Reise

Touristen suchen Ost-Lebensgefühl In der "Rennpappe" durch Berlin

Die Anziehungskraft der DDR scheint, zwanzig Jahre nach der Vereinigung, ihren politischen Beigeschmack verloren zu haben. Neben der Berliner Mauer hat auch die Ostalgie ihren Platz im Programm vieler Touristen gefunden.

Das "DDR-Museum der Alltagskultur" in Berlin ...

Das "DDR-Museum der Alltagskultur" in Berlin ...

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Gerade mal zwölf Stunden hat der Brite Peter Scott für seinen Berlin-Besuch und eine davon verbringt er im DDR-Museum. Sein Fazit: "Was die DDR für die Arbeiterklasse erreichen wollte, war mehr, als die Briten versucht haben." Scott ist einer von rund 400.000 Besuchern, die das Museum jährlich aufsuchen. Es liegt im Schatten des Berliner Doms und stellt den Alltag in der DDR dar. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung erzählen Kleidungsstücke, Wohnungseinrichtung, Bücher und Lebensmittelverpackungen vom Leben in der DDR. Politik steht im Hintergrund.

... zeigt eher, wie der Name schon sagt, den normalen Alltag - wie diese typische Schrankwand.

... zeigt eher, wie der Name schon sagt, den normalen Alltag - wie diese typische Schrankwand.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

"In der DDR sah es nicht viel anders aus als in Finnland zu der Zeit", sagt Ulla Järvlä, eine finnische Touristin. Das Museum hat sie überrascht: "Ich habe etwas Schreckliches erwartet und fand etwas völlig Normales." So wie ihr geht es vielen, die sich aufmachen, um mehr über den untergegangenen sozialistischen Staat zu erfahren. Neben der Berliner Mauer hat auch die Ostalgie ihren Platz im Programm vieler Touristen gefunden.

"Heile Welt der Diktatur"

Als "heile Welt der Diktatur" bezeichnet der wissenschaftliche Leiter des DDR-Museums, Stefan Wolle, das, was in der Ausstellung dargestellt wird. Er empfiehlt daher auch den Besuch der früheren Stasi-Haftanstalt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, um das Bild der DDR komplett zu machen. Doch viele Touristen bevorzugen leichte Kost.

In der früheren Stasi-Haftanstalt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen trifft man dagegen auf harte Wahrheiten.

In der früheren Stasi-Haftanstalt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen trifft man dagegen auf harte Wahrheiten.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

"Das Museum war realistisch und hat den Alltag gezeigt", sagt Johanna, eine Studentin aus Schleswig-Holstein, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Für sie ist Ostalgie eine Art Lokalpatriotismus. "Ich finde es richtig, wenn Menschen versuchen, ein paar Wurzeln zu bewahren - solange sie nicht übertreiben", fügt sie hinzu.

Trabant als Symbol der Wiedervereinigung

Ein Stück Alltag der DDR war auch der Trabant. "Symbol der Wiedervereinigung" nennt ihn Michaela Trepte, Mitarbeiterin der Trabi-Safari, einer Agentur, die Stadtrundfahrten in Trabis organisiert. Vor zehn Jahren gründete der Dresdener Rico Heinzig die Firma mit drei Fahrzeugen. Dank großer Nachfrage hat er inzwischen 80 Wagen in Berlin, Dresden und Potsdam, die jährlich fast 40.000 Menschen aus Ländern wie Mexiko, Südafrika oder Indien herumkutschieren.

Eine knallrote Stretch-Version des "Trabant 601" während einer "Trabi-Safari" durch Berlin vor der "East Side Gallery", einem Teil der ehemaligen Berliner Mauer.

Eine knallrote Stretch-Version des "Trabant 601" während einer "Trabi-Safari" durch Berlin vor der "East Side Gallery", einem Teil der ehemaligen Berliner Mauer.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

"Viele wollen das Trabi-Gefühl erleben, wissen wie es war, mit drei Kindern und Gepäck acht Stunden nach Ungarn zu fahren", sagt Trepte. Angesichts des Miniformats des Autos gibt es bei einigen Touristen Bedenken, ob sie in den Wagen passen, doch die entkräftigt Trepte mit einem "Früher ging's ja auch". Die Touren in dem einst liebevoll Rennpappe genannten Auto geben so Trepte für manchen Konferenzplaner den Ausschlag, ihre Veranstaltung in Berlin stattfinden zu lassen. Bei der Trabi-Safari dürfen die Teilnehmer den Wagen selbst steuern und - wenn nötig - mit dem berühmten Benzin-Öl-Gemisch im korrekten Verhältnis von eins zu 50 betanken.

Sondergenehmigung für Trabi-Touren

Der Berliner Senat hat dem Unternehmen im vergangenen Jahr sogar eine Sondergenehmigung erteilt, als den populären Touren durch die Einführung von Umweltzonen das Aus drohte. "Der Senat hat erkannt, was der Trabi für ein Magnet für Berlin ist", sagt Trepte.

Museale "Heimatstube" in Hellersdorf: Wohnzimmer-Schrankwand vom Typ Favorit aus dem VEB Möbelwerke Naumburg neben anderen Möbeln aus DDR-Zeiten im Wohnzimmer.

Museale "Heimatstube" in Hellersdorf: Wohnzimmer-Schrankwand vom Typ Favorit aus dem VEB Möbelwerke Naumburg neben anderen Möbeln aus DDR-Zeiten im Wohnzimmer.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Die Anziehungskraft der DDR scheint, zwanzig Jahre nach der Vereinigung, ihren politischen Beigeschmack verloren zu haben. Das hofft auch Dagmar Neidigk, Sprecherin der Wohnungsgesellschaft Stadt und Land. Das Unternehmen besitzt eine Museumswohnung in einer Plattenbausiedlung im Bezirk Hellersdorf. Die Dreizimmerwohnung wurde 1986 vom VEB Wohnungsbaukombinat Cottbus fertiggestellt und ist bis auf wenige Details in ihrem Urzustand erhalten.

Neidigk gefällt der Begriff der Ostalgie überhaupt nicht. Sie will die Wohnung als "ein Stück Wohn- und Baukultur aus der damaligen Zeit" verstanden wissen, ein Stück Zeitgeschichte ohne Gefühlsballast. Die Besucher geben ihr Recht. Ostdeutsche Gäste wollen ihren Kindern zeigen, wie damals der Wohnstandard war, Filmteams verwenden die Wohnung als Kulisse. Kürzlich kam sogar ein japanischer Modemacher und nutzte sie als Hintergrund für seinen neuen Katalog.

Quelle: ntv.de, Mechthild Henneke, AFP

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