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Showdown bei der Basketball-WM Wie Deutschland den US-Giganten stürzen kann

Gegen Italien sorgte das US-Team im Viertelfinale schnell für klare Verhältnisse.

Gegen Italien sorgte das US-Team im Viertelfinale schnell für klare Verhältnisse.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Team USA bleibt trotz mehrerer Durchhänger und Fragezeichen in den vergangenen Wochen Gold-Favorit Nummer eins. Dennoch ist das Team von Legende Steve Kerr nicht unschlagbar. Die Schlüssel zu einem deutschen Sensationssieg im Halbfinale liegen in der Zone und beim Spieltempo.

Steve Kerr war bedient, wahrte jedoch Perspektive: "Für uns war es besser, auch mal eine Niederlage einzustecken. Das hat uns zusammengeschweißt. Es war eine immens wichtige Erfahrung für uns, die uns viel über das FIBA-Spiel gelehrt hat. Das hier ist anders als in der NBA. Das hier sind großartige Mannschaften, die Kontinuität zeigen, ihr Spiel aufziehen, eine Identität haben."

Mit diesen Worten reagierte der neunfache NBA-Meister Kerr, heimlicher Star dieser US-amerikanischen Basketball-Auswahl, auf die schockierende und peinliche 104:110 Niederlage im letzten Zwischengruppenspiel gegen Litauen in Manila. Zu Hause in den USA überschlugen sich Fans und Medien mit Häme. Von "überschätzt" über "peinlich" bis zu "planlos" war die Rede.

Die Entscheidung des 57-Jährigen, einen relativ klein gewachsenen Kader für die Weltmeisterschaft in Asien zu nominieren, war ihm vergangenen Freitag gegen die Balten zum Verhängnis geworden. Nur vier Spieler sind mindestens 2,08 Meter groß, die Aufstellungen sehr aufs Flügelspiel ausgelegt mit wenig Präsenz unter den Körben. Die erste Gruppenphasen-Niederlage eines US-Teams seit 2002 hatte sowohl die großen Schwächen des Gold-Favoriten als auch die Blaupause für einen Sieg gegen die eigentlich als unschlagbar geltenden Amerikaner offengelegt. Gleichzeitig scheint die Pleite Kerrs Team aufgeweckt zu haben.

Anfällig gegen Physis und am Brett

Im ersten K.-o.-Rundenspiel, dem Viertelfinale gegen Italien, startete die US-Auswahl furios. Ließ von der ersten Minute an keinen Zweifel, wer ins Halbfinale einziehen würde. "Wir haben gegen Italien mit viel Energie und sehr aggressiv gespielt", analysierte Kerr nach der 100:63-Demontage. "Das wird es auch gegen Deutschland brauchen. Sie sind sehr gut, bislang wahrscheinlich das insgesamt beste Team dieses Turniers. Sie sind eine Einheit, sehr gut gecoacht und haben viel Kontinuität. Sie sind ein physisch sehr starkes Team, gegen das wir ausgezeichnet spielen müssen, um sie zu schlagen."

Bei den Bank-Punkten (57:20) dominierten die Amerikaner zum fünften Mal in sechs Partien vor allem dank der Produktion von Tyrese Haliburton (18 Punkte) und Austin Reaves (12). Einige der Schlüsselduelle am Freitag werden folglich auf den Backup-Positionen stattfinden, wo beide Kontrahenten zu den besten Teams im Turnier zählen (im Schnitt 50,5 Bank-Punkte für die USA und 40,2 für den DBB). Deutschland sicherte sich seinen Viertelfinalsieg gegen Lettland insbesondere dank noch größerer Punktediskrepanz bei den Backups (44:6) und seinerseits beneidenswerter Tiefe. Die vielleicht größte Stärke beider Mannschaften könnte sich damit gegenseitig neutralisieren.

Ein weiterer großer Vorteil der Truppe von Gordon Herbert ist ihre Größe und Physis. Die Deutschen können mit zwei Big Men und einem Jumbo-Flügel wie Franz Wagner (2,08 Meter) operieren, an den Brettern malochen und ihre Power in der Zone entfachen. Vor allem beim Rebounding sind die US-Boys extrem anfällig. Das zeigte sich nicht nur bei der Niederlage gegen Litauen, sondern auch zuvor gegen Montenegro. Jonas Valanciunas (12 Punkte, 7 Rebounds, 2 Blocks) und Nikola Vucevic (21 Punkte, 16 Rebounds, 2 Blocks) stellten die Innenverteidigung der Amis vor teils unlösbare Probleme, Ringbeschützer Jaren Jackson kassierte fünf Fouls in 15 Minuten. Ihn gilt es zu attackieren, unermüdlich ins Pick-and-Roll zu zwingen und mit aggressiven Drives in die Zone unter Druck zu setzen.

Pace als größter Schlüssel

Je besser Deutschland an den Brettern arbeitet, desto mehr kann der EM-Dritte das Tempo der Partie kontrollieren. Sowohl beim eigenen Angriff nach Defensiv-Rebounds als auch beim Verhindern des so verheerenden amerikanischen Transition-Games, das vor allem nach gegnerischen Fehlwürfen seine lawinenartige Energie entfaltet. Wie Herbert die Balance zwischen dem Beackern des offensiven Brettes und dem konservativeren Zurücksprinten und Beschützen des eigenen Korbs justiert, wird entscheidend sein.

Die USA lieben es, ihre athletischen Vorteile im Fastbreak auszunutzen. Mit 26,0 Transition-Punkten pro Partie erzielen die Amerikaner mehr als doppelt so viele wie Deutschland (11,0 im Schnitt). Ihre Energie wird potenziert, wenn sie ihre defensive Aggressivität (10 Steals pro Partie, Nummer eins bei dieser WM) vorne spektakulär veredeln können. Zum Glück zählt Deutschland zu den ballsichersten Teams des Turniers (Rang drei mit nur 10,2 Ballverlusten pro Spiel). "Sie sind das beste Team des Turniers, was das Erzwingen von Ballverlusten angeht. Wichtig für uns ist, dass wir sie ins Halfcourt-Game zwingen", sagt DBB-Coach Gordon Herbert im Vorklapp der Partie. Deutschland muss die Anzahl amerikanischer Ballbesitze minimieren und das Spieltempo drosseln, so gut es geht. Je schneller die Action, desto mehr profitiert Team USA.

"Wir haben so viele Typen, die schnell und agil sind und gut dribbeln können", sagte Kerr beim Abschlusstraining. "Es ist viel einfacher, eine Defensive zu attackieren, bevor sie sich formieren kann. Darauf liegt also unser Fokus." Akteure wie Anthony Edwards, Jalen Brunson, Tyrese Haliburton oder Mikal Bridges bestechen auch in der NBA dank ihrer Fähigkeit, sowohl selbst zu punkten als auch ihre Nebenleute in Szene zu setzen.

"Ant-Man" ist der Superstar

Niemand verkörpert die amerikanische Leichtigkeit und individuelle Qualität besser als Edwards. Der "Ant-Man" zählt trotz seiner erst 22 Jahre schon jetzt zu den bekanntesten Namen in der besten Liga der Welt. All-Star und einer der besten Scorer der NBA ist er bereits. Bei dieser WM scheint ihm auf internationaler Bühne, ähnlich wie LeBron James oder Kevin Durant vor ihm, der Durchbruch zum Superstar zu gelingen.

Sein Spiel ist wie er selbst: dynamisch, athletisch, ausgestattet mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein ... und Spaß. Immer ein Lächeln auf den Lippen, immer am Flachsen. Egal ob im Training, vor versammelter Medienrunde oder während des Spiels. Da ist nichts aufgesetzt. Edwards ist so, gibt sich locker, weil er weiß, dass er jederzeit den Korb finden kann. Er führt die USA beim Scoring an (17,2 Punkte pro Partie), punktete fünfmal in Folge im zweistelligen Bereich. Gegen Litauen schrammte er mit 35 Zählern nur knapp am WM-Rekord der US-Auswahl vorbei (Kevin Durant, 38).

