Kumpel-Rettung in Chile "Sie werden noch lange leiden"
13.10.2010, 20:20 UhrRund um die Welt freuen sich die Menschen über jeden Kumpel, der aus dem 600 Meter tiefen Verlies gerettet wird. Der Freudentaumel darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bergmänner noch einen weiten Weg vor sich haben – den zurück in die Normalität.

Die Bergmänner (im Bild: Alex Vega) entsteigen der Rettungskapsel als Helden. Aber ihr Leidensweg ist noch nicht zu Ende.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
"Wer unbedingt das Übersinnliche bemühen will, kann die Rettung der 33 Bergleute durchaus für ein Wunder halten. Die Gelassenheit, der Humor und die Disziplin der 33, die es fertigbrachten, ihrer alptraumhaften Lage so etwas wie ein Stück Alltäglichkeit abzutrotzen, nötigte Millionen, die das Geschehen in der sicheren Außenwelt verfolgten, tiefe Bewunderung ab", so der Münchner Merkur. Die Zeitung lenkt die Aufmerksamkeit aber auch auf die Retter, die das Wunder möglich machen: "Hochmotiviertes Personal im Verein mit den erfahrensten Experten, ausgestattet mit dem weltbesten Material wickelte die Bergung vor einer staunenden Weltöffentlichkeit ab wie am berühmten Schnürchen. Was als Katastrophe in einer Mine irgendwo in Chile seinen Ausgang nahm, wird uns allen als großartige Demonstration menschlicher Leistungskraft im Gedächtnis bleiben."
Der Mannheimer Morgen wagt einen historischen Vergleich: "Als US-Astronaut Neil Armstrong am 21. Juli 1969 als erster Mensch den Mond betrat, bezeichnete er diesen Moment als einen kleinen Schritt für einen Menschen, aber als großen Sprung für die Menschheit. Gleiches kann man seit dem 13. Oktober 2010 über Florencio Ávalos sagen, der als erster der 33 verschütteten chilenischen Bergarbeiter nach 69 Tagen in der Tiefe der Erde wieder den Boden des blauen Planeten betrat." Für die 33 Bergleute werden die Schwierigkeiten mit ihrer Rettung aber nicht vorbei sein, denn "die mediale Öffentlichkeit wird es ihnen schwer machen, den Weg zurück in die Normalität des Alltags zu finden, und zugleich werden sie sich daran gewöhnen müssen, nach dem Abflauen des Weltinteresses wieder nur Randfiguren in der Abgeschiedenheit der chilenischen Provinz zu sein."
"Ja, es ist eine Geschichte zum Mitfreuen. Nur darf der weltweite Jubel nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leid der Männer nicht vorbei ist: Sie werden noch lange unter ihren Ängsten im Fluchtstollen leiden. Dieser Teil aber fehlt in Heldenmythen immer", kommentieren die Nürnberger Nachrichten.
Die Frankfurter Rundschau weist im Hinblick auf die Rettung der Bergleute auf die soziale Ungleichheit in Chile hin: "In Chile steht die Debatte im Vordergrund, ob die rechte Regierung von Präsident Piñera illegitimerweise Kapital zu schlagen versucht aus dem Schauerstück im Untergrund. Auch wenn sich die Nation in ihrem Überschwang an Begeisterung geeint fühlt - Chile ist immer noch ein extrem ungleiches Land, trotz der bemerkenswerten Erfolge im Kampf gegen die extreme Armut. Und Piñera, als Privatmann Milliardär, repräsentiert nicht gerade den sozialen Ausgleich. Die Bergleute auch nicht bloß dass sie eben die Opfer sind. Nationales Pathos hat nicht nur in Chile, sondern auch anderswo in Südamerika die Aufgabe, all die Spannungen, Konflikte, Widersprüche zu überbrücken."
Die Lübecker Nachrichten werfen einen kritischen Blick auf das Thema Rohstoffgewinnung: "Um den Hunger der Industrie nach Rohstoffen zu stillen, wird überall auf der Welt das Erdinnere nach Brauchbarem durchsiebt. Oftmals unter haarsträubenden Bedingungen, die eher an die Frühzeit des europäischen Bergbaus im Mittelalter erinnern, denn an das 21. Jahrhundert. Wo aber die Grundlage gelegt wird für viele Dinge, die so selbstverständlich unseren Alltag und unseren Wohlstand bestimmen. Unsere kupfernen Wasserrohre sind nicht im Baumarkt gewachsen. Dafür hat in der Ferne ein Bergmann Erz geschürft. Vielleicht unter Lebensgefahr. Vielleicht in Chile."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki