Erdogan in Deutschland "Vergleich ist starker Tobak"
28.02.2011, 19:52 UhrDer türkische Ministerpräsident ist auf Wahlkampftour in Deutschland. Dabei behandelt Recep Tayyip Erdogan die Deutschtürken wie sein exterritorial lebendes türkisches Staatsvolk. Dieses Verhalten stößt auf Abwehr, Anschuldigung und Angriff bei manchem Deutschen. Die Presse heißt beide Verhaltensweisen nicht gut.
Der türkische Ministerpräsident ruft in Deutschland bei seiner Rede vor 10.000 türkischen Anhängern zur Integration auf. "Doch wie!", mahnt der Münchner Merkur an. Denn "im Gesamtrahmen seiner Düsseldorfer Rede war diese Formulierung bestenfalls ein Zugeständnis an die political correctness". Im Grunde sei Erdogan als ein Regierungschef aufgetreten, "der sein exterritorial lebendes türkisches Staatsvolk besucht". Ein Beweis dafür sieht das Blatt in Erdogans Hinweis darauf, "in Deutschland lebende Türken hätten den gleichen Schutz 'eines großen Staates, der Türkischen Republik' wie die gerade aus Libyen evakuierten Türken. Dieser Vergleich ist starker Tobak."
Die Märkische Oderzeitung lenkt zunächst den Blick weg von Erdogans Sprache, welche nicht verfangen würde, "wenn das Integrationsthema in Deutschland nicht auch ein Quell von Frustrationen wäre, aus gefühlter wie tatsächlicher Diskriminierung". Die Gründe dafür seien aber nicht eine allgemeine Islamophobie oder der Zwang zur Assimilierung. "Wenn Erdogan das behauptet, ist er purer Demagoge." Es passe aber auch nicht zusammen, so das Blatt die Rede des türkischen Ministerpräsidenten bewertend, "wenn er an die Integrationswilligkeit seiner Landsleute appelliert und sie zum Deutschlernen auffordert, zugleich aber am Vorrang des Türkischen festhält. So ungefähr ist die heutige Wirklichkeit, die Integration behindert und Perspektiven blockiert."
Die Stuttgarter Zeitung stellt fest, dass Erdogans jüngste Rede dieselben bekannten Reflexe auslöse: "Abwehr, Anschuldigung und Angriff". Das beweise die Reaktion des CSU-Generalsekretär Dobrindt, der Erdogan unterstelle, "er habe Deutschland in den Integrationsbemühungen um Jahre zurückgeworfen". "Wozu dieser Furor?", fragt das Blatt aus Stuttgart. "So wie Erdogan die Bühne nutzt, um den starken Mann einer aufstrebenden Regionalmacht zu geben, so nutzen Dobrindt & Co. die Gelegenheit, den Regierungschef des EU-Beitrittskandidaten Türkei in die Schranken zu verweisen. Der Integrationspolitik nutzt weder das eine noch das andere."
"Berlin hat es mit einer Regierung in Ankara zu tun, die ihr Land mit Blick auf den erwünschten EU-Beitritt hin modernisiert, die demokratische Regeln respektiert und ein beachtliches Wirtschaftswachstum vorzuweisen hat", schreibt Der Tagesspiegel und wirft dabei einen Blick auf die politische deutsch-türkische Verbindung. Und die Türkei werde ihre regionale Vormachtstellung in den kommenden Jahren weiter ausbauen. "Ihre Entwicklung kann zu einem Modell für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie werden. Das gilt umso mehr, als seit den Revolutionen in Nordafrika gleich mehrere islamische Länder ihren eigenen Weg in die Zukunft suchen", meint das Blatt weiter. Die Bundesrepublik brauche daher "die Türkei als Partner in der Integrationspolitik. Und es braucht die Türkei als strategisch wichtiges Mitglied der Europäischen Union."
Der Kölner Stadt-Anzeiger meint, dass man es Erdogan nicht zum Vorwurf machen sollte, "dass er gerade auf Wahlkampftour für die Parlamentswahlen im Juni ist. Und er darf auch für den wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei die Werbetrommel zu rühren." Dennoch solle Angela Merkel dem Türken sagen, "dass die türkischstämmigen Menschen hier in Deutschland langfristig gesehen nicht mehr 'seine Staatsbürger' sein werden. Das sehen im Übrigen auch viele jüngere Türkischstämmige so. Sie hören allenfalls gerne Erdogans Aufruf, eine gute Schulbildung zu erwerben. Aber eben nicht, um den Ruhm der Republik Türkei zu mehren - sondern um ein gutes und erfülltes Leben in Deutschland zu führen."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Julia Kreutziger