Pressestimmen

Neiddebatten schüren Märchenstunden "Praxisschließungen sind untauglich"

Die Mediziner geben sich immer wütender. Ein Teil von ihnen bricht die Verhandlungen mit den Krankenkassen ab, ein anderer beruft eine Urabstimmung über Streiks ein. Die Presse meint einheitlich, dass den Ärzten schon deshalb ein stattliches Gehalt zu gönnen sei, weil die meisten von ihnen aus tiefer Überzeugung einen weit überdurchschnittlichen Einsatz leisten.

Kein probates Mittel, meinen die Kommentatoren.

Kein probates Mittel, meinen die Kommentatoren.

(Foto: dpa)

Die tageszeitung blickt kritisch auf den Honorarstreit: "Fast möchte man Mitleid haben mit den niedergelassenen Ärzten: Sie haben nicht bloß ein Honorarplus von hochmütigen elf Prozent gefordert. Nein, sie haben auch geglaubt, dieses durchzusetzen. Entsprechend unbändig ist jetzt ihre Wut. In Rumpelstilzchen-Manier begehen sie Tabubruch, beschimpfen Kassen und Schlichter, kündigen vor Ablauf der Friedenspflicht Streiks und Prozesse an. Und beleidigen damit vor allem ihre Patienten. Denn diese finanzieren aus ihren Beiträgen die Ärzte und verstehen nicht, dass man - bei allem Respekt - von durchschnittlich 165.000 Euro im Jahr nicht eine Praxis betreiben und okay leben können soll."

Für die Leipziger Volkszeitung ist fakt, dass es hier nicht um den "armutsgefährdeten Dr. Schluck oder den maßlosen Dr. Porsche-Villa-Yacht geht", sondern um eine Berufsgruppe, die einen knochenharten Job leistet: "Es geht vielmehr um ein völlig intransparentes, verkommenes Vergütungssystem der Ärzte. Klar ist aber auch: Weniger als ein Prozent Lohn-Plus steht in scharfem Kontrast zu den prall gefüllten Konten der gesetzlichen Kassen. Gute Arbeit muss sich lohnen, auch in der Arztpraxis. Mediziner, gerade auf dem Lande, leisten heute einen Knochenjob. Wer anderes erzählt und Neiddebatten schürt, der leistet nur eins: Eine Märchenstunde."

Für die Nürnberger Nachrichten ist das Schlimmste an diesem Desaster, dass "sich beide Seiten, Ärzte wie Kassen, im Sinne eines inzwischen radikal auf Wettbewerb getrimmten Gesundheitssystems völlig korrekt verhalten haben. Die Kassen wollten höhere Kosten, die wiederum Zusatzbeiträge nach sich ziehen könnten, um jeden Preis verhindern. Und die Ärzte wussten genau, dass sich für sie das Zeitfenster, in dem sie höhere Honorare durchsetzen können, spätestens im kommenden Jahr schließen wird, wenn sich die Wirtschaft eintrübt. Entsprechend rüde sind sie miteinander umgegangen - und haben das Wohl der Patienten dabei glatt vergessen."

"Wenn der erste Ärger verraucht ist, sollten die Ärzte innehalten und neu nachdenken", empfiehlt die Financial Times Deutschland: "Denn für anhaltende Empörung oder gar flächendeckende Praxisschließungen gibt es keinen Grund. Der Honorarzuschlag fällt in diesem Jahr zugegebenermaßen bescheiden aus. Doch betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, dann steht dort ein Honorarplus von 6 Mrd. Euro - ein Zuwachs von 22 Prozent. Und das in einer Phase, in die Deutschlands schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte fiel. Heruntergebrochen auf die einzelnen Ärzte kommt dabei nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Nettodurchschnittseinkommen von 5500 Euro heraus - nach Praxiskosten und Steuern. Das ist kein Grund, nun Praxen zu schließen und mit Versorgungsengpässen zu drohen.

In der Rheinpfalz heißt es: "Die niedergelassenen Ärzte halten fürs Erste den Schwarzen Peter. (...) Dennoch haben sich ihre Funktionäre offenbar entschieden, den Konflikt um fast jeden Preis auf die Spitze zu treiben. Dass sie mit den angekündigten Praxisschließungen vor allem ihre Patienten treffen würden, um deren Wohl es ihnen doch eigentlich geht und die ja tatsächlich auf Hilfe angewiesen sind, scheint dabei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wie ein trotziges Kind hat sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung gestern geweigert, die Honorargespräche wieder aufzunehmen. Das ist unprofessionell und könnte sich für einen Berufsstand, der wie kaum ein anderer auf Vertrauen angewiesen ist, noch einmal bitter rächen."

Für den "Kölner Stadt-Anzeiger" sind Praxisschließungen "ein völlig untaugliches Mittel der Auseinandersetzung. Ein Streik trifft die Falschen, die Schwächsten, eben die, die auf ärztliche Hilfe angewiesen sind. Es gibt ein geregeltes Verfahren der Selbstverwaltung aus Ärzten und Kassen zur Festlegung der Honorare. Werden sich die Streithähne nicht einig, spricht der Schlichter. Das ist geschehen. Die unzufriedenen Ärzte können vor Gericht ziehen, das tun sie auch. Die Patienten sind an dem ganzen Verfahren nicht beteiligt. Deshalb sollte man sie auch in Ruhe lassen."

Zusammengestellt von Peter Richter

Quelle: ntv.de

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