Stück Westen in der Ferne Moskau seltsam vertraut
24.03.2009, 11:03 Uhr
In Moskau über die Straße zu kommen, ist oft nicht einfach. Am besten: Rennen! Oder eine Unterführung wählen.
(Foto: picture-alliance/ ZB)
Das F sieht aus wie ein Strich mit zwei Ohren. Das H steht für N, das P für ein gerolltes R. Daran muss man sich in Moskau gewöhnen, denn ohne zumindest minimale Kyrillisch-Kenntnisse wird die Orientierung in der russischen Hauptstadt schwierig. Doch das ist auch schon die größte Hürde. Moskau - was sich auch viele Jahre nach dem Ende von Eisernem Vorhang und Sowjetherrschaft nach einer fremden Welt anhört, kann für Westeuropäer erstaunlich vertraut wirken. Es ist wie ein Stückchen Westen in der Ferne - sieht man von bürokratischen Kapriolen und unverständlichen Speisekarten einmal ab.
Alleine nach Moskau? Ohne gemieteten Bus und deutschsprachigen Führer die Stadt erkunden? Verirrt man sich wegen umgedeuteter Ps und Hs nicht im Straßen- und Metrogewirr? Und wie kommt man an den nachmittäglichen Kaffee und an Ballettkarten, wenn sich das eigene Russisch-Vokabular auf "spassibo" und "poschalsta" - "danke" und "bitte" - beschränkt, die meisten Moskauer aber kaum Englisch sprechen? Kann man sich in der Stadt frei bewegen? Ja, man kann das alles - und zwar sehr gut, vorausgesetzt man verfügt über einen ordentlichen Reiseführer und einen guten Stadtplan.
Mehr Schneisen als Straßen
Im Stadtbild fallen zuerst die schönen Frauen auf. Groß sind sie, elegant, und sie tragen Schuhe mit waghalsig hohen Absätzen. Dann fällt der Blick auf die breiten Straßen - Schneisen ist wohl der passendere Ausdruck, als teilten sie die Stadt in greifbare Häppchen. Für die Edelmeile Twerskaja wurden die Häuser in den 30er Jahren meterweit nach hinten versetzt; die Sowjets wollten mehr Platz haben.
Diese Hauptstraßen haben etwas Gutes, denn sie bieten Fremden Orientierung. Besucher lernen aber auch schnell: Planen sie im Laufe der weiteren Erkundung ihre Straße zu queren, sollten sie sofort die nächstmögliche Unterführung wählen - denn möglicherweise kommt so schnell keine zweite Chance. Die acht-, manchmal zehnspurigen Schneisen einfach so zu überqueren, ist angesichts von rund drei Millionen Autos, die in wahnwitzigem Tempo fahren, reiner Selbstmord.

Auf dem Roten Platz kann man im Winter auch Schlittschuhlaufen. (Bild: Dezember 2008)
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Moskau ist ringförmig aufgebaut, der innerste Kreis umfasst vor allem den Kreml und den Roten Platz. Auf dem zweiten Kreis, dem Boulevard-Ring, kommt man zu wichtigen Sehenswürdigkeiten wie der Christ-Erlöser-Kathedrale oder zum Puschkin-Museum für bildende Künste, das den lange verschollen geglaubten, sagenumwobenen Troja-Schatz zeigt. Innerhalb dieses Rings gibt es mehr als genug für eine Woche zu entdecken.
Roter Platz ist Pflicht
Die Besichtigungstour führt früher oder später zum Roten Platz. Touristengruppen sammeln sich hier um hochgehaltene Fähnchen. Ein Brautpaar, chauffiert von einer weißen Stretchlimousine, küsst sich vor der rot-grün-weiß-goldenen und fast orientalisch wirkenden Basilius-Kathedrale für ein Erinnerungsfoto. Uniformierte bewachen das marmorne Lenin-Mausoleum, das - glatt und geradlinig - vor den verzierten Kremlmauern wie ein Fremdkörper wirkt. Ihm gegenüber liegt das GUM, das am Ende des 19. Jahrhunderts gebaute Luxuskaufhaus. In den Galerien haben westliche Edelmarken wie Dior oder Cartier prestigeträchtige Filialen.

