Pressestimmen

"Ein kluger Schachzug?" Merkel in Afghanistan

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen Kurzbesuch in Afghanistan unternommen. Nicht unbegründet wurde dieser bis zum Schluss streng geheim gehalten, denn die Situation in Kundus ist alles andere als ungefährlich. Trotz der Sicherheitsrisiken hat Merkel ihre Visite nicht abgebrochen. Was Merkels Besuch bezwecken sollte, darüber ist sich die Presse nicht ganz einig.

"Es war richtig - und längst überfällig - dass sich Angela Merkel wieder selbst ein Bild vom deutschen Engagement in Afghanistan machte", schreibt die Kölnische Rundschau. Merkel müsse daraus nur die richtigen Schlüsse ziehen und sich Obama als Vorbild nehmen, der "Afghanistan zur Chefsache erklärte". Die Amerikaner übernähmen zwar die deutsche Strategie, sich mehr um den zivilen Aufbau zu sorgen. Dies dürfe jedoch nicht dazu "verführen, sich hierzulande auf die Schultern zu schlagen". "Im Gegenteil: Auch Deutschland muss sich entschließen, noch mehr zu unternehmen."

Die Südwest Presse betrachtet Merkels "geheime Reise" als "klugen Schachzug". Wenn die Kanzlerin die Hoffnung hegte, der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan könnte bald ein Ende haben, dann wurde sie durch ihren Besuch zwar "endgültig eines Besseren belehrt". Dennoch habe sie einen dreifachen Erfolg zu verbuchen: Erstens machten sich die Bilder vom Hindukusch in den heimischen Medien gut, insbesondere im "beginnenden Wahlkampf", meint das Blatt aus Ulm. Zum Zweiten "signalisiert sie den Soldaten vor Ort, dass der Regierung ihr Einsatz in Afghanistan nicht egal ist". Drittens habe Merkel den Präsidenten Hamid Karsai für sein skurriles Ehegesetz "elegant diplomatisch abgewatscht", indem sie ihn mit Nichtachtung strafte.

Die Westfälische Nachrichten vertreten eine andere Meinung: "Der Afghanistan-Einsatz verbietet sich für jeglichen Wahlkampf-Wettlauf". Denn dadurch würde der schwindende Rückhalt in der Bevölkerung nur beschleunigt. Wenn Merkel schon politisch agierte, dann müsse sie berücksichtigen, dass der Konsens innerhalb der Koalition zwar noch bestünde. "Wer den Afghanistan-Frust in der deutschen Bevölkerung schürt", so das Blatt aus Münster, "der riskiert , der Linkspartei in die Hände zu spielen".

Für die Berliner Zeitung war Merkels Besuch "nicht mehr als eine nette Geste an die Adresse der Soldaten". Anstatt öffentlich eine Erhöhung der Zahl der Polizeiausbilder zu erklären, habe Merkel in Kundus die gleiche Symbolpolitik betrieben wie schon die Tage zuvor beim NATO-Gipfel. Das bedeutet: "Afghanistan darf zumindest bis zur Bundestagswahl nicht mehr auf weitere Hilfe aus Deutschland hoffen."

Der Kölner Stadt-Anzeiger ignoriert mögliche Wahlkampstrategien der Bundeskanzlerin. Die Zeitung betont die internationale Wirkung ihres Besuch: "Natürlich darf Berlin sich freuen, weil Washington den vernetzten Ansatz aus militärischem und zivilem Programm entdeckt hat, den die Bundesregierung seit Jahren am Hindukusch verfolgt." Dennoch gebe die Lage in Afghanistan keinen Optimismus her. Der Einsatz in Afghanistan könne nur funktionieren, "wenn auch die Verbündeten ihren Teil beitragen." Wenn also Deutschland mehr Personal in die Region schickte. Dann, so das Blatt aus Köln, "hätte sich die Visite gelohnt". Andernfalls wäre Merkel "besser zu Hause geblieben."

Zusammengestellt von Julia Jaroschewski

Quelle: ntv.de

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