Europaspiele als "Testballon" Baku protzt für Platz im Sportkalender
11.06.2015, 14:24 Uhr
Das Olympia-Stadion in der Hauptstadt Baku.
(Foto: picture alliance / dpa)
Aserbaidschan will in der Sportwelt eine feste Größe werden. Dabei helfen sollen die ersten Europaspiele, die Staatschef Alijew angeblich allein finanziert. Doch die desolate Menschenrechtslage überschattet die Veranstaltung. Hinzu kommt der magere sportliche Wert.
Schon vor Eröffnung liegt ein dunkler Schatten auf den Europaspielen. Je näher die Premiere der kontinentalen Wettkämpfe in Baku rückt, desto stärker wird die europaweite Kritik am Ausrichter Aserbaidschan. Die Regierungsfraktionen wollen pünktlich zur Ouvertüre am Freitag im Bundestag die Nicht-Einhaltung der Menschenrechte in dem autoritär geführten Staat anprangern.
Schon bevor Menschenrechtlern die Einreise verwehrt wurde, verlangte der UN-Sonderbeobachter die Freilassung von Aktivisten. Und auch der Deutsche Olympische Sportbund findet klare Worte. "Man muss eben gerade die Chance solcher Spiele nutzen, um auf die unbefriedigenden und - je nach Thema - inakzeptablen Situationen hinzuweisen", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann.
Fahnenträger und Turn-Star Fabian Hambüchen erklärte vor der Abreise, die Sportler würden sich "zusammensetzen und überlegen, was wir machen werden". Konkrete Aktionen sind aber nicht geplant. "Wir werden diese Veranstaltung nicht nutzen, um eine politische Demonstration durchzuführen", betonte der deutsche Chef de Mission, Dirk Schimmelpfennig. "Aber die freie Meinungsäußerung ist gegeben."
Was steht an?
Vom 12. bis 28. Juni finden in Aserbaidschans Hauptstadt Baku die ersten Europaspiele statt. Die Millionen-Metropole am Kaspischen Meer, der einzige Bewerber, erhielt 2012 den Zuschlag bei der Generalversammlung der Europäischen Olympischen Komitees (EOC). Das Event knüpft an die lange Tradition von Multisport-Veranstaltungen auf anderen Kontinenten an, wie den Asienspielen oder den Panamerikanischen Spielen. Die Erstauflage wird von offizieller Seite als "Testballon" bezeichnet.
Wer nimmt teil?
Sämtliche 50 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) in Europa haben ihre Teilnahme zugesagt - trotz mehr oder weniger deutlicher Kritik an dem Format, der Terminierung und der Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Über 6000 Athleten kämpfen in 20 Sportarten (davon 16 olympisch) um Medaillen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) entsendet mit 265 Athleten (124 Frauen und 141 Männer) eines der größten Kontingente. Nicht vertreten ist Deutschland im Beachsoccer, der Kampfsportart Sambo, Basketball drei gegen drei und in der Leichtathletik. Prominenteste Starter sind die Olympiasieger Britta Heidemann (Fechten) und Sebastian Brendel (Kanu), die Tischtennis-Asse Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov sowie Turn-Weltmeister Fabian Hambüchen.
Wie hoch ist der sportliche Wert?

Sänger Faig Agayev (l.) und Judika Elnur Memmedl - beide aus Aserbaidschan - mit der Flamme der Spiele.
(Foto: picture alliance / dpa)
Überschaubar. Die Judoka tragen in Baku ihre Europameisterschaften aus, allerdings als Ersatzveranstaltung für das abgesagte Event in Glasgow. Ansonsten bringen Titel bei den Europaspielen neben überschaubaren Meriten bestenfalls ein direktes Ticket für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro ein. Dies gilt für die Sieger im Tischtennis, Triathlon und Schießen. Ranglistenpunkte für die Olympia-Qualifikation können im Bogenschießen, Boxen, Judo, Radsport, Taekwondo, Ringen und Volleyball gesammelt werden. Die wichtigsten olympischen Sportarten liegen allerdings brach: In der Leichtathletik wird nur die dritte Liga der Team-EM ausgetragen, die Schwimmer veranstalten Junioren-Europameisterschaften.
Warum ist der Gastgeber umstritten?
Aserbaidschan steht bei Menschenrechtsorganisationen massiv in der Kritik. Staatspräsident Ilham Alijew gilt als Autokrat, der einen rigiden Kurs gegen Kritiker und Oppositionelle fährt. "Nach unseren Kenntnissen sind mindestens 80 Regimekritiker aus fadenscheinigen Gründen inhaftiert. Viele unserer Ansprechpartner vor Ort wollen aus Angst nicht mehr sprechen", sagte Wenzel Michalski von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Wie teuer sind die Europaspiele?

Staatschef Ilham Alijew soll die Spiele privat bezahlt haben - immerhin sechs Milliarden plus Reisekosten für die Teilnehmer.
(Foto: picture alliance / dpa)
Offizielle Zahlen gibt es nicht. Schätzungen zufolge hat sich Despot Alijew den Bau der hochmodernen Arenen mindestens sechs Milliarden Euro kosten lassen. Kein Problem für den 53-Jährigen, der auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und Vizepräsident der staatlichen Ölgesellschaft ist. Für Alijew ist der Sport - wie auch der Eurovision Song Contest 2012 - ein Propagandamittel: 2016 macht die Formel 1 in Baku Station, 2020 die Fußball-Europameisterschaft. Das große Ziel ist die Ausrichtung Olympischer Sommerspiele. Medienberichten zufolge übernimmt Alijew sämtliche Kosten der Teilnehmer. Der DOSB bestreitet dies: Die Entsendungskosten lägen "bei einer Million Euro". Mindestens die Hälfte davon übernimmt der Steuerzahler.
Wie ist die Perspektive der Spiele?
Die Flugdauer des "Testballons" scheint überschaubar, weil Kontinentalmeisterschaften in den jeweiligen Fachverbänden in Europa eine große Tradition haben. Die IAAF (Leichtathletik) und Fina (Schwimmen) zählen zu den größten Kritikern des neuen Formats - auch, weil Europaspiele kurz vor den Weltmeisterschaften in den beiden olympischen Kernsportarten stattfinden. Ohne die Zugpferde wird es auf Dauer kaum gehen. Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: 2018 feiert die "Gegenveranstaltung" European Sports Championships Premiere. Bei der Erstauflage in Berlin und Glasgow tragen unter anderem die Leichtathleten, Schwimmer und Turner ihre Europameisterschaften gleichzeitig aus.
Sind die Wettbewerbe im TV zu sehen?
In Deutschland hat sich Sport1 die Rechte gesichert. Der Münchner Sender überträgt täglich rund sechs Stunden live aus Baku. Zusätzlich werden die Ereignisse jedes Wettkampftages am Abend in einem 30-minütigen Magazin zusammengefasst.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/sid