Celine Nadolny Finanz-Bloggerin verrät: Dieses Buch hat mich besonders beeindruckt
06.12.2023, 11:03 Uhr
Für Celine Nadolny ist "Die Berechnung der Zukunft" von Nate Silver ein besonderes lesenswertes Buch.
(Foto: Nadolny)
Mehr als 700 Sachbücher hat Celine Nadolny bereits für ihren Buch-Blog "Book of Finance" rezensiert. Eine ganze Menge Bücher also. Aber welches blieb ihr besonders lange im Kopf? Die Antwort gibt sie hier.
Meine Wahl ist auf ein Buch gefallen, dass überraschenderweise im deutschsprachigen Raum noch nicht sonderlich bekannt ist, obwohl es meiner Meinung nach eines der werthaltigsten Bücher ist: "Die Berechnung der Zukunft" von Nate Silver.
Als ich dieses Buch erstmals gelesen habe, war ich noch davon überzeugt, dass man mithilfe der Mathematik, genauer der Statistik, so ziemlich alles im Leben berechnen und prognostizieren kann. Ich war mir sicher, dass ich als damals schon recht belesene und erprobte Investorin die Kapitalmärkte systematisch outperformen könnte und vertraute vermeintlichen Experten viel zu blauäugig.
Nate Silver, ein begnadetes Genie der Zahlen, ist erstmals als erfolgreicher Pokerspieler an die Öffentlichkeit getreten. Mithilfe der Mathematik perfektionierte er sein Spiel und gehörte zu einer kleinen Elite, die das Pokern professionell und hauptberuflich betreiben konnte.
Einige Jahre später sorgte er abermals für Aufsehen, als er beinahe vollständig korrekte Vorhersagen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl 2008 abgab. Anschließend gehörte ihm das breite mediale Interesse und seitdem beschäftigte Silver sich noch intensiver mit der Informationstechnologie und den Möglichkeiten, in diversen Bereichen bessere Prognosen zu erstellen. 2012 erschien in den USA sein Buch "The Signal and the Noise", die deutsche Ausgabe namens "Die Berechnung der Zukunft" folgte 2013 im Heyne-Verlag, allerdings ist das Buch in Deutschland kaum noch erhältlich.
Sind zuverlässige Prognosen überhaupt möglich? Nate Silver ist davon überzeugt
Überraschenderweise enttäuschte der Autor meine Erwartungen an das Buch recht schnell. Obgleich er mit seiner Vita wie ein Perfect-Match auf meiner Reise zur überdurchschnittlichen Investorin schien, nahm er mir schon auf den ersten hundert Seiten den Wind aus den Segeln. Damals hatte ich noch keine Bücher von John Bogle oder Burton Malkiel & Co. gelesen und war überrascht über die Klarheit und breite Studienlage, mit der Nate Silver meine Absichten als Investorin im Keim erstickte.
Die erste zentrale Aussage aus Nate Silvers Buch lautet: "Das Problem ist nicht der Mangel an Informationen, sondern dass wir die verfügbaren Daten nicht beherrschen, sie nicht miteinander verknüpfen, das wesentliche Signal im Datenrauschen nicht erkennen."
Silver ist der Meinung, dass zuverlässige Prognosen grundsätzlich möglich sind. Es gilt lediglich Zufälle und Ungewissheiten abzuwehren und unser Schicksal selbst zu bestimmen – nur ist dies eben nicht in allen Bereichen gleichermaßen möglich.
Inhaltlich beginnt er sein Buch mit einer kleinen Zeitreise in die Anfänge der Informationsverarbeitung. Von Gutenberg über die ersten Computer und die Einführung des Internets werden verschiedene Stufen des Fortschritts und der "Informationsüberfütterung" dargestellt. Dieser besondere Begriff, die Informationsüberfütterung, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk.
Auf den mehr als 550 Seiten kann man durchaus behaupten, dass der Autor dabei ins Detail geht. An wenigen ausgewählten und über alle Disziplinen hinweg verteilten Beispielen zeigt er die Grenzen von Experten und ihren Prognosen auf. Dabei reicht das Spektrum von der jüngsten Finanzkrise bis hin zu Sportereignissen, der Erdatmosphäre und Infektionskrankheiten.
Nate Silver ist sicher: Wir vergessen oder wollen schlichtweg nicht wahrhaben, dass unsere Modelle Vereinfachungen der Welt darstellen. Und wenn wir Fehler machen, dann glauben wir, dass diese noch im Toleranzbereich unserer Modelle lägen. In komplexen Systemen werden die Fehler aber nicht nur in wenigen Prozentpunkten gemessen und beobachtet, sondern in ganz anderen extremen Größenordnungen.
Nicht vergessen: Irren ist menschlich
Passend dazu wird das Bayes-Theorem behandelt. Kern des Theorems ist die Erkenntnis, dass wir die Fehlbarkeit unseres Urteilsvermögens akzeptieren müssen, wenn wir zu genaueren Vorhersagen gelangen wollen. Letztendlich kommt der Autor zu dem Schluss, dass die Bewegungen an der Börse in jedem sinnvollen Zeitraum unvorhersehbar sind. Zwar schneiden einige Investoren über kürzere Zeiträume besser ab als andere, aber das sei bei Roulette-Spielern in Las Vegas auch nicht anders. Ein wenig sarkastisch fügt er hinzu: "Vielleicht sollten wir etwas Sympathie für diese armen Chartanalysten aufbringen. Das Signal vom Rauschen zu unterscheiden, ist nicht immer einfach."
Auch die Investoren, die sich aufgrund von Kennzahlen in der Rückschau ein Portfolio aufbauen, kommen bei ihm nicht besser weg. Denn im Nachhinein sei es natürlich viel einfacher, relevante von irrelevanten Signalen zu unterscheiden. Im Nachhinein scheint das Signal ganz deutlich zu sein, aber: Statistische Signifikanz hat nicht immer etwas mit praktischer Signifikanz zu tun. Nicht jede statistische Beziehung, die in der Rückschau "erkannt wird", muss auch eine praktische Abhängigkeit widerspiegeln.
Aber wie kann es sein, dass die Börsenkurse langfristig sehr gut vorhersehbar sind, obwohl sie kurzfristig derart unvorhersehbar sind? Theoretisch und empirisch spricht viel dafür, dass Investmentfonds und auch institutionelle Anleger dem Herdentrieb folgen. Dazu gibt es bereits etliche wissenschaftliche Untersuchungen. Darüber hinaus besteht eine Art Symbiose zwischen irrationalen und fähigen Händlern am Aktienmarkt, ähnlich wie beim Poker.
In beiden Fällen ist der qualifizierte (fähige Investor) Akteur auf den Verlierer (irrationaler Investor) angewiesen, da dessen Verlust sein Gewinn ist. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden die irrationalen Händler auch als "Noise Trader" bezeichnet. Stellt sich nur die Frage, welche Art von Investor wir sind?
Es handelt sich um eine Rezension von Celine Nadolny. Die Bloggerin wurde für ihr Projekt BookofFinance.de bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, darunter der Black-Bull-Award für den besten Finanzkanal, der Tiger-Award als Content-Creator des Jahres 2021 und der Medienpreis der Stiftung Finanzbildung als Finanzblog des Jahres.
Quelle: ntv.de