Sport

DHB-Star ist "unglaublich froh" Als Wolff leidet, wird endlich eine Schuld getilgt

Andreas Wolff lobte die "phantastische Abwehrarbeit" seiner Kollegen.

Andreas Wolff lobte die "phantastische Abwehrarbeit" seiner Kollegen.

(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH)

Andreas Wolff spielt eine begeisternde Europameisterschaft. Der Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft hält sein Team mit Weltklasseleistungen in Serie auf Halbfinalkurs. Doch zuletzt gibt er seinen Kollegen die Gelegenheit, ein Versprechen einzulösen.

Keine 34 Minuten waren gespielt, als die deutsche Handball-Nationalmannschaft Ungarn gebrochen hatte: Kurz nach Beginn der zweiten Hälfte des wichtigen EM-Hauptrundenspiels wollte sich Trainer Chema Rodríguez in eine Auszeit retten, um den deutschen Rausch zu unterbrechen. Als der Buzzer ertönte, der die Unterbrechung anzeigte, pumpten sich die deutschen Spieler berauscht von der eigenen Leistung auf.

Die meisten der 19.750 Zuschauer in der Lanxess-Arena von Köln feierten das DHB-Team für eine endlich alle Ketten sprengende Offensive und eine Abwehr, die gegen Ungarns Riege an Kolossen mit großer Kraft und gewaltiger Beweglichkeit ein bemerkenswertes Bollwerk errichtete. Nach 34 Minuten war der Gastgeber voll zurück in diesem Turnier, in dem es große Ziele nur mit großer Euphorie erreichen kann. Es war ein Spektakel, ein emotionaler Befreiungsschlag nach Tagen des Selbstzweifels. Andreas Wolff hatte zu diesem Zeitpunkt, als Deutschland feierte, noch keinen Ball gehalten. Oft war es zuletzt der Torwart, der die Arena mit spektakulären Paraden im Alleingang zum Kochen gebracht hatte, diesmal sprangen seine Kollegen ein.

"Hab mir alle Bälle selbst reingemacht"

Wolff, dieser Torwart-Titan, der zuvor mit Weltklasseleistungen in Serie der deutschen Mannschaft wahlweise "den Arsch gerettet" (Linksaußen Lukas Mertens) oder "im Turnier gehalten" hatte (Kapitän Johannes Golla), musste gegen Ungarn lange leiden. "Die Jungs haben heute ein ganz anderes Gesicht gezeigt im Angriff", sagte Wolff mit Blick auf seine Vorderleute. Und schob lachend hinterher: "Leider habe ich auch ein ganz anderes Gesicht gezeigt in der ersten Halbzeit. Ich war an allen Bällen dran und hab mir alle Bälle selbst reingemacht."

Nach nicht mal einer Viertelstunde räumte der 32-Jährige das Tor. Weil auch David Späth kein Glück hatte, übernahm Wolff noch vor der Pause wieder. Doch zunächst änderte sich nichts: Rund 40 Minuten dauerte es, bis Wolff, der "derzeit beste Torwart der Welt", zu dem ihn sein Kapitän Golla jüngst geadelt hatte, seine erste richtige Parade zeigte.

"Ich habe keine Ahnung, warum das heute so war. Normalerweise hast du vor einem Spiel mit einer solchen Statistik schon gespürt, dass du ein bisschen unkonzentriert oder neben der Spur bist", sagte Wolff, der nicht müde wurde, die "fantastische Abwehrarbeit" seiner Kollegen zu loben. "Ich habe die Würfe gut gelesen, ich habe gut reagiert - und dann habe ich es geschafft, die Bälle so zu erwischen, dass sie hinter mir im Tor landeten. Wenn man die Bälle zählt, die ich mir selbst reingekegelt habe, kommt man bestimmt auf eine zweistellige Anzahl. Das ist schon bemerkenswert."

Früher, so sagte der Torwart, hätte er sich nach so einem Spielverlauf "selbst zerfleischt". Dass er nun noch einmal aus der 40-Minuten-Krise zurückkam, ist kein Zufall, sondern das Resultat eines selbst verordneten Prozesses: "Das Pflichtdenken, ein gutes Turnier spielen zu müssen, die ganze Mannschaft auf den Schultern tragen zu müssen" habe irgendwann dazu geführt "dass man sich in sich selbst verloren hat", berichtete Wolff jüngst in einer ARD-Doku. Er holte sich professionelle Hilfe bei einer Psychologin, gemeinsam erarbeitete man neue Wege, die großen Stärken und den großen Ehrgeiz in große Qualität zu kanalisieren. "Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, mal einen Fehler zu machen. Dann kassiert man mal einen dummen Ball. Das wirst du nicht mehr ändern können, es ist aber auch nicht das Ende der Welt. Dann konzentrierst du dich auf den nächsten."

"Ich bin unglaublich froh"

In den letzten zwanzig Minuten des Spiels gegen Ungarn schraubte der angefressene, aber keineswegs selbstzerstörerische Wolff seine Fangquote tatsächlich noch auf starke 31 Prozent und sorgte mit dafür, dass die deutschen Fans zum ersten Mal in dieser EM-Hauptrunde schon weit vor der Schlusssirene mit "ihrer" Mannschaft feiern konnten. Neun Bälle hatte er am Ende gehalten. Es war angesichts der stärksten Hauptrundenleistung seiner Kollegen der beste Zeitpunkt für eine lange Zeit schlechte Quote. "Ich bin froh, dass die Jungs mich die erste Halbzeit durchgetragen haben", bedankte er sich bei seinen Mannschaftskollegen.

"Ich hoffe, dass wir im Laufe des Turniers noch zeigen können, dass wir ihn und David auch mal entlasten können, wenn es bei beiden mal zwanzig Minuten nicht so läuft", hatte Rechtsaußen Timo Kastening nach dem Zittersieg über Island (26:24) gesagt. Wolff hatte da in den letzten Minuten zwei Siebenmeter und zuvor Ball um Ball gehalten. Zwei Tage später reparierte er gegen Österreich eine unglaublich nervöse Vorstellung seiner Mannschaft mit 14 Paraden. Nun lösten sie ihre "Schuld" ein.

"Ich bin unglaublich froh, dass Andi heute das Spiel hatte, wo er etwas Pech hatte", sagte Linksaußen Rune Dahmke nach dem Sieg. "Irgendwann musste das ja mal kommen. Und heute konnten wir ihn mal tragen. Es darf allerdings nicht gleichzeitig passieren, dass wir mal gemeinsam einen Aussetzer haben", lachte der gegen Ungarn vor allem in der Verteidigung bärenstarke Kieler. "Aber wenn du Andi hinten drin hast, hast du immer das Vertrauen: Der kommt schon irgendwann! Heute hat er sich ein bisschen länger Zeit gelassen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen