Deutschland, die Nato und der Libyen-Konflikt "NATO setzt Zusammenhalt aufs Spiel"
14.04.2011, 20:44 UhrDie Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Als die Vorbereitungen für das NATO-Außenministertreffen - das erste in Deutschland seit 1996 - begannen, hatte niemand auch nur die leiseste Ahnung davon, dass sich das Militärbündnis in einem neuen Einsatz in Libyen befinden könnte. Jetzt überlagert die Operation "Vereinte Schutzmacht" alle anderen Debatten - egal ob Afghanistan-Einsatz oder das künftige Verhältnis zu Russland. Nach Tagen voller Streit will die Nato nun wieder Geschlossenheit demonstrieren. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die 28 Außenminister Machthaber Gaddafi erstmals klare Bedingungen für ein Ende ihrer Luftschläge. Doch bei aller demonstrativ zur Schau getragenen Harmonie: der deutschen Presse bleiben Zweifel.
Die überregionale Tageszeitung Die Welt bemerkt zur NATO-Außenministertagung in Berlin: "Der Terminkalender der Nato hält sich nicht an kurzfristig eintretende Verstimmungen im Bündnis. Deshalb konnte es zu der seltsamen Situation kommen, dass gerade Deutschland, das sich in der Frage des Libyen-Einsatzes gegen alle seine wichtigsten Verbündeten gestellt hatte, nun Gastgeber einer Nato-Außenministertagung ist, bei der Libyen das bestimmende Thema wurde. (...) Deutschland hatte im Vorfeld versucht, die Wogen ein wenig zu glätten mit der Bereitschaft, humanitäre Hilfskonvois für Libyen im Ernstfall auch militärisch zu sichern. Die Botschaft, die auch vom Berliner Treffen ausgehen sollte, lautet: Deutschland sucht wieder den Schulterschluss mit den Partnern."
Alarmiert reagieren die Kieler Nachrichten: "Die Bundesregierung drängelt sich mit dem Angebot in den Vordergrund, humanitäre Hilfe militärisch abzusichern. Dafür sind Bodentruppen notwendig, die man bisher auf keinen Fall stellen wollte, um in Libyen nicht 'auf die schiefe Ebene' zu gelangen. Selbst wenn eine humanitäre Hilfsaktion sicherlich einen Waffenstillstand voraussetzt, müssten deutsche Soldaten doch mit einem robusten Mandat ähnlich dem in Afghanistan ausgestattet sein, um sich selbst verteidigen und Überfälle auf die Helfer abwehren zu können. Wird Libyen also doch zum deutschen Auslandseinsatz? Westerwelle gibt darauf keine Antwort. Er bleibt der Welt ein Rätsel".
"Nach Außen demonstriert das Bündnis Einigkeit - auf niedrigem Niveau", konstatiert der Reutlinger General-Anzeiger. Dabei ist für die Regionalzeitung klar: "Viele Nato-Vertreter haben die geballte Faust in der Tasche. Der Außenminister des Winzlings Luxemburg kritisierte erneut Deutschlands Enthaltung, mit der eine europäische Einigkeit verhindert worden sei. Der Bundeswehr droht trotz der Enthaltung ein Bodeneinsatz: Humanitär, aber gefährlich. Hätte Deutschland der UN-Resolution zugestimmt und sich an den Awacs-Flügen beteiligt, hätten zumindest keine deutschen Soldaten libyschen Boden betreten müssen".
"Zwar ist - wie es die UN-Resolution 1973 verlangte - eine Flugverbotszone durchgesetzt und die Bevölkerung Bengasis vor einem Massaker geschützt worden. Doch seither scheint ein Patt zwischen Regierungstruppen und Rebellen zu bestehen", schreibt die in Kassel herausgegebene Hessische/Niedersächsische Allgemeine. "Weder kann Gaddafi seine Widersacher bezwingen - das würde die Nato-Militärmacht verhindern. Noch können die Rebellen Gaddafi stürzen - dazu sind sie zu schwach und die Nato-Länder von den Vereinten Nationen auch nicht autorisiert. Also bleibt es bei offiziellen Leerformeln wie dem erhöhten Druck auf Gaddafi und martialischen Forderungen Großbritanniens und Frankreichs nach härterer Gangart. Was wiederum Deutschland ablehnt. So hat sich die Nato militärisch und politisch in eine Sackgasse manövriert".
Auch die in Berlin herausgegebeneTageszeitung ist skeptisch: "Schon droht der nächste Präzedenzfall in Libyen. Die EU signalisiert, sie sei zu humanitären Hilfslieferungen bereit, die von Bodentruppen geschützt werden. Auch diesen Einsatz will die Nato führen. Sie plane ihn bereits. Auch das gibt wieder intern Streit. Die EU stellt die Soldaten, die Nato führt den Einsatz? Die EU als Instrument der Nato? Das haben sich viele EU-Länder anders vorgestellt. Die Nato riskiert, sich selbst zu überfordern und ihren inneren Zusammenhalt aufs Spiel zu setzen".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke