Am Mittelpunkt Europas Land voller Gegensätze
20.03.2007, 10:56 Uhr
Ein Ausflug in die Vergangenheit: Im Freilichtmuseum Rumsiskes bei Kaunas lernen Litauen-Urlauber, wie die Bauern des Landes früher gearbeitet haben.
(Foto: picture-alliance/ gms)
In Litauen begegnen dem Besucher viele Gegensätze. Aus einem blitzblanken Golf steigt ein Greis, läuft mit einem Eimer in der Hand auf ein Vier-Sterne-Hotel zu - und beginnt, seine wenige Meter vor dem Prunkbau angekettete Kuh zu melken. Gemächlich verziehen sich die Falten seines Gesichtes - ein zahnloses Lächeln heißt den Reisenden in Litauen willkommen.
Das südlichste der drei baltischen Länder hat viele Gesichter: alte Frauen in Kittelschürzen zum Beispiel, die mit schwieligen Händen Kartoffeln aus dem Boden wühlen - und in der nächsten Stadt auffällig geschminkte Mädchen, die modisch gekleidet ins nächste Caf stöckeln. Oder windschiefe Holzhäuschen, deren ärmliches Mobiliar schon drei Generationen alt ist - mit stolzen Gasthäusern westlichen Standards als Nachbarn, deren Besitzer ebenso stolze Preise fordern.
Ebenso vielfältig wie sein Antlitz sind die Möglichkeiten, die das knapp 3,4 Millionen Einwohner zählende Land seinen Besuchern bietet. Reisende, die sich für Kirchengeschichte interessieren, werden von Litauen ebenso fasziniert sein wie Urlauber, die weite Strände und Einsamkeit suchen. Rund ein Drittel der Landesfläche ist mit Wäldern bewachsen. Zudem gibt es vor allem im Nordosten und im Süden etliche Seen, Moore und Sümpfe. Nach Bergen sucht man in Litauen dagegen vergeblich - die höchste Erhebung Juozapine/Kalnas (Josephinenberg) misst knapp 300 Meter.
Beliebt ist bei Reisenden vor allem die Kurische Nehrung, die säbelförmige Sandnadel im Westen Litauens, die 100 Kilometer lang und an ihrer schmalsten Stelle nur 400 Meter breit in die Ostsee ragt. Auf die Landzunge gelangt man mit der Fähre vom Städtchen Klaipeda aus, bei der Einfahrt in den Nationalpark muss eine Gebühr entrichtet werden.

Vor allem im Sommer ein beliebtes Urlaubsziel: Die Kurische Nehrung mit ihren großen Sanddünen ist 100 Kilometer lang und zum Teil nur 400 Meter breit.
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Flüchtig lassen sich zwischen den Bäumen kurze Blicke auf Fischerboote und Segler erhaschen, dann ist das Dörfchen Juodkrante erreicht. Eine gepflegte Uferpromenade, englischer Rasen, Souvenirstände und Cafs zeigen: Der Ort ist bei Urlaubern beliebt. Sehenswert ist der Hexenberg von Juodkrante, der bei den Mittsommerfeiern im Juni zum mystischen Festplatz wird. Entlang eines Waldweges sind hier 80 geschnitzte Holzskulpturen aufgestellt.
Merkwürdiges gibt es auch auf dem einige Kilometer weiter südlich gelegenen Friedhof von Nida zu bestaunen: Hölzerne Symbole erinnern an jene Fischer, die dem Meer zum Opfer fielen. Die Schnitzereien befinden sich am Fußende der Gräber - damit der Verstorbene sie sich ansehen kann. Im Ort selbst geht es deutlich weniger beschaulich zu. Gartencafs, kleine Bernsteinläden, blumengeschmückte Holzhäuschen und ein schmucker Yachthafen bilden ein turbulentes Urlaubsparadies. Die in Deutschland bekannteste Sehenswürdigkeit Nidas ist das Thomas-Mann-Haus. Der Nobelpreisträger ließ sich das reetgedeckte Sommerhaus 1929 bauen, heute werden dort Fotos und Schriftstücke der Familie präsentiert.
Zudem können Touristen von Nida aus die gigantischen Wanderdünen der Kurischen Nehrung erklimmen. Die "mobilen Sandhaufen" entstanden, als die Menschen Wälder abholzten und der Küste so den Windschutz raubten. Der ökologische Frevel wurde hart bestraft - insgesamt 14 Dörfer wurden von den Dünen in den vergangenen Jahrhunderten "verschluckt". Beachten sollte man bei einer Wanderung über die Sandfelder die strengen Schutzbestimmungen und das Stacheldrahtband, das sich über die höchste der Dünen zieht - dort verläuft die Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad, die von grimmig blickenden Soldaten bewacht wird.
Mit einem Boot kann man von Nida aus zur Memelmündung übersetzen. Das weite Delta des Stromes wird von Moorwiesen und kleinen Fischerdörfchen geprägt - viele davon sind während der alljährlichen Frühjahrsfluten von sämtlichen Landwegen abgeschnitten. Auf den Wiesen eilen zwischen frei laufenden Kühen hunderte Kiebitze umher. Das Delta ist ein schönes Gebiet für Radtouren - auf den Schotterpisten sind kaum Autos unterwegs, und im Spätsommer lässt sich unter üppig tragenden Apfelbäumen herrlich rasten.

Alte Traditionen werden groß geschrieben: In Kleipeda können Touristen noch viel traditionellem Kunsthandwerk begegnen.
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Für Autoreisende dagegen führt der Weg zunächst zurück zum Ausgangspunkt Klaipeda. An Kasernen vorbei, die zunächst die deutschen, dann die russischen Besatzer beherbergten und heute Sitz der jüngsten Universität des Landes sind, geht es in Richtung Norden zu Litauens größtem Kur- und Urlaubsort Palanga. Einen Besuch wert ist das Bernsteinmuseum - nicht nur seiner ausgesuchten Exponate wegen: Die Stücke werden in einem idyllisch in einem Park liegenden Schloss präsentiert, das auch als Fotohintergrund farbenfroher Hochzeitsgesellschaften beliebt ist. Im Inneren ist mit einem 3,5 Kilogramm schweren Brocken einer der schwersten Bernsteine weltweit zu bewundern.
Über die Autobahn A1 geht es dann ins Landesinnere. Die Autobahn ist neu und hervorragend befahrbar - umso größer ist der Schreck, wenn auf dem Seitenstreifen plötzlich Fußgänger oder Fahrradfahrer auftauchen. Das aber ist in Litauen durchaus üblich, selbst der breite Mittelstreifen wird gern für eine Rast genutzt. Ungewöhnlich für deutsche Gäste ist auch die Qualität der "Raststätten". Statt Fast Food in kantinenähnlicher Atmosphäre gibt es hier liebevoll zubereitete Landesspezialitäten in urigen Holzgasthäusern, die nicht nur Vorbeifahrende, sondern auch die Bevölkerung im Umland locken.

Die Stadt hat sich herausgeputzt: In Vilnius gehört die Kathedrale zu den bekanntesten Attraktionen.
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Serviert werden zum Beispiel Cepeliniai, fleischgefüllte Kartoffelknödel - wie die meisten landestypischen Gerichte wahre Kalorienbomben. Litauen ist ein Bauernland und das Essen deshalb deftig, bodenständig und auf reichlich Fleisch konzentriert. Typisch für heimische Tafeln sind auch Volkslieder. Vor allem in abendlicher Runde bleibt es selten unbemerkt - sie singen gern, die Litauer.
Nach zwei Dritteln der Strecke nach Vilnius ist ein weiterer Höhepunkt Litauens erreicht - das Freilichtmuseum Rumsiskes nahe Litauens zweitgrößter Stadt Kaunas. Das parkartige Gelände beherbergt 140 Häuser und 15 Bauernhöfe. Den Umgang mit Stiefelknecht und Käsepresse bekommt man in den Holzhäusern ebenso gezeigt wie den mit Spinnrad und Kornmühle - für den sieben Kilometer langen Rundgang sollte man deshalb ordentlich Zeit mitbringen.
Nach dem beschaulichen Rumsiskes fühlt sich der Besucher bei der Ankunft in Vilnius wie auf einer Zeitreise. In seiner Hauptstadt zeigt Litauen sein modernes Glitzergesicht. Bestens gekleidete Jugendliche flanieren durch die Designerläden der City, dynamische Aufsteiger präsentieren ihren Erfolg mit Maßanzug und Laptop in den Bistros. Vielen Westeuropäern ist noch immer nicht bewusst, dass die Zeiten des Eisernen Vorhangs schon sehr lange her sind und Litauen seitdem einen erstaunlichen Aufschwung erlebte - entsprechend "schockiert" sind sie darüber, dass Vilnius mit seinen gepflegten Altstadtgassen als romantische Mittelmeerstadt durchgehen könnte.

Ausflugsziel nahe der Hauptstadt: Die auf einer Insel gelegene Burg Trakai liegt etwa 30 Kilometer westlich von Vilnius.
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Vilnius ist 2009 EU-Kulturhauptstadt. Die barocke Altstadt zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ehrwürdig alt wirkt auch die 30 Kilometer westlich von Vilnius liegende Inselburg Trakai - obwohl sie tatsächlich erst 1962 wieder aufgebaut wurde. In der gotischen Schlossanlage herrscht meist dichtes Gedränge, von dem man sich bei einer Segel- oder Ruderboottour auf einem der 32 miteinander verbundenen Seen der Wasserlandschaft erholen kann.
Viel weniger spektakulär anzusehen ist ein 25 Kilometer nördlich von Vilnius gelegenes Wahrzeichen Litauens. Markiert mit einem Findling und einem anlässlich des EU-Beitritts 2004 errichteten Obelisken, befindet sich hier der geographische Mittelpunkt Europas.

Das flächenmäßig größte der drei baltischen Länder: Litauen grenzt an Lettland, die Ukraine, Polen und die russische Exklave Kaliningrad.
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Reiseziel: Litauen ist mit 65.300 Quadratkilometern Fläche und knapp 3,4 Millionen Einwohnern das größte und bevölkerungsreichste Land der drei baltischen Staaten. Neben multikulturellen Metropolen wie der Hauptstadt Vilnius ist der größte "Schatz" die Natur: Es gibt fünf Nationalparks, 4.000 Seen und drei Mal so viele Flüsse.
Anreise: Mehrere Fluggesellschaften bieten täglich Verbindungen nach Vilnius an. Im Sommer werden auch Palanga und Kaunas angesteuert. Eine Alternative bieten Autofähren, die ganzjährig zwischen Kiel und Klaipeda verkehren.
Einreise: Zur Einreise genügt ein Reisepass. Auf Verlangen muss eine Auslandskrankenversicherung nachgewiesen werden. Dauert die Reise länger als 90 Tage, muss eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden.
Währung: 1 Litas entspricht 26 Cent (Stand Mitte März 2007). Das Reisen in Litauen ist vergleichsweise günstig. Das gilt jedoch nicht für die Hotels.
Sprache: Die Sprache kann für Ausländer in abgeschiedenen Gebieten zum Problem werden. Doch die meisten jüngeren Litauer sprechen fließend Englisch, und mit Älteren kann man sich häufig auf Deutsch verständigen.
Klima und Reisezeit: Die wenigsten Besucher hat Litauen im Winter, weil diese schneereich und bitterkalt sind. Im Spätsommer erwärmt sich die Ostsee auf mehr als 20 Grad, im Herbst leuchten die Wälder in allen Farben.
Tourismus-Informationen: Baltische Tourismuszentrale, Katharinenstraße 19, 10711 Berlin (Tel.: 030/89 00 90 01, Internet: www.gobaltic.de); Fremdenverkehrsamt Litauen (Internet: www.travel.lt)
Quelle: ntv.de, Annett Klimpel, dpa