Wasserlassen geht in Ordnung In die Ostsee pinkeln bleibt straffrei
17.10.2023, 14:47 Uhr Artikel anhören
"Wat mutt, dat mutt".
(Foto: Bernd Wüstneck/dpa)
Öffentliches Urinieren ist verpönt - und eine Ordnungswidrigkeit. Doch wenn die Blase drückt, lässt sich nicht immer auf die Schnelle eine Toilette auftreiben. Gut, wenn dann die Ostsee in der Nähe und es zudem noch dunkel ist.
Egal, ob wegen fehlender Manieren oder aus der Not heraus: In der Öffentlichkeit wird zum Teil hemmungslos uriniert. Begünstigt wird so viel Enthemmtheit nicht zuletzt dadurch, dass in den meisten Städten öffentliche Toiletten Mangelware sind und umliegende Restaurants und Kneipen von Nichtgästen oft happige Gebühren fordern.
Was wiederum hemmungslos geahndet wird. Denn öffentliches Wasserlassen stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit saftigen Geldbußen einhergeht. Mit einer Strafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses muss der Wildpinkler hingegen nicht rechnen - ist diese doch öffentlichen sexuellen Handlungen vorbehalten.
Abgesehen davon sieht die Sache glücklicherweise für diejenigen anders aus, denen in der freien Natur die Blase drückt. Oder konkret an der Ostsee, wie ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts Lübeck zeigt (Az.: 83a OWi 739 Js 4140/23).
Was war passiert?
Ein Besucher der "Travemünder Woche" urinierte in einer Sommernacht kurz nach Mitternacht in die Fluten der Ostsee. Beobachtet wurde er dabei gleich von drei Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die unmittelbar nachdem der Delinquent den Reißverschluss wieder hochgezogen hatte, dafür eine Geldbuße von 60 Euro verhängten. Begründung: "Belästigung der Allgemeinheit" durch "grob ungehörige Handlung" nach Paragraf 118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Das sah der junge Mann anders, die Sache ging vor Gericht.
Das Urteil
Freispruch.
Die Begründung
Der Amtsrichter zeigte Verständnis für das natürliche Bedürfnis und führte aus, es sei schon nicht ersichtlich, ob außer den Mitarbeitern des Ordnungsamtes andere Personen den Vorgang beobachtet hätten. Und selbst wenn: Auch auf öffentlichen Herrentoiletten finde "an durchgehenden Pissoirs, an Rinnen oder sonstigen offenen Abtritten das gesellige Wasserlassen statt".
Auch die Verletzung des Schamgefühls von Strandbesucherinnen sei nicht zu befürchten, denn ein Wasserlassen in der Natur sei "bei Wanderungen, bei Arbeiten in Feld und Flur, bei Jägern und Pilzsammlern, bei Radsportlern, bei Badenden an Seen und Flüssen und bei sonstigen naturnahen Beschäftigungen gesellschaftlich akzeptiert". Zudem sei es dunkel gewesen. Dass es am Spülsaum der Ostsee, anders als in den Bergen und an Waldrändern, keine weiteren Möglichkeiten zum Rückzug gebe, als sich schlicht umzudrehen, könne sich nicht zum Nachteil des jungen Mannes auswirken. Denn: "So ist es halt an der Küste."
Auch eine Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung sei nicht zu befürchten, rechnet der Richter vor: "Die Ostsee enthält eine Wassermenge von 21.631 Kubikkilometern Brackwasser. Der Verdünnungsgrad wäre selbst im Wiederholungs- oder Nachahmungsfall so hoch, dass eine belästigende Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung ausgeschlossen ist."
Die abschließende Begründung des Richters
"Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee."
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: ntv.de, awi