Offizielle Ernennung zum SPD-Spitzenkandidaten "Steinbrück ist beste Wahl"
28.09.2012, 18:51 Uhr
Peer Steinbrück will Kanzler werden. Die Frage ist: Welche Chancen hat er gegen Angela Merkel?
(Foto: picture alliance / dpa)
Nachdem der frühere Bundesfinanzminister unter viel Zustimmung sein Bankenpapier vorgelegt hat, kommt Peer Steinbrücks offizielle Ernennung zum SPD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 kaum noch überraschend. Die entscheidende Frage ist jedoch nicht, ob Steinbrück das Zeug zum Kanzler hat - sondern, ob er die beliebte Amtsträgerin auch schlagen kann. Es ist das Topthema der Presse.
Peer Steinbrück sei nicht der naturgewachsene Kanzlerkandidat der SPD, schreibt die Stuttgarter Zeitung. Vielmehr sei der frühere Finanzminister als einziger aussichtsreicher Kandidat der "Troika" übrig geblieben: "Die Partei hat seine Ausrufung nicht herbeigesehnt, sie war nur des überlangen Troika-Getues müde. Er darf nun als Nummer eins antreten, weil Sigmar Gabriel dafür - noch? - nicht taugt und Frank-Walter Steinmeier nicht will. Der SPD-Vorsitzende ist jenseits seiner Partei zu schlecht gelitten, der SPD-Fraktionschef hat nach seiner historischen Wahlschlappe 2009 keinen Mumm. Steinbrück ist in dieser roten Dreier-Runde der Einzige, der die Kanzlerkandidatur wirklich angestrebt hat. Auch das macht ihn zur aktuell besten Wahl der SPD."
Steinbrück habe die richtigen Themen, schreibt der Tagesspiegel. Vor allem aber wünsche sich das Ausland einen neuen Kanzler für Deutschland: "Bankenmacht brechen? Steinbrück wählen. Soziale Mieten finanzieren? Steinbrück wählen. Renten sichern? Genau. Und dann das Thema Europa. In den europäischen Hauptstädten, besonders in Paris, würden sie einen neuen Kanzler sehr begrüßen. Dort werden sie die Troika mit Steinbrück als Speerspitze auch so behandeln. Warum? Weil im Ausland die Kanzlerin als eine deutsche Kaiserin angesehen wird, die oktroyiert und durchregiert, und im Inland, weil sie nie die roten Linien einhält, die sie selbst gezogen hat. Auf ihr Wort ist in dieser Hinsicht kein Verlass. Wenn Steinbrück das alles anspricht, dann spricht er ein weitverbreitetes Gefühl an."
Es sei gut für die SPD, dass das Rätselraten um ihren Spitzenkandidaten endlich ein Ende habe, kommentiert der Nordkurier. Der Wahlkampf zwischen der Kanzlerin und dem begnadeten Rhetoriker Steinbrück verspreche spannend zu werden. Doch die größte Herausforderung sei ein Flügel in der eigenen Partei: "Er kann vor allem auch mit seinen Europa- und Finanzmarktkompetenzen punkten - Felder, die bislang noch Merkel besetzt. Sein größtes Manko: Dem erstarkten linken SPD-Flügel ist der als bürgerlich, linksliberal geltende Steinbrück äußerst suspekt. Gelingt es ihm nicht, auch diese Genossen zu überzeugen, kann er die Wahl gleich abschreiben."
Die Süddeutsche Zeitung bescheinigt Steinbrück entscheidende Eigenschaften, um Merkel schlagen zu können: "Ehrgeiz und Machtwillen, Durchsetzungskraft und konzeptionelle Stärke, Autorität und Souveränität. Er hat Statur und Kontur, eine rustikale Natur und eine politische Textur, die in der Euro-Krise hilfreich ist. Von allen aktiven Politikern hat Steinbrück den höchsten Feingoldgehalt - also finanzpolitische Sachkunde samt der Gabe, sie auf den Punkt zu bringen; er kann polarisieren und zugleich die Mitte und den Mittelstand an sich binden." Er sei deshalb die beste Wahl der SPD, seine Troika-Konkurrenten Steinmeier und Gabriel hätten im Wahlkampf schlechtere Chancen als er. "Steinmeier kann nicht so richtig klarmachen, was die SPD eigentlich von Merkel unterscheidet. Gehaltvolle Unterscheidbarkeit wird den Bundestags-Wahlkampf prägen müssen. Steinbrück hat das Talent dafür."
Auch die Wochenzeitung Die Zeit sieht in Steinbrück den besten Kandidaten der SPD. "Steinbrück ist derjenige in der SPD, der am ehesten mit der Autorität Angela Merkels konkurrieren kann, zumal in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Nur liegt die Bundeskanzlerin in der Beliebtheit unter den Bürgern heute weit vor Steinbrück, so wie die Union vor der SPD. Was also kann Steinbrück für die SPD gewinnen? Neue Glaubwürdigkeit, besonders in der Mitte der Wählerschaft, weil er Gerechtigkeitslücken klar benennt. Gestaltungswillen, der weder äußere noch interne Widerstände scheut. Selbstbewusstsein für eine Partei, die seit 2009 nicht richtig zu sich selbst gefunden hat."