In Moskau trifft man auf eine wechselvolle Geschichte (Stern auf dem Kreml vor der Turmspitze der Michailo-Archangelsker Kathedrale).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
In den Kreml kommt nur, wer Eintritt bezahlt und eine Sicherheitskontrolle passiert hat. Wie in vielen öffentlichen Gebäuden werden die Taschen durchleuchtet und Besucher gecheckt. Schon beim Eintritt sollte man sich überlegen, ob auch Rüstkammer und Diamantenfonds mit ihren Schätzen zur Besichtigung gehören sollen. Zum einen wird dafür ein Extra-Ticket notwendig, zum anderen öffnen die Museen nur viermal am Tag ihre Türen. Die Tickets gilt es übrigens gut zu verwahren. Obwohl sie schon am Eingang geprüft werden, müssen sie für jedes Gebäude erneut einem Ordner vorgezeigt werden - eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auf russisch.
Als Regierungssitz sind weite Teile des Kremls wie der Senat oder der Terempalast für Besucher gesperrt. Das Ensemble aus dem achteckigen Glockenturm "Iwan der Große", der Erzengel-Michael-, Mariä-Himmelfahrts- und Mariä-Verkündungs-Kathedrale gibt aber auch so genug her. Letztere war die Krönungskirche aller Zaren und ist mit ihren vergoldeten Kuppeln das berühmteste Bauwerk. Im Innenraum schnappt man unwillkürlich nach Luft - er ist über und über mit Fresken verziert, was ihn düster und in gewisser Weise auch eng wirken lässt. Zwischen Kirchenschiff und Altar erhebt sich eine prachtvolle Ikonostase, die in orthodoxen Kirchen übliche, mit Ikonen verzierte Wand. Gläubige küssen die von ihnen verehrten Ikonen - hier ist Westeuropa plötzlich wieder sehr fern.
Latte Macchiato statt Tee aus dem Samowar
Ganz anders auf den Straßen: In der Fußgängerzone Alter Arbat oder an der Twerskaja reihen sich moderne Geschäfte aneinander, darunter viele westliche Marken. Junge Männer und Frauen laufen Hand in Hand oder sitzen in Coffee-Shops - neben "Starbucks" haben sich längst lokale Ketten wie das "Kofe-Haus" etabliert. Statt Tee aus dem Samowar gibt es hier Latte Macchiato oder Griechischen Salat. Westlich hoch sind auch die Preise, von denen sich die Gäste aber offensichtlich nicht abschrecken lassen. Viele von ihnen - so heißt es - haben mehrere Jobs, um sich diesen Luxus leisten zu können.

Arbat im Sommer 2008.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Daneben gibt es die echten Reichen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schnell das ganz große Geld scheffelten. Die Finanzkrise hat Russland zwar hart getroffen, Millionäre und sogar Milliardäre gibt es aber immer noch viele - ein Großteil von ihnen lebt in Moskau. Schwarze Luxusimousinen mit getönten Scheiben sind auf den Straßen allgegenwärtig, die Reichen verkehren in schick restaurierten Häusern, die mit Überwachungskameras gespickt sind, und sie gehen in Edelrestaurants wie dem "Puschkin" essen. Die protzigen Räume in überladenem Barock lohnen in jedem Fall einen Blick, Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. hätte seine Freude gehabt.
Daneben sieht man in Moskau aber auch Frauen, die auf der Straße Plastikbecher mit selbst gepflückten Walderdbeeren verkaufen, um sich ein paar Rubel dazuzuverdienen. Und in der Metro fallen die vielen müden, grauen Gesichter auf.
Meisterwerk Metro
Die Metro ist ein Meisterwerk. Wer die Tube in London für genial hielt, wird hier eines Besseren belehrt. Steile Rolltreppen führen in eine Unterwelt, die statt schmaler Röhren prunkvolle Hallen aufbietet. "Paläste fürs Volk" wollten die Sowjets schaffen und schreckten auch nicht davor zurück, dort Marmor aus einer zuvor gesprengten Kirche zu verbauen. Und so warten die Moskauer zwischen stuckverzierten Decken und Wandreliefs, vor beleuchteten Buntglasscheiben und Mosaiken aus vielen tausend Einzelsteinchen.

