Reisetagebuch II Salz auf Boliviens Boden
16.01.2008, 16:54 UhrFührte uns der erste Teil der Reise in das letzte Abenteuerland der Welt nach La Paz und an die Wurzeln der bolivianischen Kultur am Titicacasee, so gehts jetzt weiter nach Oruro. Mehr als dreieinhalb Stunden im Jeep. Die Straße ließ zu wünschen übrig, aber wir wussten nicht, was uns noch bevorstand.
Oruro liegt rund 3.700 Meter über dem Meeresspiegel und ist mit gut 210.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Boliviens. Oruro ist nicht besonders schön, eine typische Industriestadt; einst befand sich hier das Herz des bolivianischen Zinnbergbaus.
Stadt des weltschönsten Karnevals
Warum also Oruro? Obwohl wir weder aus Köln noch aus Wasungen stammen, wollten wir den Berichten unserer bolivianischen Freunde in Berlin nicht so recht glauben, dass der schönste Karneval der Welt mitten im Altiplano stattfindet. Doch wer das Spektakel miterlebt hat, dem bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.
Ausrede, aber mehr noch willkommene Gelegenheit, wieder einen Schluck "mate de coca" zu sich zu nehmen, denn hier oben ist die Luft ähnlich wie in La Paz bannig dünn und abends recht kühl. Das scheint die Tänzerinnen und Tänzer nicht zu stören. In schier atemberaubendem Tempo bewegen sich hunderte und aberhunderte malerisch gekleideter Menschen über die Plaza 10 de Febrero.
Landesgeschichte und -kultur im bunten Treiben
Alle Karnevalsgruppen haben natürlich auch hier einen Namen. Einer Gruppe anzuhören ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung; die Mitgliedschaft ist Ehre und Lebensinhalt. Die "Caporales" kommen in schwarzen Kostümen daher, die mit silbernen Bordüren abgesetzt sind. Sie erinnern an andalusische Flamencotänzer. Der rund vier Stunden dauernde Zug widerspiegelt die wechselvolle Geschichte dieses Landstrichs, das von Soldaten der spanischen Krone erobert und anschließend von den Hidalgos aus dem "Mutterland" ausgepowert wurde. Heute allerdings liefern sich "Caporales" und "Incas" mit ihren goldenen Hauben keine Kämpfe mehr, sondern ziehen friedlich hintereinander über den Festplatz.
Der Karneval von Oruro ist aus einem Mix einheimischer und importierter christlicher Religion entstanden. Gehuldigt wird der Jungfrau von Cadelaria, Pachamama, der Mutter Erde und ihrem Onkel, dem "to supay", uns allen wohlbekannt als Satan. Das Onkelchen ist Namenspatron der Gruppe "Diablada", abgeleitet von "diablo", dem kastilischen Wort für Teufel. Doch die wohl an die 5.000 Zuschauer haben keine Angst vor dem unsagbar Bösen. Im Gegenteil, die Teufelinnen und Teufel erhalten einen so tosenden Beifall, der sogar die Blasmusik übertönt, die ununterbrochen von einer elfköpfigen Kapelle intoniert wird, die wie die Mitglieder der Tanzgruppen nie außer Atem zu kommen scheinen. Der lauteste Applaus aber ertönt, wenn der weißgekleidete Erzengel Michael mitten zwischen den Teufelchen auftaucht. Irgendwie aus dem Leben gegriffen, schließlich war der Herr der Unterwelt ja auch einmal in der Oberwelt zuhause.
Mit Wasserkiste zum Salzsee
Während Teilnehmer und Zugucker noch einem "Taquia", dem hiesigen Favoriten unter den Bieren, zusprechen, ziehen wir uns ins Hotel zurück. Am nächsten Morgen geht's nämlich früh aus den Federn. Das Ziel: der Salar de Uyuni, der Salzsee von Uyuni, der mit 12.000 Quadratkilometern fast dreimal so groß ist wie der berühmte Great Salt Lake im US-Bundesstaat Utah.
Die Fahrt dorthin ist dann das ultimative Abenteuer, das nur mit einem guten Jeep, einer Kiste voller Mineralwasser und einer gehörigen Portion Humor zu überstehen ist. Gaspar Vera, der uns am Hotel in Empfang nimmt, ist ein erfahrener Reiseführer, der auch eine Kühltasche mit einer riesigen Menge Sandwiches dabeihat. Sicheres Zeichen, dass uns auf dem 300-Kilometer-Trip in südwestliche Richtung keine Restaurants erwarten. Der Motor heult auf, und ab geht's in eine Hochebene, die hier zur Salzwüste erstarrt. Nach ein paar Kilometern ist Schluss mit lustig und geteerter Straße.