Für eine Sturzgeburt hält die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Kür Steinbrücks. Die lange für Winter angekündigte und vorverlegte Entscheidung sei kein Zeichen für Souveränität der SPD. "Sie belegt, dass auch diese Troika nur eine Krückenkonstruktion war. Der Dreibund wurde nicht so sehr von der Furcht vor der Konkurrenz mit der Kanzlerin zusammengehalten wie von der Angst vor der eigenen Partei: Die zermürbt gerne ihre eigenen Spitzenleute. Nun hat sich der Kandidat durchgesetzt, der das am wenigsten fürchtet, weil er das dickste Fell von allen und am wenigsten zu verlieren hat - und der der Kanzlerin am gefährlichsten werden kann, so ihm die SPD in dem Jahr, das vor ihm liegt, nicht noch einiges von seiner Gefährlichkeit nimmt."
Der Münchner Merkur warnt davor, die Aussichten Steinbrücks auf Kanzlerschaft zu unterschätzen. "Der geräuschlose Verzicht des hochseriösen, aber blassen Frank-Walter Steinmeier, dem man einen polarisierenden Wahlkampf im Angesicht der Euro-Krise kaum zugetraut hätte, macht die Bühne frei für einen, der exakt über diese Fähigkeit verfügt. Steinbrück glaubt man sofort, dass er allen Umfragen zum Trotz auf Sieg und nicht auf Platz setzen will. Klar ist, dass Umfragekönigin Angela Merkel ein Gegner von Format erwächst, den nicht nur die Grünen wohlwollend mittragen werden, sondern klammheimlich auch die FDP. Steinbrücks politisches Schicksal dürfte sich an der Frage entscheiden, ob er der Kanzlerin in ihrer Paraderolle als Schutzpatronin der deutschen Sparer und Steuerzahler Paroli bieten kann. Gerade in diesem Punkt sollte man ihn nicht unterschätzen."
Die Tageszeitung Die Welt hält einen Wahlsieg Steinbrücks für ausgeschlossen. Eine echte Abkehr vom Troika-Prinzip konnte die Zeitung bei der "müden Vorstellung im Willy-Brandt-Haus" nicht erkennen: "Auch wenn Steinbrück, dem das letzte und vorletzte Quäntchen Machtwillen wohl fehlt, jetzt im Mittelpunkt der Beobachtung steht - mit ihrer Dreierformation gesteht die SPD ein, dass es mehr als ein schweres Brot ist, gegen Frau Merkel anzutreten. Steinbrück muss so tun, als setzte er auf Sieg, und weiß doch ganz genau: Nur ein Wunder kann verhindern, dass er nach der Bundestagswahl wieder Kellner wird. Mit erweiterter Kompetenz."
Anders beurteilen die Nürnberger Nachrichten die Chancen des frisch gekürten Kanzlerkandidaten. Seine Expertise in Finanzangelegenheiten mache ihn zu einem gefährlichen Gegner der Bundeskanzlerin: "Rein formal bringt Steinbrück alles mit, was ein Kanzler braucht: Er war über viele Jahre hinweg Landesminister, dann sogar Regierungschef des größten Bundeslandes. Als Bundesfinanzminister der Großen Koalition befasste er sich mit den beiden entscheidenden Themen unserer Tage, den Finanz- und Währungsfragen. Auch deswegen kann er Angela Merkel gefährlich werden. Er ist aus der SPD-Troika der einzige ausgewiesene Finanzexperte und könnte in den internationalen Gremien sofort mitdiskutieren. Das Argument, in schwieriger Zeit dürfe man die Pferde nicht wechseln, weil zu viel auf dem Spiel steht, sticht bei ihm nicht."
Die Frankfurter Rundschau sieht den Merkelschen Politikstil mit der Ausrufung des SPD-Kanzlerkandidaten bereits bröckeln. "Steinbrücks Charisma und seine Beliebtheit sind ein Pfund, mit dem die SPD wuchern kann. Sie steht nicht mehr chancenlos einer Favoritin gegenüber, die sich durch die Kunst der wohlgefälligen Profillosigkeit beliebt macht. Steinbrück kann einer Kanzlerin gefährlich werden, die so tut, als wäre ihre Politik so konservativ, sozial und liberal zugleich, dass man konkurrierende Parteien gar nicht mehr bräuchte."
Auch das Badische Tagblatt sieht in Peer Steinbrück einen potentiellen zukünftigen Bundeskanzler. Seine große Chance sei der gute Draht zum liberal-konservativen Lager: "Vor vier Jahren noch - im Kampf gegen die von der Lehman-Pleite ausgelöste Krise - war er Angela Merkels enger Verbündeter. Jetzt soll er 'Mutti' aus dem Amt jagen. Nicht wenig spricht dafür, dass die SPD den Richtigen zum Herausforderer erkoren hat. Steinbrück ist ein Mann, der überzeugen kann: Mit mal geschliffener, mal brachialer Rhetorik, mit großer Sachkenntnis, auch mit wohldosiertem Populismus. Aus der bisherigen SPD-Troika ist er derjenige, der am ehesten Erfolge in konservativ-liberalen Wählermilieus erzielen kann. Wer die Sozialdemokratie zur stärksten politischen Kraft machen will, der muss das können."
Quelle: ntv.de