Auffanglösung gescheitert "Schlecker ist nicht systemrelevant"
29.03.2012, 21:36 UhrEtwa 10.000 "Schlecker-Frauen" sind arbeitslos. Auch wenn die Entscheidung gegen eine Transfergesellschaft richtig ist, ist sie nur schwer vermittelbar. Vor allem das parteipolitische Ringen hinterlässt - nicht nur bei den Betroffenen - einen schalen Beigeschmack.
"Vielleicht haben die FDP-Minister seriöse Gründe für ihre Verweigerung. Es wäre dann aber höchste Zeit, diese zu erklären", findet die Süddeutsche Zeitung. Bisher schicken sie nur Briefe von einem Ministerium zum anderen, oder haben Erklärungen abgegeben, bloß dann mitzumachen, wenn alle Bundesländer mitmachten, und da das leider nicht so sei (...) sorry, dies ist Politik nach dem Motto: Wer ist der Kälteste im Land? Es gibt Desaster, bei denen nur die Kapitulation bleibt. Ob das im Fall Schlecker so ist, ist die eine Frage. Die andere ist, ob Politik die Betroffenen ernst nimmt, ob sie zeigt, dass sie um sie ringt. Reiten Politiker vor allem auf Prinzipien herum, brauchen sie sich über sinkende Wahlbeteiligung oder Schlimmeres gar nicht erst zu wundern."
"Am Ende war es ein unwürdiges Geschacher. Nach vergeblichem Hoffen bekommen jetzt 10.000 Schlecker-Verkäuferinnen ihre Kündigungen. Das ist bitter, zumal hier einige Parteien - besonders die FDP - ihr politisches Süppchen auf Kosten der Frauen gekocht haben", meint die Märkische Allgemeine. Das Blatt aus Potsdam meint aber auch: "Dennoch müssen die Maßstäbe zurechtgerückt werden. Es war richtig, dem insolventen Unternehmen nicht noch Subventionen hinterherzuwerfen. Grund für die Misere ist nicht das Versagen der Politik, sondern die verfehlte Unternehmenspolitik. Die Schleckers haben es nicht geschafft, in dem gut laufenden Drogeriemarkt den Platzhirsch auf Kurs zu halten. Firmenpatriarch Anton Schlecker hat sich mit der Bevormundung und der Ausbeutung seiner Verkäuferinnen einen so schlechten Ruf erworben, dass viele Kunden woanders hingegangen sind."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubt: "Es wird nicht leicht sein, der zum Symbol gewordenen 'Schlecker-Frau' begreiflich zu machen, dass eine Bürgschaft in zweistelliger Millionenhöhe für eine Transfergesellschaft zu teuer ist, dreistellige Milliardenbeträge für die europäische Solidarität aber recht und billig sind. Es macht die Sache nicht leichter, dass das Unternehmen, um das es geht, bis vor kurzem noch im Ruch des Frühkapitalismus stand, dass es gewerkschaftlich domestiziert werden musste, und die Verkäuferinnen deshalb als die Schützlinge einer gegen neoliberale Kälte gerichteten Fürsorge behandelt werden. Geblendet vom Jobwunder, das in Deutschland zu beobachten ist, gerät dabei leicht in Vergessenheit, dass es die Schleckers dieser Welt sind, die Arbeit schaffen - und auch ruinieren."
Die Financial Times Deutschland kommt zu einer pragmatischen Einschätzung: "Mit einer solchen Transfergesellschaft hätten die Politiker zwar Handlungsfähigkeit und Hilfsbereitschaft demonstrieren können. Sie hätte vielleicht dem Insolvenzverwalter ein halbes Jahr mehr Zeit gegeben, einen neuen Investor zu finden. Und die Angestellten hätten ein halbes Jahr länger vor dem Gang zur Arbeitsagentur bewahrt werden können. Mehr aber auch nicht."
Die Landeszeitung Lüneburg hält die Entscheidung der Politik für schlecht vermittelbar: "Falscher kann eine richtige Entscheidung nicht wirken. Schlecker ist nicht systemrelevant. Deshalb präsentieren sich Politiker, die seit Monaten jede noch so aberwitzige Milliarden-Bürgschaft für Banken gutheißen, plötzlich wieder als Gralshüter des freien Marktes. Vermitteln lässt sich eine solche Haltung nicht. Was bleibt, ist das Gefühl der Ungerechtigkeit - ein potenziell systemsprengendes Gefühl für eine soziale Marktwirtschaft. Und hier wird auch die Pleite kleiner Firmen systemrelevant. Helfen würde, wenn nicht nur die auf maximale soziale Fürsorge rechnen könnten, die von schlagzeilenträchtigen Pleiten betroffen sind. Sondern jeder, dem unverschuldet der Absturz droht."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Nadin Härtwig