
Aito Garcia Reneses führte eine neue Erfolgskultur bei Alba Berlin ein.
(Foto: imago images/BBL-Foto)
Zehn Klubs in einem Hotel, für drei Wochen in Quarantäne: Der mutige Plan der Basketball-Bundesliga geht auf und das Finalturnier wird zum Erfolg. Der Titel des Corona-Meisters geht nach Berlin, Alba beendet eine jahrelange Durststrecke. Dahinter steckt ein 73 Jahre alter Spanier.
"Ein bisschen denken, essen, schlafen, atmen." Mehr hatte Aito Garcia Reneses am Samstag, dem Tag zwischen den beiden Finalspielen der Basketball-Bundesliga, nicht vor. Gut, eine Trainingseinheit stand noch an für den Coach von Alba Berlin. Aber angesichts von zehn Spielen in gerade einmal 22 Tagen dürfte es darin vor allem um Regeneration gegangen sein als darum, vor dem größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte noch ein hartes Programm zu absolvieren. Nach dem 75:74 (42:35) im Rückspiel gegen die MHP Riesen Ludwigsburg stand dann fest, woran schon nach dem ebenso eindrucksvollen wie deutlichen 88:65 (46:29) im Hinspiel niemand mehr gezweifelt hatte: Der deutsche Basketball-Meister 2020 heißt Alba Berlin - und das hochverdient.
Einerseits, weil die Berliner beim Finalturnier der BBL jedes ihrer zehn Spiele gewannen, fünf davon mit mehr als 20 Punkten Unterschied. Andererseits, weil sie eben nicht einfach nur von Sieg zu Sieg eilten, sondern ihre Gegner phasenweise auseinandernahmen. Im Halbfinale demontierte Berlin die EWE Baskets Oldenburg in der Addition beider Spiele mit 173:122 und gewann jedes einzelne der acht Viertel. "Alba ist die bessere Mannschaft", erkannte Oldenburgs Ausnahme-Center Rasid Mahalbasic in seiner gewohnt offenen Art an, dass sein Team schlicht und ergreifend chancenlos war gegen die Berliner Übermacht.
Die Gelassenheit, mit der Alba-Coach Aito die Frage nach seinen Plänen beantwortete, zeigt sich auch in seinem Wirken als Trainer. Während andere Übungsleiter gestikulierend und fluchend die Seitenlinie entlang tigern, ruht der 73-Jährige in seinem Stuhl. Auszeiten, wenn das Team mehrere schwache Angriffe in Folge spielt? Nicht sein Stil. Spieler mit der Auswechslung bestrafen, wenn sie Fehler machen? Nicht bei Aito. Er setzt viel mehr darauf, dass seine Basketballer aus ihren Fehlern lernen, sieht sie als Teil des Lernprozesses. "Seine Art überträgt sich aufs Team, er vermittelt absolutes Vertrauen in sein Team", lobte Würzburgs Coach Denis Wucherer.
Wer nicht pausiert, reibt sich auf
Dazu kommt, dass Aito, der einst als Aufbauspieler Kapitän des FC Barcelona war und später als Trainer der Katalanen neun spanische Meisterschaften feierte, über den tiefsten Kader dieses Finalturniers verfügte. Keiner seiner Profis spielte im Schnitt mehr als 23 Minuten, vor dem Finale hatten Ludwigsburgs Leistungsträger Nick Weiler-Babb, Marcos Knight und Thomas Wimbush fast doppelt so viele Minuten auf dem Feld gestanden wie Berlins wendiger und umsichtiger Aufbau Peyton Siva, wie der trotz seiner Größe als Spielmacher auftretende Luke Sikma, der im Vorrundenspiel gegen Ludwigsburg mit 15 Punkte, zehn Rebounds und zehn Assists ein seltenes Triple Double schaffte.
Wie der athletische Flügelspieler Rokas Giedraitis, der über weite Strecken unter seinen Fähigkeiten spielte und trotzdem zum Teamerfolg beitrug oder Defensivanker Landry Nnoko, der von einem türkischen Mittelklasse-Team nach Berlin und nun kurz vor einem Wechsel zum serbischen Euroleague-Team Roter Stern Belgrad steht. Dass der nach den Endspielen als Turnier-MVP ausgezeichnete Knight beide Finalspiele angeschlagen verpasste, lag auch daran, dass Ludwigsburg es sich eben nicht leisten konnte, auf ihn zu verzichten.
Statt sich in der engen Taktung des Finalturniers aufzureiben, verschaffte Aito seinen Profis wichtige Atempausen. "Motor" Siva, wie ihn Oldenburgs Trainer Mladen Drijencic bezeichnete, setzte zwei Spiele aus, Sikma und Giedraitis jeweils eines. Die Minuten verteilte Aito dann an junge Profis wie Malte Delow und Lorenz Brenneke, die im Saisonverlauf vor allem beim Kooperationspartner Lok Bernau in der drittklassigen Pro B zum Einsatz kamen. Wohin dieses Vertrauen führt, zeigte Jonas Mattisseck: Der 20-Jährige erspielte sich unter Aito einen festen Platz in der Rotation und gehört mittlerweile zum erweiterten Kader der deutschen Nationalmannschaft.
Erst fünf Finals verloren, dann zwei Titel in vier Monaten
Als Aito 2017 nach Berlin kam, war von Albas altem Glanz wenig übrig. Bamberg und der FC Bayern hatten dem einstigen Serienmeister den Rang abgelaufen, im Trio der "drei großen B" fiel der Name Berlin meist als letztes. Die Meisterschaft 2020, die erste nach zwölf langen Jahren des Wartens, ist die Belohnung für den Wandel, den der Klub vollzogen hat. Was bis zu diesem Jahr dabei noch fehlte, war der letzte Schritt zum Titel. Fünf Finals - zwei in der BBL, zwei im Pokal und eines im Eurocup - erreichte Alba unter Aito und schlich jedes Mal als Verlierer vom Platz.
Im Februar folgte die erste Erlösung, vor heimischem Publikum siegte Berlin im Pokalfinale deutlich gegen Oldenburg. Knapp drei Wochen später folgte die Corona-Pause, aus der Alba so stark und formstabil wie kein anderes Team zurückkehrte und sich nun zum erstmals seit 2008 wieder deutscher Meister nennen darf. Dass dies unter ungewöhnlichen Umständen passierte und vermutlich dauerhaft mit dem Zusatz "Corona" versehen wird? Geschenkt. Anders als mit einem solchen gestrafften Turnier war ein sportliches Beenden der Saison unmöglich und Berlin war das mit Abstand beste Team dieses Turniers. Noch offen ist, ob Aito den eingeschlagenen Weg mit Alba fortsetzt. Vor der Saison hatte er nach reiflicher Überlegung für ein Jahr verlängert, sein Vertrag endet. Dass der Klub gerne weiter mit ihm arbeiten würde, versteht sich von selbst.
Im Vorfeld des Meisterturniers waren die Fragezeichen groß, ob der Plan der BBL aufgehen würde. Zehn der 17 Klubs stimmten zu, sich für bis zu drei Wochen in München in Basketball-Quarantäne zu begeben. Drei Wochen lang pendeln zwischen Hotel und Halle, abgeschnitten von der Außenwelt. Videotelefonate mit der Familie statt Umarmungen und Gespräche beim Abendbrot nach dem Heimkommen vom Training. Spaziergänge durch den Olympiapark waren erlaubt, kurz mal in den Supermarkt gehen dagegen streng verboten. Statt wie andere Ligen die Saison abzubrechen, bastelte die BBL an einem Konzept, in der Corona-Krise sportlich einen Meister zu ermitteln.
Keine Regelbrecher und ein würdiger Meister
Offen war dabei zunächst, wie die Kader aussehen - viele Spieler waren nach der Unterbrechung in ihre Heimatländer zurückgereist, nicht alle kehrten zurück. Unklar war, wie gut das sportliche Niveau nach knapp dreimonatiger Pause sein würde und ob es nicht angesichts der außergewöhnlichen Umstände am Ende einen Meister geben könnte, der eher glücklich zum Titel gekommen ist als wirklich die beste Mannschaft zu sein. Die BBL stellte sich dieser Herausforderung und meisterte sie mit Bravour. Anders als bei der Fußball-Bundesliga gab es niemanden, der sich über die Corona-Regeln hinwegsetzte.
Stattdessen präsentierte die Liga kurzweilige, wenn auch bisweilen sehr deutliche Spiele, vor allem aber zahlreiche Einblicke in das Hotel. Statt sich abzukapseln, lud die BBL über Facebook, Twitter, Instagram & Co. dazu ein, den Profis virtuell über die Schulter zu schauen. In einem regelmäßigen Videoformat gaben sich Spieler und Trainer das Headset in die Hand und erzählten von ihrem Alltag im Münchner Nobelhotel. So groß - auch bei ntv.de - die Skepsis im Vorfeld war, so groß ist die Anerkennung, wie konsequent die Liga ihr Vorhaben realisiert hat. Und dabei auch noch einen absolut würdigen Meister gefunden hat.
Quelle: ntv.de