Prachtvoll wie ein Palast: Die Metro-Station Kurskaja.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Wobei "warten" der falsche Ausdruck ist. Denn neben dem Prunk verblüfft vor allem die Effektivität. Mindestens alle drei Minuten rast eine U-Bahn heran, spuckt Menschen aus und nimmt neue auf, bevor sie klappernd, aber wahnwitzig schnell wieder im Dunklen verschwindet.
Während in Deutschland selbst Einheimische wegen fehlender Übersichten und verwirrender Übergänge in den U-Bahnen verzweifeln, fällt die Orientierung in Moskau erstaunlich leicht. Tickets zum Einheitspreis gibt es am Eingang. Die Verkäuferin guckt zwar wie viele staatliche Angestellte abschreckend mürrisch. Bei den Verständigungsversuchen über wilde Handzeichen taut sie aber sichtlich auf, kramt einen Stift hervor, um den Preis aufzuschreiben, und weist dann selbst mit vielen Handzeichen den weiteren Weg.
Gigantomanie allerorten

Das Gebäude der Lomonossow-Universität überragt alles.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Eine gewisse Gigantomanie lässt sich nicht nur in der Metro beobachten. Immer wieder stößt man in Parks, auf Plätzen oder Straßen auf ehrfurchtsvoll große Denkmä ler wichtiger Personen. Das beste Beispiel sind aber die Sieben Schwestern - sieben monströse Bauten im russischen Zuckerbäckerstil, die den Innenstadtkern einrahmen und von Stalin als Orientierungspunkte in der Stadt geplant waren. Die ehemaligen Wohnhäuser beherbergen heute unter anderem Hotels, Ministerien und die Moskauer Staatliche Universität.
Verziert mit Hammer und Sichel, trägt das Universitätsgebäude eine deutlich sowjetische Handschrift. Denkt man sich diese Insignien aber weg, erinnert es sehr an die Hochhäuser in New York - was wieder zeigt, dass der Westen in Moskau nicht so fern ist.
Informationen zu Moskau
ANREISE UND FORMALITÄTEN: Flüge nach Moskau gibt es von mehreren deutschen Flughäfen aus zum Beispiel mit Lufthansa, Germanwings, Air Berlin und der russischen Aeroflot. Für die Einreise sind ein drei Monate über den Aufenthalt hinaus gültiger Reisepass und ein Visum erforderlich. Mit dem Visumsantrag wird vom Reisenden ein Versicherungsschein der Krankenversicherung verlangt. Vor der Einreise muss eine Migrationskarte ausgefüllt werden, die bei der Ausreise abgegeben wird. Außerdem besteht eine Registrierungspflicht nach der Einreise. In der Regel übernehmen die Hotels diese Aufgabe.

Winter auf dem Roten Platz in Moskau.
(Foto: AP)
KLIMA UND REISEZEIT: Kontinentalklima. Im Sommer kann es in Moskau heiß werden. Als gute Reisezeit gelten die Monate Mai bis September.
ZEITUNTERSCHIED: Zeit in Mitteleuropa plus zwei Stunden.
WÄHRUNG: Für einen Euro gibt es etwa 43 Rubel (Stand: März 2009).
SPRACHE: Russisch. Geschrieben wird in kyrillischen Buchstaben.
GESUNDHEIT: Das Auswärtige Amt empfiehlt Impfschutz gegen Tetanus, Diphtherie und Hepatitis A. Wasser sollte nicht aus der Leitung getrunken werden, um Durchfallerkrankungen zu vermeiden.
UNTERKUNFT: In Moskau gibt es Hotels in allen Preisklassen. In Reiseführern wird oft empfohlen, Hotels über Reiseveranstalter zu buchen, weil die Zimmerpreise dann deutlich niedriger liegen.
Quelle: ntv.de, Carina Frey, dpa