Auch im WM-Jahr Kultur bleibt Magnet
13.03.2006, 11:18 UhrMancher Tourismusdirektor hat Sorgen, dass die Fußball-WM das Reisejahr kräftig durcheinander bringt. Experten gehen aber davon aus, dass sogar das Gegenteil eintreten könnte.
Denn wenn aus dem Ausland zur WM die Fans anreisen, werden sie freilich nicht rund um die Uhr im Stadion sein - oder am Tresen. Zumindest der ein oder andere will noch mehr sehen. "Mitnahmeeffekte" nennt das Ulrich Weinstock, Geschäftsführer von Essen Marketing, der nicht fürchtet, die Museen müssten im Sommer schließen.
Wer Karten für WM-Spiele in Gelsenkirchen und Dortmund hat, werde sich auch in Nachbarstädten wie Essen umsehen, sagte Weinstock bei der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin. Kulturtouristen seien hier an der richtigen Adresse. Mit dem Museum Folkwang, der Villa Hügel der Familie Krupp und dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein beispielsweise gibt es Weinstock zufolge gute Gründe, an Essen nicht vorbeizufahren. Anlass zu Angst vor der WM bestehe also nicht.
Gerold Leppa freut sich sogar richtig auf den Anpfiff - auch aus beruflicher Perspektive: "Wir rechnen damit, dass Touristen zu uns kommen, die die WM-Städte meiden", sagte der Geschäftsführer von Braunschweig Stadtmarketing.
In der niedersächsischen Stadt, einst Residenz Heinrichs des Löwen, können sie dann Kunst und Kultur genießen, während anderswo wie im benachbarten Hannover in den Stadien gelärmt wird. "Die Zahl der Kulturtouristen in Braunschweig wächst", sagte Leppa. "Wir haben im Vergleich zu Berlin etwa auch den Vorteil, dass sich unsere Stadt gut an einem Wochenende entdecken lässt."
Auch aus den WM-Spielorten wird Optimismus signalisiert: Die WM werde Hamburg im Ausland noch bekannter machen, sagte zum Beispiel Bettina Bunge, Marketingleiterin von Hamburg Tourismus. "Und das wird auch die Besucherzahlen wachsen lassen." Für die Zeit des Ereignisses hält Bunge es allerdings für denkbar, dass manche Touristen lieber nicht an die Elbe kommen. Dabei gibt es auch außerhalb des Stadions genügend zu sehen, gerade für Kulturinteressierte.
Und es soll noch viel mehr werden, nicht zuletzt in der Hafencity, Hamburgs jüngstem, noch im Entstehen begriffenen Stadtviertel. Dort soll "Elphi" ihren Platz finden, das korrekt Elbphilharmonie genannte Konzerthaus, das wie die Oper von Sydney das architektonische Aushängeschild Hamburgs werden könnte. Auch das Internationale Maritime Museum wird in der Hafencity seinen Platz haben und kulturinteressierte Reisende anziehen.
Kultur und Tourismus passen ohnehin gut zusammen - hat die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) ermittelt: Kulturreisen aus europäischen Ländern nach Deutschland nahmen von 2000 bis 2004 um 20 Prozent zu. Fast die Hälfte des Gesamtumsatzes im Deutschlandtourismus entfallen auf Kultur- und Städtereisen. Knapp jede fünfte Reise der Deutschen im eigenen Land ist eine Kulturreise.
Kultur wirkt wie ein Magnet - mancher Museumsmuffel mag sich da überrascht die Augen reiben, wenn er solche Zahlen liest: Die Kunsthalle in Bremen hat 2003 mit ihrer Van-Gogh-Ausstellung 320.000 Besucher angezogen, die jüngste Monet-Schau lockte 230.000 Kunstfans. "80 Prozent waren Auswärtige", sagt Miriam Höllings, Marketing-Referentin des Kunstmuseums. Die nächste große Ausstellung zu Paula Modersohn-Becker ist in Arbeit, wird aber erst im Herbst 2007 eröffnen und wahrscheinlich wieder Hunderttausende anziehen.
Die gleichen Erfahrungen hat Paderborn gemacht, nicht gerade eine Kulturmetropole ersten Ranges. 1999 gab es dort in nur drei Monaten 330.000 Besucher bei einer Ausstellung über Karl den Großen - rund doppelt so viele wie die Stadt in Ostwestfalen Einwohner hat. Das klingt gigantisch und ist es auch.
Dieses Jahr nun, zum 900. Todestag Heinrichs IV. wollen die Paderborner daran anknüpfen mit der Ausstellung "Canossa -Erschütterung der Welt". Start ist erst nach der WM am 21. Juli. "Wir rechnen mit rund 200.000 Besuchern", sagt Irmgard Kemper vom Verkehrsverein der Stadt. "Die Ausstellung widmet sich allen Facetten des Lebens im 11. und 12. Jahrhundert", sagt der Historiker Michael Drewniok vom Ausstellungsbüro "Canossa 2006". Selbst wer von Geschichte keinen blassen Schimmer hat, werde beeindruckt sein.
Quelle: ntv.de