Sie "spürten" toten Mitspieler Am Anfang von Portugals WM-Märchen stehen Tod und Tränen
26.01.2025, 18:18 Uhr
Im März 2021 erlebten Portugals Spieler das emotionalste Spiel ihrer Handball-Historie.
(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)
Portugal schreibt bei der WM eine große Handball-Geschichte weiter. Dazu gehört ein kleines Wunder, bei dem ein toter Profi mitgewirkt haben soll. Alfredo Quintana starb 2021, der Torwart wäre wohl sicher auch bei diesem Turnier im Aufgebot gewesen. Ein Teil des Teams ist er aber weiter.
Der Jubel war grenzenlos. Mit 35:29 hatte die portugiesische Handball-Nationalmannschaft Spanien vom Platz gefegt, dem Außenseiter war damit vorzeitig gelungen, was es noch nie gab: Portugal steht im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Auf dem Weg dorthin haben sie stolze Handball-Nationen wie Norwegen, Schweden und eben Spanien im Staub zurückgelassen. Und treffen nun auf Deutschland. Es ist ein Handball-Märchen, das sie gerade schreiben. Doch weit an dessen Anfang stehen Tränen - und der Tod.
Am 26. Februar 2021 hörte das Herz von Alfredo Quintana auf zu schlagen. Wenige Tage zuvor war er während des Trainings seines Klubs FC Porto kollabiert, ein Herzinfarkt beendete das Leben des Nationaltorwarts mit nur 32 Jahren. Kurz zuvor hatte er mit seiner Mannschaft noch bei der WM in Ägypten auf dem Feld gestanden. Nur wenige Tage nach dem Tod ihres Torwarts mussten die Portugiesen zum entscheidenden Spiel um die Olympia-Qualifikation antreten. Und was da passierte, ließ sogar den Weltverband wohlig schaudern. "Vielleicht haben sie ja einen Schutzengel, denn Portugal gelang eines der größten Comebacks in der Geschichte des Handballs", heißt es im Bericht zum Spiel auf der Seite der IHF.
Portugal, das war vor dem Spiel klar, musste gewinnen, um den damaligen Vize-Weltmeister Kroatien noch um die Olympia-Fahrkarte zu bringen. Schon bei der WM wenige Monate zuvor hatte es das Duell gegeben, mit denselben Vorzeichen. Portugal war chancenlos untergegangen, 23:32 hieß es am Ende. Nach einem katastrophalen Start lagen die Portugiesen auch dieses Mal schnell schon mit bis zu fünf Toren zurück.
"Haben seine Anwesenheit gespürt"
Doch es wurde enger, die Führung wechselte nochmal hin und her, als Frankreich aber kurz vor Schluss mit 28:25 führte, schien das Spiel endgültig entschieden. In die letzte Minute gingen die Franzosen immerhin noch mit einer 28:27-Führung und eigenem Ballbesitz, doch Melvyn Richardson scheiterte aus dem Rückraum. 40 Sekunden vor Schluss schaffte Victor Iturriza den Ausgleich - und einen Ballverlust von Richardson später machte sich Rui Silva zehn Sekunden vor Schluss über beinahe das ganze Feld auf den Weg nach Tokio.
"Ich dachte mir am Schluss nur noch, wir dürfen den letzten Gegenstoß nicht verwerfen", erzählte Rückraumspieler Fabio Magalhaes. Doch Silva traf, mit einem 4:0-Lauf hatte Portugal das Spiel zum letzten, zum entscheidenden Mal gedreht. Die Franzosen warfen noch einmal aufs Tor, der Ball war drin, doch die Schlusssirene war bereits ertönt.
Portugals Handballer durften zum ersten Mal überhaupt zu den Olympischen Spielen fahren. Ihr Torwart, der in 64 Länderspielen im Tor stand und nun für immer fehlen würde, war dieses Mal noch dabei, da waren sie sich sicher. "Wir haben seine Anwesenheit alle gespürt", berichtete Magalhaes. Und Nationaltrainer Paulo Pereira war sich sicher: "Wir haben das nicht alleine geschafft. Ich möchte Alfredo Quintana für alles danken, was er für uns und diesen Erfolg getan hat."
"Es ist etwas Unglaubliches"

Alfredo Quintana spielte einen Monat vor seinem Tod für Portugal bei der Weltmeisterschaft.
(Foto: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN)
In den Momenten nach dem historischen Sieg flossen Tränen der Trauer und der Freude. Sie weinten um ihren Freund und Kollegen, und sie weinten, weil sie Großes erreicht hatten. Miguel Laranjeiro, Präsident des Handballverbands, versicherte: "Wir sind im Namen von Alfredo Quintana hier hergekommen und wir fahren auch für ihn nach Tokio. Wir tragen ihn alle im Herzen."
Im Nationalteam wird, das haben sie damals beschlossen, kein Spieler jemals mehr Quintanas Nummer 1 tragen. In Oslo, wo sich die Portugiesen begeisternd durch die irre Hauptrundengruppe III kämpften und nun gegen Deutschland ums Halbfinale kämpfen, steht der blutjunge Diogo Marques mit der Nummer 16 im Tor, Gustavo Capdeville trägt die 41.
Jetzt schreiben Rui Silva, der seine Mannschaft damals zu den Olympischen Spielen schoss, Rückraumspieler Magalhaes und Kreisläufer Iturriza die Geschichte der "Heróis do Mar" weiter. Der Einzug ins Viertelfinale ist "etwas Unglaubliches, für den Handball in Portugal und für uns als Mannschaft. Vor ein paar Jahren konnten wir uns nicht für diese großen Wettbewerbe qualifizieren", sagte Itarruza, der vor vier Jahren den Tod des Freundes und Mannschaftskollegen beweinen musste. "Es ist mehr als ein Traum."
"Das hat nach dem Tod Quintanas gefehlt"
Nach Quintanas Tod ist eine neue, hochtalentierte Generation zum Team gestoßen, allen voran die Brüder Martim und Francisco Costa, die mit Sporting Lissabon den europäischen Klubhandball aufmischen und nun auch in der Nationalmannschaft an der Seite der "Alten" um Rui Silva und Iturriza für Furore sorgen. So schoss Francisco Costa die Spanier mit fünf Treffern während des entscheidenden 6:0-Laufs beinahe alleine aus dem Turnier, am Ende hatte der 19-Jährige acht Tore auf dem Konto. "Das ist eine sehr interessante Mannschaft", sagte Bundestrainer Alfred Gislason. "Eine super interessante Mischung aus alt und jung, erfahrenen Spielern und sehr frischen, richtig guten Spielern. Sie spielen wirklich gut." Und auch der deutsche Trainer hat Alfredo Quintana nicht vergessen: "Inzwischen haben sie auch wieder eine Torhüterleistung, die ihnen nach dem Tod von Quintana lange gefehlt hat."
Alfredo Quintana lebt in der Mannschaft weiter, die für Portugal schon Historisches erreicht hat. Francisco Costa ist 16 Jahre alt, als sein enger Freund und Mentor Quintana stirbt: "Eines Tages wirst du ein Champion sein", habe Quintana ihm gesagt. So berichtete es Costa in einer Dokumentation der EHF, mit Tränen in den Augen. Der Shootingstar trägt die Initialen "AO" als Tattoo auf seinem Unterarm.
Das Instagramprofil des angehenden Weltklassespielers ziert ein besonderes Bild: Es zeigt Francisco Costa als Kind mit Alfredo Quintana, die Farben sind aus dem Bild gewichen, es ist schwarz-weiß. Am 22. Februar 2021 hatte er es schon ein mal geteilt, damals noch in Bunt. "Seit du klein warst, warst du immer für mich da", schrieb der Teenager damals, "ich möchte, dass du weißt, dass ich jetzt für dich da bin." Ob Quintana die Zeilen seines jungen Freundes noch lesen konnte, ist nicht bekannt. Wenige Tage später starb der Torwart, der kurz darauf - da sind sie sich alle sicher - noch half, ein portugiesisches Handball-Wunder mit auf den Weg zu bringen. "Mach's gut, Alfredo. Ein Dankeschön ist nicht genug", hatten die Portugiesen nach Quintanas Tod geschrieben. Nun ist er wieder dabei, wie damals.
Quelle: ntv.de