Querfeldein durch die Einöde
Nachdem wir an der letzten Tankstelle der Yacimientos Petrolferos de Bolivia, der staatlichen Mineralölgesellschaft, noch rasch getankt haben, folgt eine wenig lustige Geröllpiste, und schließlich ist der Weg kaum mehr von seiner Umgebung zu unterscheiden. Gaspars Satellitenkompass erweist sich als höchst nützliches Instrument. Unterwegs begegnen wir unzähligen Lamaherden, aber keiner Menschenseele. Hier wächst nur noch hartes Gras, das sich aus dem tief gelegenen Grundwasser speist und den Tieren willkommene Speise ist. Höchst praktisch ist der Allradantrieb des Jeeps, der uns häufig genug aus der Patsche hilft.
Erst, als uns nach fünf Stunden auf der Hälfte des Weges ein Truck entgegenkommt, glauben wir Gaspar, dass wir nicht die einzigen vernunftbegabten Lebewesen in dieser Einöde sind. Irgendwann versagt auch der Satellitenkompass. Es ist stockdunkel, als plötzlich ein Licht aufflackert und uns ein paar Kinder, deren Eltern in der Stadt sind, den Weg weisen. Als wir nach zehn Stunden ankommen, bleibt uns wieder einmal der Mund offen stehen: ein Hotel, nur aus Salz gebaut. Wände, Fußboden, Tische, Stühle, Betten, der Tresen im Restaurant. Nur das Dach nicht. Das Baumaterial stammt ganz aus der Nähe. Vom Salar de Uyuni.
Auf den Spuren der Inkas und Mondfahrer
Als wir nach einem erholsamen Schlaf vor die Tür treten, trauen wir unseren Augen nicht. Vor uns liegt eine unendliche, weiße Fläche, die im Morgenlicht erstrahlt wie tausend Sonnen. Ein Schatten spendender Sombrero und eine Sonnenbrille sind "sine qua non". In einiger Entfernung entdecken wir Flamingos. Neil Armstrong soll den Salar vom Mond aus gesehen, seine erste Reise nach seiner Mondfahrt soll ihn hierhergeführt haben.
Ruckzuck sind wir mit dem Jeep auf Incahuasi, der größten Insel des Salar. "Incahuasi" bedeutet Haus des Inka. Der Legende zufolge bot die Insel dem Bruder eines Inkaherrschers Zuflucht, als dieser sich nicht mit ihm über die Machtteilung einigen konnte. Mit oder ohne Inkageschichte ist Incahuasi ein malerisches Fleckchen Erde. Unzählige Säulenkakteen erstrecken sich bis zu zwölf Meter in die Höhe, die älteste ist etwa 1200 Jahre alt.
Jahrtausende alte Mumien, doch keine Spur von Atlantis
Alles in dieser Ecke der Welt ist irgendwie mystisch. Nach der Fahrt über den See zwingt uns Gaspar noch zu einer Kletterpartie. Müde und außer Atem geben wir klein bei. Schließlich kommt man nicht jeden Tag hier vorbei. Als wir dann auf einem Gipfel vor dem Eingang einer Höhle stehen, werden wir für die Mühen belohnt. Vor uns liegt eine Grotte, vielleicht sechs Quadratmeter groß, knapp zwei Meter hoch. Wir fühlen uns ähnlich wie Howard Carter, als er 1923 die Mumie des Tutenchamun entdeckte. Das ist natürlich Unsinn, denn vor uns waren schon ungezählte andere Besucher hier. Doch während es sich beim Pharao um die letzte Ruhestätte eines Herrschers handelte, sind wir hier späte Zeugen des Dramas einfacher Menschen vor 3.000 Jahren: Mutter, Vater, Großvater, zwei Kinder, umgeben von allerlei Gerätschaften.
Die bedauernswerten Geschöpfe hatten sich wohl in der Höhle befunden, als sie bei einem Vulkanausbruch urplötzlich von den Lavamassen eingeschlossen wurden. Manch einer meint, in der Gegend zwischen Oruro und dem Salar de Uyuni hätte sich der sagenumwobene verschwundene Kontinent Atlantis befunden. Haben wir Atlanter gesehen? Sicher nicht. Aber ein abenteuerliches Gefühl im Abenteuerland Bolivien war es allemal.
Quelle: ntv.de