Hessen Kinder gesucht: Kinderkrippen melden freie Plätze
29.10.2025, 04:03 Uhr
Nach Jahren mit vielen suchenden Eltern und Wartelisten bleiben inzwischen in manchen hessischen Kinderkrippen Betreuungsplätze unbesetzt. Was könnte hinter dem Wandel stecken?
Frankfurt (dpa/lhe) - "Krabbelstube Hügelhüpfer hat Plätze frei". Viele Passanten dürften verwundert auf den Zettel im Fenster einer Frankfurter Kinderkrippe schauen. Schließlich war die Suche nach einem Betreuungsplatz lange Jahre eine mühsame Angelegenheit. Inzwischen hat sich die hessenweite Situation zumindest an einigen Orten entspannt, wie eine dpa-Umfrage ergibt.
Auch die Frankfurter Krabbelstube "Am Lindenbaum" kann noch Kinder aufnehmen. Für Leiterin Christine Geßner eine ungewohnte Situation, die sie im Beruf so bislang nicht erlebt hat. "Ich habe die Warteliste schon abgearbeitet", berichtet sie. Blieben Plätze unbesetzt, dann sei das wegen fehlender Einnahmen problematisch.
In Frankfurt gebe es in manchen Stadtteilen eine erkennbare Überversorgung an Plätzen in Relation zu den suchenden Eltern, erklärt der Geschäftsführer der Trägergesellschaft BVZ, Christian Strickstrock. Zu den Ursachen zählten rückläufige Kinderzahlen. Es hätten schon Gruppen geschlossen werden müssen.
Diakon Carsten Baumann, Geschäftsführer der Evangelischen Tageseinrichtungen für Kinder im Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach, berichtet von freien Plätzen für Unter-Dreijährige in vier Frankfurter Stadtteilen. "Die geburtenschwachen Jahrgänge sind in den Krippen angekommen", erklärt er. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in Frankfurt zögen Familien vermehrt ins Umland.
Evangelische Kirche: Freie Plätze eher in Großstädten und Umland
"Wir können feststellen, dass es in ersten Regionen zu freien Plätzen sowohl in Krippen als auch im Kindergartenbereich kommt", erklärt Sabine Herrenbrück, Fachbereichsleiterin Kindertagesstätten in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Eine generelle Trendumkehr sieht die Expertin nicht. Noch seien die Anzeichen "eher vage und regional sehr unterschiedlich". Allerdings würden nicht nur in Frankfurt freie Plätze gemeldet, sondern auch in anderen Regionen. "Im Moment hören wir es eher aus Großstädten und deren Umland", ergänzt Herrenbrück.
Die Gründe für die Entspannung bei den Betreuungsplätzen seien sehr komplex und lägen auf unterschiedlichen Ebenen, erläutert Expertin Herrenbrück. Nach den Coronajahren mit Geburtenanstiegen kämen aktuell weniger Kinder auf die Welt – die Zahlen pendelten sich auf einem niedrigeren Niveau ein. Das wiederum hänge damit zusammen, dass die Gruppe der gebärfähigen Frauen geschrumpft sei.
"Dass der Kinderrückgang in den Ballungsgebieten eintritt, kann möglicherweise damit zusammenhängen, dass Familien seit Corona in den ländlichen Raum ziehen und die Städte als Wohn- und Aufwachsensorte an Attraktivität verloren haben", schätzt Herrenbrück. Ein weiterer Aspekt könne auch die zurückgehende Migration sein. "Wenn der Familiennachzug nicht mehr möglich ist, betrifft dies auch Kinder." Und ein letzter Aspekt könne der Zeitgeist sein, dass sich junge Frauen gegen Kinder entscheiden.
"Auch in Kassel stellen wir fest, dass in einigen Stadtteilen vereinzelt Betreuungsplätze nicht sofort belegt werden können", erklärt ein Sprecher der Stadt. Dies betreffe sowohl Plätze für Kinder unter drei Jahren als auch Ältere. Die Platzvergabe für das Kitajahr 2025/2026 sei allerdings noch nicht abgeschlossen, ergänzt er. Aufgrund der geringen Größenordnung von derzeit unbelegten Plätzen habe dies keine Auswirkung auf die Fachkräftesituation. "Ein Trend lässt sich daraus noch nicht ableiten", bilanziert der Sprecher. "Es gibt weiterhin viele Stadtteile, in denen es deutlich mehr Nachfragen als Plätze gibt. Hier erfolgt auch noch weiterer Platzausbau."
Evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck sieht Stadt-Land-Gefälle
"Bei der Belegungsentwicklung unserer Kindertagesstätten zeichnet sich kein homogenes Bild, aber ein Stadt-Land-Gefälle ab", erklärt eine Sprecherin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anja Berens. Während es etwa in Kassel nach wie vor an Betreuungsplätzen fehle, sei in einigen ländlichen Kommunen die Nachfrage gesunken.
Ein Sprecher der Stadt Wiesbaden erklärte, dass Kinderbetreuungseinrichtungen in der Landeshauptstadt seit kurzem einen Trend hin zu sinkender Nachfrage spürten. Dies schwäche den Fachkräftemangel voraussichtlich ab. Der Sprecher verwies jedoch darauf, dass in den kommenden Jahren die geburtenstärksten Jahrgänge das Rentenalter erreichen werden und sich allein dadurch die Situation voraussichtlich wieder anspannen werde.
(Noch) keine Auswirkungen auf Fachkräftemangel
Auf den aktuellen grundsätzlichen Mangel an Erziehern und Erzieherinnen hat die neue Situation zunächst keine Auswirkungen, erklären auch Experten und Expertinnen aus anderen Regionen Hessens. "In den Einrichtungen, in denen nicht mehr alle Plätze belegt sind, wird vermutlich nach so vielen Jahren engen Personalsituationen einmal durchgeschnauft", sagt Herrenbrück von der EKHN. Langfristig werde die Personalausstattung den Kinderzahlen angepasst. "Aber es wäre erfreulich, wenn zunächst alle offenen Stellen besetzt werden können beziehungsweise nicht mehr besetzt werden müssen, weil sich die Kinderzahl angleicht."
Situation könnte zu mehr Qualität beitragen
Der Erziehermangel ist nach Ansicht von Christian Strickstrock nicht vorbei. "Wir stellen weiterhin Fachkräfte ein", erklärt der BVZ-Geschäftsführer. "Es könnte eher zum Thema bei Hilfs- und Ergänzungskräften werden, die nur noch befristet oder gar nicht mehr eingestellt werden." Die Situation könne auch zu mehr Qualität führen. Er sehe eher eine Chance, als ein Risiko, sagt Strickstrock.
Neben den Einrichtungen mit freien Plätzen gibt es nach wie vor Engpässe bei der Kinderversorgung: Beispielsweise stehen rund 200 Jungen und Mädchen auf der U3-Warteliste der Kita Tabea in Offenbach, 45 Kinder warten auf einen Platz bei den "Kleinen Strolchen" in Frankfurt-Niederrad, wie der Evangelische Regionalverband Frankfurt und Offenbach mitteilt.
Quelle: dpa