Gegen Italien drängte ihn der Trainerstab, seine Wurfversuche zu drosseln, um mehr Balance ins US-Spiel zu bringen. Mit Erfolg: Edwards nahm nur sechs Würfe aus dem Feld, fokussierte sich stattdessen aufs Verteidigen und Ballverteilen. "Ant kann 30 im Schlaf erzielen. Aber er ist so uneigennützig, und er ist glücklich damit, und er steckt unser Team damit an", sagt Mikal Bridges, der Star der Brooklyn Nets, der gegen Italien mit 24 Punkten zum Matchwinner avancierte.

Reaves (11,0 Punkte pro Spiel), Brunson (10,0), Haliburton (bester Vorlagengeber im Team mit 5,0 Assists pro Spiel), Josh Hart (bester Rebounder mit 6,0 Rebounds pro Spiel) und Paolo Banchero, der junge Teamkollege der Wagners bei den Orlando Magic, vervollständigen einen Großteil der Rotation. Kerrs Team ist so tief, dass NBA-All-Stars wie Brandon Ingram (New Orleans Pelicans) oder Jaren Jackson Jr. (Memphis Grizzlies) anders als in der Liga hier nur eine marginale Rolle spielen.

Haushoher Favorit, aber schlagbar

Kerr, der 1986 als Spieler die Goldmedaille bei der WM in Spanien und insgesamt neun NBA-Meisterschaften als Spieler (Chicago Bulls, San Antonio Spurs) und Coach (Golden State Warriors) gewann, wird auch gegen Deutschland erneut die richtige Mischung finden müssen. Weniger Star-Power als Kollektiv, weniger amerikanisch-relaxte Dominanz im Eins-gegen-Eins und mehr teamdienlicher, fokussierter Mannschaftsbasketball, der von Cuts, Bewegung, Passspiel und konzentrierter Arbeit lebt. Immerhin ist die Herbert-Truppe als letztes verbliebenes Team bei dieser WM ungeschlagen.

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Die USA bleiben dennoch - trotz mehrerer Stolperer in den vergangenen Wochen - Gold-Favorit Nummer eins. Auch wenn die ganz großen Superstars wie LeBron James, Kevin Durant oder Steph Curry diesmal fehlen, kann kein anderes Team diese Mischung aus individueller Extraklasse, Power und defensiver Vielseitigkeit aufs Parkett legen. Wenn sie den Druck hochhalten, schnell spielen und konzentriert bleiben, sieht es düster aus für Opponenten. Dennoch haben sowohl die Vorbereitung als auch diese WM gezeigt, dass sie nicht unschlagbar sind.

Das sagte nicht nur Deutschlands Basketball-Ikone Dirk Nowitzki noch vor der WM - das bewies auch das Testspiel in Abu Dhabi am 20. August, als Deutschland zwischenzeitlich mit 16 Punkten führte und am Ende nur knapp verlor. Der Schock-Sieg der Litauer vergangenen Sonntag tat sein Übriges. Niemand hier in Manila fürchtet die Amerikaner. "Sie sind die Favoriten. Sie haben den Druck", sagte Deutschlands Kapitän Dennis Schröder am Tag vor dem großen Duell. "Wir haben erreicht, was wir wollten. Im Endeffekt können wir also befreit aufspielen. Es sind 40 Minuten. Wer da am härtesten spielt und die Würfe trifft, gewinnt. Die 50:50-Bälle sind wichtig. Die müssen wir unbedingt kriegen. Natürlich haben wir eine Chance, das Spiel zu gewinnen. Das ist beim Basketball immer so."

Quelle: ntv.de

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