Reise

Entstanden aus Widerstandsszene Kultur-Landpartie im Wendland

Gorleben, Gorleben, Gorleben. Immer wieder geht es um das geplante Endlager für hoch radioaktiven Atommüll, wenn vom Wendland die Rede ist. Dass sie dort mehr zu bieten haben, zeigt auch die Kulturelle Landpartie. Ein kurzer Blick in eine prall gefüllte Wundertüte.

Akrobat "Tigris" während der "Kulturellen Landpartie" ...

Akrobat "Tigris" während der "Kulturellen Landpartie" ...

(Foto: dpa)

Eine Zeitreise, so scheint es. Keltische Harfen, Lieder für die Erde, Naturkosmetik, Vasen aus durchgesägten Flaschen, Bogenschießen für Anfänger, Wildkräuter sammeln und gemeinsam verzehren. Artisten, Bildhauer, Handwerker, Maler, Schauspieler, Clowns, Wissenschaftler, Kabarettisten und Sänger. Ein Kaleidoskop wendländischen Lebensgefühls, ein ganzer Landstrich als Varieté. Alles in allem so etwa 1000 Veranstaltungen an mehr als 100 Orten, den sogenannten "Wunde.r.punkten", jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten - das ist die "Kulturelle Landpartie", für Eingeweihte nur kurz die "KLP". Das zwölftägige Spektakel lockt bis zu 50.000 Besucher in die dünn besiedelte Gegend.

... in einer zum Theater umgebauten Scheune in Salderatzen im Wendland.

... in einer zum Theater umgebauten Scheune in Salderatzen im Wendland.

(Foto: dpa)

"Ich komme seit zehn Jahren", sagt Birgit Rinke. Die Heilpraktikerin aus Seevetal nutzt die Gelegenheit, alte Freunde zu treffen. "Hier sind immer viele Leute aus Hamburg", sagt sie in Weitsche bei einem Glas Rhabarber-Schorle. Nebenan wird Hawaiianische Massage angeboten, eine Henne steuert ihre Küken zielsicher zwischen den Stühlen hindurch. Wo soll man nur anfangen in all der Fülle? "Der Doktor mit den Wellen, der muss sein", sagt die KLP-erfahrene Frau aus Seevetal. Eine Frau am Nebentisch nickt begeistert. "Und dann die Kulturscheune in Göhrde. Oder nach Salderatzen, Meuchefitz, Bülitz, Groß Heide, die Brauerei in Kussebode..."

Aus Physik wird Kunst

Also erstmal zum Doktor mit den Wellen. Gemeint sind Erich Bäuerle und seine Moislinger Wasseransichten. Wellen, Wirbel, Schwingung und Klang sollen dort zu erleben sein, das Ganze als "Phänomen zum Anfassen". Und so ist es auch, wie sich nach kurzem Marsch durch die Felder zeigt. Plexiglasbecken, Klangschalen und Pendel. In rotierenden Zylindern voll Wasser bilden sich Sandmuster von vollendeter Geometrie.

"Das ist der Moment, wo aus Physik Kunst wird", schwärmt Bäuerle, der Menschen zu begeistern versteht. "Das ist nicht teurer als ein Computer und fördert die Kreativität", erklärt der frühere Meeresphysiker den etwa zwanzig Zuschauern, während er immer neue Muster aus Sand entstehen lässt. "Sowas sollte in die Kindergärten, keine Computer - die kommen noch früh genug", sagt der 63-Jährige. Keine fünzig Meter entfernt stürzt sich tollkühn ein Turmfalke vom Himmel und ergreift eine Maus.

Die Kulturscheune in Göhrde lädt ein zur Pause. Viel Kunsthandwerk und ein Café, davor Livemusik, eine Frau tanzt auf der Wiese. "Die KLP feiert das Leben und das, was es hier im Wendland zu verteidigen gilt", sagt Schulamith Weil. Die Sozialpädagogin lebt im kleinen Örtchen Küsten und hat schon gegen elf der zwölf Castor-Transporte demonstriert. "Wir sind hier nicht nur gegen etwas, sondern wir wissen wofür wir kämpfen - und dass es sich lohnt", sagt die 42-Jährige entschieden. Die Kulturelle Landpartie wolle zeigen, dass man auch anders leben kann. "Das kann man hier sehen, wenn wir die Türen öffnen", sagt sie.

Als politisches Statement gedacht

Entstanden ist die Landpartie 1989 aus der Widerstandsszene der Atomkraftgegner. Sie war damals als politisches Statement für ein umweltfreundliches und gemeinschaftliches Leben auf dem Land gedacht. Viel hat sich getan seit damals, einige Inhalte haben es in den bürgerlichen Mainstream geschafft. Also doch keine Zeitreise? Ein grüner Ministerpräsident, Bio beim Discounter und das Aus für die Atomenergie in Deutschland. Schulamith Weil sieht keinen Grund, zu triumphieren: "Wir lassen uns nicht mit Etikettenschwindel abspeisen", warnt sie streng und wartet ab.

Im November soll der 13. Castortransport kommen. Doch wieder Gorleben. Aber am Abend erstmal zur Kulturellen Lachparade nach Salderatzen mit Kabarett, Gesang und Artisten. Morgen ist auch noch ein Tag, aber schon Montag ist Schluss.

Quelle: ntv.de, Peer Körner, dpa

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