Deutsche Biathleten heiß auf WM "Auch ein Martin Fourcade ist knackbar"
08.02.2017, 12:05 Uhr
Massenstart-Finish in Oberhof: Simon Schempp (M.) und Erik Lesser (r.) schlagen den Überflieger dieser Saison, Martin Fourcade (l.).
(Foto: picture alliance / Hendrik Schmi)
Mit der WM in Hochfilzen steht der Höhepunkt der Biathlon-Saison an. Erik Lesser ist eine heiße deutsche Medaillenhoffnung. Der Thüringer, bekannt für seine klaren Worte, spricht mit n-tv.de über Ziele, die Faszination Biathlon, seine Siegesgeste und auch das Dauerthema Doping.
n-tv.de: Herr Lesser, Sie sind derzeit Sechster im Biathlon-Gesamtweltcup, ein absolutes Topresultat, Ihr bestes Weltcup-Jahr bisher. Sind Sie in der Form Ihres Lebens?
Erik Lessers größte Erfolge sind bisher die Weltmeistertitel im Verfolgungsrennen 2015 und in der Staffel 2015, sowie Silber im olympischen Massenstartrennen von Sotschi 2014. 2016 gewann er ein Massenstartrennen im Weltcup. In dieser Saison belegte er in Obehofer Massenstart-Weltcup Platz zwei hinter seinem Teamkollegen Simon Schempp und vor dem Weltranglistenführenden Martin Fourcade. Lesser, 1988 in Suhl (Thüringen) geboren, startet für Eintracht Frankenhain und ist fester Bestandteil der deutschen Biathlon-Staffel. Privat ist er Fan des Fußball-Zweitligisten Erzgebirge Aue.
Erik Lesser: (lacht) Nein, das bin ich hoffentlich nicht. Denn das würde auch heißen, dass ich im kommenden Jahr nicht mehr so fit wäre.
Aber Sie sind bestens gerüstet für die Weltmeisterschaften in Hochfilzen?
Ja, da bin ich sehr guter Dinge, was das betrifft. Ich denke, dass meine Form nicht so schlecht ist. Zudem konnte ich in dieser Saison konstant gute Leistungen abrufen, es gab keine Ausreißer nach unten wie in den vorherigen Jahren. Da hatten mir zum Teil schlechte Laufleistungen bessere Platzierungen kaputt gemacht. In diesem Jahr hat dagegen bisher alles gepasst.
Nach dem Weltcup in Antholz, wie sah Ihre Vorbereitung auf die WM aus?
Nach dem Weltcup hieß es zunächst: zu Hause in Oberhof etwas regenerieren, dabei die heimischen Loipen im Thüringer Wald genießen. Danach ging es nach Obertilliach. Da stand dann auch wieder Schießtraining auf dem Programm. Nichts Wildes, die letzten Feinheiten eben. Einzelgespräche. Wie auch in den Jahren zuvor schon.
Im vergangenen Jahr hat sich das Team in Ruhpolding auf die WM vorbereitet. Warum diesmal Obertilliach?
Ich denke einmal, dass die Höhe von Obertilliach, etwa 1500 Meter, eine Rolle gespielt hat. Gleichzeitig hatten wir unsere Ruhe. In Ruhpolding wären doch mehr Fans vor Ort gewesen als in Obertilliach. Und eine neue Trainingsumgebung hilft auch dabei, im Kopf fitter zu sein: Wenn man immer und immer wieder die gleichen Schleifen zieht, stumpft man mental ein bisschen ab. Neue Anreize zu setzen also war sicher auch ein Grund der Trainer für die Entscheidung der Vorbereitung in Obertilliach.
Wissen Sie schon, in welchen Rennen Sie an den Start gehen werden?
Die Staffel-Aufstellung kennen wir schon (lacht). Aber da will ich den Trainern nicht vorgreifen. Die restlichen Rennen ergeben sich fast von selbst, weil nur vier Athleten die WM-Norm geschafft haben und es vier Startplätze zu verteilen gibt. Ich rechne daher fest mit Sprint, Verfolgung und Einzelrennen. Und auch beim Massenstart sollte ich dabei sein, da sind die besten 15 des Weltcups sicher qualifiziert. Da sollte also nichts mehr anbrennen.
