Pressestimmen

BGH-Urteil zum Elternunterhalt "Unfair, aber weise"

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Das Urteil des Bundesgerichtshofes zur Zahlungspflicht von Kindern an pflegebedürftige Eltern löst in der deutschen Presse gemischte Reaktionen aus. Während die gefühlte Ungerechtigkeit beklagt wird, heben die Zeitungen auch die zentrale Bedeutung der Familie als Solidargemeinschaft hervor.

Zahlen die Angehörigen nicht, muss die Gesellschaft einspringen. Gerecht ist das ebenfalls nicht.

Zahlen die Angehörigen nicht, muss die Gesellschaft einspringen. Gerecht ist das ebenfalls nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meint, dass die Bedeutung des Begriffs "Familie" heute unklarer denn je sei. "Der Bundesgerichtshof hat jetzt auf der Grundlage ziemlich alter Vorschriften und noch älterer Traditionen daran erinnert, dass Familie nicht irgendwie überall da ist, wo gerade Kinder sind - sie ist ein ewiges Band", meint die FAZ und sieht mit dem Urteil eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen berührt. Dabei sei klar, dass der Gesetzgeber "den Solidargedanken in jedem Fall fördern" müsse. Dieser hinge mitnichten nur an der Blutsbande, doch die für das System so wichtigen Kinder bringe eben "nur die traditionelle Familie hervor".

Mit der Bedeutung der Familie in der heutigen Zeit setzt sich auch die Berliner Zeitung auseinander. Diese sei "nicht nur der zentrale Ort, an dem jeder von uns erzogen wird", sondern darüber hinaus "auch für die meisten von uns der wichtigste soziale Zusammenhang". Doch diese Rolle ließe immer mehr nach, da die individuelle Leistung inzwischen mehr zähle, als die soziale Herkunft. "Viele von uns sind mehr Staatsbürger als Familienmenschen", die zwar Steuern zahlten, aber keine familiären Verpflichtungen mehr hätten. "Familie ist ein Lebensabschnitt geworden", meint die Zeitung und sieht deren stützenden Einfluss schwinden.

Dass "die Familie als sozialer Kern der Gesellschaft in Deutschland zu Recht mit viel Geld gefördert und geschützt" wird, findet auch die Pforzheimer Zeitung. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft müssten nun mal füreinander geradestehen, denn man müsse sich "in diesem Zusammenhang auch mal fragen, was die Alternative wäre: Müsste der Sohn nicht für die Pflegekosten aufkommen, bliebe nämlich die Stadt Bremen auf den 9000 Euro sitzen". Auch das hätte wenig mit Gerechtigkeit zu tun.

"Man muss nicht Ethik studiert haben, um zu wissen, dass es einem fundamentalen Gerechtigkeitsgefühl widerspricht, wenn ein Sohn für den Vater zahlen muss, der ihn Jahrzehnte zuvor verstoßen hat", bewertet stattdessen die Frankfurter Rundschau die Entscheidung des BGH. Das Urteil werfe zudem generelle Fragen des Elternunterhaltes auf. "Ist es wirklich angemessen, dass jemand, der 2100 Euro netto im Monat verdient, 200 Euro für den Heimplatz des Vaters oder der Mutter zahlen muss?", fragt das Blatt und führt die bei der Grundsicherung im Alter existierende Einkommensgrenze von 100.000 Euro für jeden unterhaltspflichtigen Angehörigen an. Auch für den Elternunterhalt sei es sinnvoll, eine höhere Grenze anzusetzen. Die jetzige Regelung überfordere viele Angehörige finanziell, "auch diejenigen, die gerne für ihre Eltern zahlen".

Über das Element der Entscheidungsfreiheit in diesem Zusammenhang schreibt der Münchner Merkur. Denn "anders als Eltern, die ein Kind aktiv in die Welt setzen und damit lebenslang in der Verantwortung stehen, hat das Kind keinerlei Einfluss auf seine Erzeuger". Dass dies im Unterhaltsrecht kein Gewicht habe, sei eine gefühlte Gerechtigkeitslücke. Denn den meisten Menschen dürfte es widerstreben, "für einen emotional Fremden das Pflegeheim zu zahlen".

Die Landeszeitung aus Lüneburg meint hingegen, dass "auch Rabeneltern Anspruch auf Unterhalt" hätten. Das Urteil des BGH wirke unfair und weltfremd, sei aber dennoch weise."Weltfremd wirkt der Richterspruch, weil er ignoriert, dass sich die Familienbande seit Jahrhunderten locket". Dabei würden der mittleren Generation oft von allen Seiten Lasten aufgebürdet, wobei die Zuneigung der Betroffenen durchaus eine Rolle spielen sollte. Weise sei es jedoch, da der Aufwand zur Messung dieser Zuneigung vom Staat kaum zu leisten sei. Und wer könne wissen, ob "ein Zerwürfnis nicht vielleicht doch nur behauptet wird, um nicht zahlen zu müssen?"

Quelle: ntv.de

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