Streit um Mindestlöhne Merkel auf Linie, "doch auf welcher?"
31.10.2011, 20:05 UhrDie Debatte um die Einführung von Mindestlöhnen ist weniger wegen ihrer inhaltlichen Bedeutung von derartigem Interesse, als wegen des Lichtes, das dieser neuerliche CDU-Schwenk auf den Zustand der Partei wirft. Die Presse unterstellt Angela Merkel unter anderem wahlkämpferisches und machterhalterisches Taktieren. Doch wo bleibt dabei die Verlässlichkeit? Christdemokraten, vor allem die alter Schule, haben es nicht einfach dieser Tage.
"Frei nach dem Satz von Konrad Adenauer - was kümmert mich mein Geschwätz von gestern - fuhrwerkt Merkel mit atemberaubender Unbekümmertheit im Programm der christlich demokratischen Union herum. Beharrlich, man könnte auch sagen stur, bleibt sie auf ihrer Linie. Doch auf welcher?", fragt die Frankfurter Rundschau. Diese Frage sei für Merkel offensichtlich unerheblich. "Sie folgt keinem Entwurf, keinem Bild von Partei oder Gesellschaft. Im Gegenteil. Sie folgt nur dem Prinzip der ständigen und allumfassenden Beweglichkeit bei größtmöglicher Abwesenheit von Ideologie. Diese konzeptionelle und programmatische Beweglichkeit wiederum hat nur ein Ziel: Die CDU anpassungsfähig und damit alternativlos zu machen."
Für die Leipziger Volkszeitung wirkt der Schwenk Angela Merkels "arg taktisch motiviert", nun, "da die FDP unrettbar verloren scheint". Denn "jahrelang hat die Kanzlerin sich vom Schicksal einer Niedriglohn-Gesellschaft nicht schrecken lassen". Das Ziel dieser Kehrtwende scheint klar: "Der SPD sollen die Wahlkampf-Argumente weg geräubert werden durch Merkels Inbesitznahme. Die will einfach das bleiben was sie ist - Chefin. Deshalb braucht die Kanzlerin ihren Wahlverein. So wirkt Politik mehr und mehr beliebig. Das wird den Respekt vor der Politik und dem Handeln der Politiker nicht erhöhen. Und es passt zum Bild, das bereits mit der Reaktion auf das Schulden-Europa geprägt wurde: Regierungspraxis wird immer seltener durch neuen Erkenntnisgewinn begründet, sondern eher zum panisch begründeten Täuschungsmanöver."
"Christdemokrat zu sein, kann in diesen Tagen wahrlich nicht leicht sein", frotzelt der Berliner Tagesspiegel. "Erst galt Atomkraft als sicher, sauber und preiswert. Dann, nach Fukushima, war das alles nichts mehr wert. Genauso wie die allgemeine Wehrpflicht und das dreigliedrige Schulsystem. Und nun heißt es für die Partei von Friedrich Merz und Roland Koch, sich flugs auch noch zum Mindestlohn zu bekennen. Wenn auch nicht zur linken Lieblingsvariante, bei der im Bundestag über 8,50 oder zehn Euro für alle Arbeitnehmer im Land abgestimmt werden soll. Wo bleiben da noch die christdemokratischen Werte, wo verlässliche Parteitradition, und wer soll bei all dem überhaupt noch mitkommen? "
Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine betrachtet das Ganze pragmatischer und argumentiert mit dem Ergebnis vor Augen: "Die in vielen Branchen schon vorhandenen Mindestlöhne vernichten keineswegs Arbeitsplätze. Sie verhindern nur eine Verbreitung von empörend niedrigen Löhnen. Vieles spricht daher dafür, genau an dieser Stelle eine gleichmäßigere Verteilung des gemeinsam erarbeiteten Erfolgs in unserem Land zu sichern. Wenn dies der CDU gelingen sollte, wäre das nicht vor allem Taktik, sondern eine sinnvolle, weil gerechte Politik."
Der Bonner General-Anzeiger kann den innerparteiliche Aufschrei der Konservativen nachvollziehen: "Man kann das alles so machen, aber man darf sich nicht wundern. Nicht wundern, wenn die Stammwähler zu Wechselwählern, am wahrscheinlichsten zu Nichtwählern werden. Deshalb hat es gute Gründe, wenn gestandene Konservative in der Union, die noch nicht resigniert haben, ihre Stimme erheben."
Quelle: ntv.de, zusammengstellt von Nadin Härtwig