Sie gelten als Mann klarer Worte: Welche Ziele haben Sie sich für die WM gesetzt?
(lacht) Ist das so? Wenn es um konkrete Ziele geht, halte ich mich dennoch gern bedeckt. Ich hoffe einfach, dass meine Form weiterhin stimmt. Dass ich in der Loipe mithalten kann und auch am Schießstand überzeuge. Ein guter Sprint-Wettbewerb ist dabei wichtig für die nachfolgenden Rennen. Eine gute Platzierung da setzt noch einmal zusätzliche Kräfte frei. Top 10, Top 6 - damit kann ich dann schon zufrieden sein.
Wie sieht's mit Medaillen aus?
Mit Medaillen tue ich mich immer ein bisschen schwer, da die Konkurrenz bei uns enorm ist, die Spitze sehr breit. Da kannst du nicht mit Medaillen rechnen. Zudem habe ich in dieser Saison auch trotz allem erst einen Podestplatz eingefahren, mit dem zweiten Platz im Massenstart in Oberhof.
Dennoch: Sehen die Fans in Hochfilzen wieder Ihren besonderen Gruß mit den über den Kopf gekreuzten Armen?
(lacht) Die Siegesgeste hat sich etabliert und ist gewissermaßen auch mein Markenzeichen geworden. Die werde ich auch weiterhin zeigen, wenn ich mal wieder gewinnen sollte. Ganz klar.
Was steckt eigentlich dahinter?
Das erinnert an die gekreuzten Hämmer von Erzgebirge Aue. Ich bin seit Jahren Fan dieses Fußballvereins. Die Mannschaft kämpft in jedem Spiel genau so wie ich in jedem Rennen.
Wie wird man als gebürtiger Thüringer Fan ein "Schachtscheißer", wie sich die Fans von Erzgebirge Aue selbst scherzhaft nennen?
Die Liebe macht alles möglich! Angefangen hat es mit einem Trainingskollegen, der mich einmal mit ins Stadion genommen hat. Ich fand die Atmosphäre dort sehr cool. Mittlerweile habe ich auch seit sechs Jahren eine Freundin, die aus dem Erzgebirge stammt. So kam eines zum anderen (lacht).
Als Fan von Erzgebirge Aue hat man es derzeit nicht leicht, Abstiegskampf in der 2. Liga. Bei Ihnen läuft es deutlich runder, am besten bisher in dieser Saison im Massenstart. Liegt auf diesem Rennen auch in Hochfilzen Ihr besonderes Augenmerk? Schließlich feierten Sie die größten Erfolge bisher im Verfolger (Weltmeister 2016) und im Einzel (Olympisches Silber).
Im Biathlon ist es schwierig, sich auf ein Rennen zu spezialisieren. Was ich aber sagen kann, ist, dass der Sprint die Disziplin ist, bei der ich bisher nicht so richtig glänzen konnte. Läuferisch gab es da des Öfteren Defizite. Im Einzel hängt zwar auch sehr viel von der läuferischen Tagesform ab, da es über 20 Kilometer geht. Andererseits gibt es für jeden Fehlschuss auch gleich eine Strafminute. Kleine Fehler können da ein Rennen bereits entscheiden.
Das gilt aber auch für den Massenstart ...

So sieht ein typischer Rennverlauf beim Massenstart aus: Alles dicht bei dicht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das stimmt. Auch hier spielt das Schießergebnis eine wichtige Rolle. Mittlerweile ist die Konkurrenz hier so eng zusammengerückt, dass du selbst wenn du mit drei Mal Null zum letzten Stehendschießen kommst und einmal nicht triffst, du dann nur noch um die Plätze acht bis zehn kämpfst. Wenn ich schon einmal nicht treffe, dann möglichst am Anfang, dann kann ich danach noch versuchen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Am Ende geht das nicht mehr.
Was ist das Spezielle am Massenstart?
Der Kampf Mann gegen Mann, das direkte Duell. Du siehst deine Gegner, läufst und schießt direkt gegen sie. Da ist ganz einfach mehr Adrenalin im Spiel.
Und was macht die Faszination Biathlon im Allgemeinen aus? Die Arenen sind ja voll, die Einschaltquoten sind seit Jahren top ...
Zuerst einmal liefern die Biathleten seit Jahren Topresultate. Das hilft sowohl medial als auch dabei, die Arenen zu füllen. Gleichzeitig sind die Rennen schnell und abwechslungsreich: Laufen und Schießen, zwei Disziplinen in einer Sportart vereint. In der Regel gibt es eine breite Spitze. In diesem Jahr sticht da allerdings Martin Fourcade heraus. Aber trotzdem wird es nie langweilig beim Biathlon: Das Massenstartrennen in Oberhof war dahingehend die beste Werbung für unseren Sport. Zudem sind die Fans an den Strecken ganz nah dran an den Sportlern.
Wie sehr hat sich der Biathlon in den vergangenen Jahren verändert? Sie feierten ja einst noch die Suhler Stadtmeisterschaft ...

Schnellfeuereinlagen am Schießstand: Auch das ist ein Grund für die Beliebtheit des Biathlons.
(Foto: picture alliance / Sven Hoppe/dp)
Biathlon hat einen höheren Unterhaltungsfaktor als zu meiner Jugend. Es gibt mehr Rennen, die zudem interessanter sind. Die ganzen Wettbewerbe sind zudem schneller geworden. Die Konkurrenz ist größer, die Weltspitze enger zusammengerückt. Es wird schneller geschossen, teilweise sind Stehendschieß-Einlagen von 18 Sekunden an der Tagesordnung - früher waren es 30 und mehr. Alles in allem ist Biathlon spektakulärer geworden und auch massenkompatibler.
Dennoch ist auch das Biathlon vom Thema Doping betroffen. Im McLaren-Report sind auch russische Biathleten vertreten, deren Namen sind der Öffentlichkeit allerdings nicht bekannt. Wie gehen Sie damit um, dass Sie möglicherweise mit Dopern starten müssen?
Zu 100 Prozent weiß man natürlich nie, ob die Konkurrenz absolut sauber ist. Aber man vertraut da dem System, der Wada und den nationalen Anti-Doping-Agenturen, dass die ihre Arbeit machen. Solange es dahingehend keine positiven Proben gibt, ist jeder Athlet, der gegen mich läuft, ein sauberer Athlet. Solche Gedankenspiele, der könnte gedopt sein und der - die kann ich mir im Wettkampf nicht erlauben. Das lenkt zu sehr ab und schlägt sich dadurch auch auf die Ergebnisse nieder. Da machst du dich mental kaputt.
Ist Doping Gesprächsthema unter den Kollegen?
Definitiv! Die Sportler unterhalten sich darüber, auch nationenübergreifend. Das erkennt man auch daran, dass es einen Athletenbrief an den Verband IBU gegeben hat, weil wir ein aktiveres Handeln sehen wollen im Kampf gegen die Doping-Problematik.
Worum ging es genau in dem Brief? Es war ja ein Forderungskatalog.

Martin Fourcade führt überlegen die Weltcup-Gesamtwertung an.
(Foto: picture alliance / Martin Schutt)
Der Brief beinhaltete drei Kernpunkte - neben der Aufforderung an die IBU zum sofortigen Handeln. So sollen etwa die Strafen für bereits aufgedeckte Dopingfälle verschärft werden. Zum einen heißt das: bis zu acht Jahre Sperre für den Sportler. Zum anderen aber auch eine auf bis zu eine Million Euro heraufgesetzte Geldstrafe für den jeweilig betroffenen Verband. Und das Streichen von Startplätzen. Dadurch hoffen wir, die Verbände mehr in die Verantwortung zu nehmen, gegen das Thema Doping auch etwas zu tun.
Von außen betrachtet, sind die Ergebnisse des Weltranglistenführenden Martin Fourcade übermenschlich. Er scheint in der Lage zu sein, auf jede Aktion in jedem Rennen reagieren und noch eins draufsetzen zu können. Ist er dieser Ausnahmeathlet oder steckt da vielleicht mehr dahinter als nur Talent und hartes Training?
Wenn die Frage auf das Thema Doping zielt, kann ich nur sagen, dass er in meinen Augen ein sauberer Athlet ist - und ich ihn auch nicht des Dopings verdächtige. Er setzt sich ebenfalls für härtere Strafen ein. Zudem: Auch ein Martin Fourcade ist im Wettkampf knackbar, siehe Massenstart Oberhof. Aber klar: Diese Gelegenheiten sind in dieser Saison äußerst selten. Seine läuferischen Leistungen sind enorm, die Trefferquote ebenso. Es passt bei ihm derzeit alles.
Ein anderes Phänomen ist der Norweger Ole Einar Björndalen, der mit 43 Jahren noch immer in der Weltcupspitze vertreten ist. Wie kann das sein, wo liegen seine Stärken?
Er ist noch immer irre motiviert, zielstrebig und vernarrt in Biathlon. Natürlich hat er mittlerweile auch seine schwächeren Phasen, die Zeiten, wo er die Weltspitze dominiert hat, sind vorbei. Aber er kann immer noch Nadelstiche setzen, aufs Podest laufen. Da lebt er auch von seiner Routine, seiner einmaligen Wettkampferfahrung. Uns andere Athleten freut es einfach zu sehen, dass man auch mit 43 noch vorn mit laufen kann.
Sehen wir Sie mit 43 auch noch im Biathlon-Weltcup?
(lacht) Mit 43 Jahren? Auf keinen Fall! Ich glaube, da wären meine Motivationsprobleme zu groß. Aber ein bisschen hab ich durchaus noch, wobei ich mich noch nicht wirklich mit meinem Karriereende beschäftigt habe. Die Olympischen Spiele 2018 kommen für einen Rücktritt noch zu früh. Die darauffolgenden Spiele vielleicht? Das hängt dann wiederum von der nationalen Konkurrenz ab. Aber solang ich mir einen Staffelplatz erkämpfen kann, werde ich erst einmal weitermachen.
Wenn Sie sich von Fourcade und Björndalen jeweils eine Eigenschaft abschauen könnten, welche wären das?
Interessante Frage ... Die Erfahrung von Björndalen, gepaart mit dem läuferischen Vermögen von Fourcade. Damit wäre mir auf jeden Fall geholfen! (lacht)
Noch einmal ein klares Lesser-Statement: Wie viele Medaillen wird das deutsche Biathlon-Team, Frauen und Männer, in Hochfilzen gewinnen und wie viele Titel?
(lacht) Da bin ich der absolut falsche Ansprechpartner. Von Medaillenspiegeln halte ich persönlich gar nichts. Da wird es von mir keine Aussagen dazu geben, sonst platzt mir die Hutschnur.
Inwiefern?
Ich finde das zum einen albern und zum anderen vermessen, wenn sich der DOSB vor großen Wettkämpfen wie beispielsweise Olympischen Spielen hinstellt und sagt: Wir haben den und den Sportler, also wollen wir auch die und die Medaille. Das lässt den Respekt vor den Athleten aus den anderen Ländern etwas vermissen. Die nehmen ja auch an den Wettkämpfen teil, um etwas zu gewinnen. Gerade im Biathlon kommt noch dazu, dass die Weltspitze so dermaßen eng zusammengerückt ist, dass zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt meist nur ein Schuss liegt. Biathlon ist eine Freiluftsportart. Da kann alles passieren und sich da irgendwelche Medaillen auszurechnen, finde ich schlichtweg falsch. Da sollten wir uns alle nicht kirre machen lassen!
Mit Erik Lesser sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de