatz muss gelten: Maximale Sicherheit bei minimalem Einsatz von Personal und Material." Für die Bundeswehr-Führung sei der Ernstfall gekommen, auch für den Verteidigungsminister. Deshalb gelte jetzt: "Das Aus für die Wehrpflicht war Guttenbergs Gesellenstück. Die radikale Reform wäre sein Meisterstück. "
Für den Südkurier muss vor allem das Personal effizienter eingesetzt werden, insbesondere im Ministerium selbst. "Auf jeden Soldaten, der nach Afghanistan oder ins Kosovo geschickt wird, kommen 35 Kameraden in heimischen Schreibstuben und Kleiderkammern, dazu noch 15 zivile Mitarbeiter. Hier stimmen die Verhältnisse nicht, das ist bei keiner anderen Armee so. Ausgerechnet das Ministerium geht mit schlechtem Beispiel voran. Ein Teil in Berlin, der andere weiterhin in Bonn, das kann nicht effektiv sein. Die Bundeswehr braucht einen Neuanfang, der altes Denken und alte Pfründe hinter sich lässt. Stattdessen muss sie sich vom Einsatz her definieren. Kaum hat der Minister den Abschied von der Wehrpflicht durchgesetzt, wartet der nächste Kraftakt."
"Wer sich die Lektüre der mehr als hundert Seiten ersparen will, kann als wichtigstes Indiz für den grundlegenden Missstand nehmen, dass eine Armee von 250.000 Mann nicht einmal in der Lage ist, zehntausend Soldaten in Einsätze jenseits der deutschen Grenzen zu entsenden. Das kann kein effizientes Management sein", wettert auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Ungewollt zeigt der Weise-Bericht damit auch, dass das Gros der Sparmaßnahmen, welche die Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten über sich ergehen lassen musste (die 'Friedensdividende'), am falschen Ende, nämlich bei den Soldaten und ihrer Ausrüstung, angesetzt hat. Offenbar waren die Widerstände der mittleren und oberen Führungskräfte zu groß, als dass der Wildwuchs auf diesen Ebenen zurückgeschnitten werden konnte der Wasserkopf auf der Bonner Hardthöhe steht da nur als Teil für das Ganze."
Auch die Frankfurter Rundschau zielt auf die ineffizienten Strukturen und veränderten Aufgaben ab. "Von Streitkräften des Kalten Kriegs sind die Soldaten zur Einsatzarmee geworden, mit vielen Auslandseinsätzen und neuen Anforderungen. Im Ministerium in Bonn und Berlin aber ist alles beim Alten geblieben. Die Ursache liegt letztlich in der Schwäche der Verteidigungsminister begründet. Parallelstrukturen, Eifersüchteleien, Konkurrenzdenken haben ein dichtes Geflecht geschaffen, das jeden Einschnitt verhindert hat. Frank-Jürgen Weise liefert mit seinen Mitstreitern nun Guttenberg eine Machete, dieses Dickicht radikal zu zerschlagen. Bleibt die Frage, ob der CSU-Mann wirklich das Zeug dazu hat, dieses scharfe Instrument anzusetzen. Kommando: Abspecken!"
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Till Schwarze