
Gislason war bedient.
(Foto: dpa)
Die deutschen Handballer müssen ins Alles-oder-nichts-Spiel um das Olympia-Ticket. Gegen Kroatien lässt das Team einen Matchball vor allem in einer desolaten ersten Hälfte liegen. Es gibt viel zu kritisieren, die Stimmung aber zählt dieses Mal nicht dazu.
Bratwurst? Die gibt es natürlich an den Imbissen in der ZAG-Arena von Hannover zu kaufen. Fünf Euro kostet sie, Brötchen gibt's dazu. So manch ein Fan genoss sie zu einer Cola oder einem Bier vor dem Spiel zwischen Deutschland und Kroatien in der Olympia-Qualifikation der Handballer. Aber während des Spiels hatten die Zuschauer die Hände definitiv frei. Zum Klatschen nämlich und zum Trommeln. Von der von Bundestrainer Alfred Gislason angeprangerten "Bratwurst"-Stimmung auf der Tribüne war während der Partie nichts zu spüren. "Eine Viertelstunde vor Schluss dachte ich, die sind alle mit Bratwurst an der Seite", hatte er beim lockeren 41:29-Auftaktsieg gegen Algerien gesagt. Und "auf mehr" gehofft.
Er sollte mehr bekommen, dafür hatte auch der Hallensprecher vorab alles gegeben. Er mahnte die 10.099 Zuschauer zur vollen Aktivität. Machte Ansagen, wie wann zu reagieren ist und animierte immer wieder zu Deutschland-Deutschland-Sprechchören. Die Arenalautsprecher waren bis zum nahen Zerbersten des Trommelfells aufgedreht, die Ansage, dass die Fans bei Zwei-Minuten-Zeitstrafen aufstehen sollen, um den fehlenden Spieler zu ersetzen, wurde übererfüllt. Die Fans standen fast die komplette Zeit. Von selbst, ohne dazu aufgerufen worden zu sein. "Die Unterstützung war von Anfang bis Ende voll da. Die Zuschauer haben gemerkt, dass wir sie brauchen", sagt Rune Dahmke.
Was es von den Fans mehr für Gislason gab, gibt es von seinen Spielern aber weniger. Deutlich weniger. 30:33 steht es am Ende, ein Ergebnis, das sogar besser aussieht, als es lange wirkt. Vorangegangen ist eine desolate Leistung in der ersten Halbzeit. Erst nach 5:52 Minuten fällt das erste deutsche Tor, Juri Knorr wirft es. Da steht es dann aber gerade einmal 1:4. Und das setzt sich so fort, weitere vier Minuten später erst gibt es das zweite Tor zum 2:5. Früh volle Ernüchterung.
Kroatiens Torhüter Dominik Kuzmanovic hält überragend, hat immer wieder die Hände dran, auch bei mehreren Siebenmetern. Dazu werfen die Deutschen immer wieder unnötig Bälle weg - die Chancenverwertung hatten sie gegen Algerien selbst bereits bemängelt. Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar hatte ein "brutal schweres" Spiel vorhergesagt, die Begegnung war schon bei der Heim-EM zugunsten der Kroaten ausgegangen. Da unter anderen Vorzeichen, Deutschland hatte das Hauptrunden-Ticket bereits sicher, Gislason wollte daher vorab nichts darauf geben.
Altbekannte Probleme im Angriff
Auch dass mit Dagur Sigurdsson nun der einstige DHB-Trainerheld, der 2016 erst Europameister mit den "Bad Boys" wurde und dann auch noch Olympia-Bronze holte, frischgebackener kroatischer Coach ist, wollte sein Landsmann im deutschen Dress nicht allzu hoch bewerten. Schließlich ist Sigurdsson erst wenige Tage im Amt, die Partei gegen Österreich (35:29) war seine erste.
Dahmke war da schon vorsichtiger: "Er kennt uns alle sehr gut und ich weiß, dass er in seiner Zeit in Japan sehr viel Bundesliga geguckt hat", so einer von Dreien im DHB-Team, die mit Sigurdsson die Erfolge gefeiert hat. Dabei liegt die Niederlage nicht ausschlaggebend am vermeintlichen Wissensvorsprung. Die Deutschen machten sich das Leben selbst zu schwer. "Unser Problem waren ganz klar freie Chancen und technische Fehler", sagt Kapitän Johannes Golla nach dem Spiel. "Das Problem begleitet uns schon länger. Gegen Österreich war es dasselbe Problem bei der EM mit den freien Würfen", sagt er rückblickend auf die Heim-Europameisterschaft im Januar, wo Österreich dem DHB-Team in der Vorrunde ein Remis abtrotzte. Und sagt er vorausblickend, denn Österreich ist das Team, das nun entscheidend zwischen Deutschland und den Olympischen Spielen steht.
Es ist alles angerichtet zum Showdown der Nachbarn (14.10 Uhr/ARD und Dyn). Nur die zwei besten Teams aus der Vierergruppe sichern sich ein Ticket für die Sommerspiele in Frankreich. Spannender können die Voraussetzungen nicht sein: Deutschland und Österreich haben exakt dieselbe Tordifferenz. Doch Deutschland hat ein einziges Tor mehr geworfen, was sie diesen winzigen Hauch voraus bringt. Sollte nämlich das Nachbarschaftsduell Unentschieden enden, ist das DHB-Team bei den Olympischen Spielen. Spielmacher Knorr betont schon vor Bekanntwerden dieser Konstellation: "Wir haben ein Endspiel, das ist schön."
"Kroatien hat verdient gewonnen", sagt Gislason. "Wir haben schwerwiegende Fehler gemacht." Immerhin sind er und sein Team sich einig: Die zweite Halbzeit ist ein Mutmacher. Das deutsche Angriffsspiel wird schneller und zielgerichteter, Kuzmanovic hat keine entscheidende Einwirkung mehr auf die Partie - und so kämpft sich das DHB-Team bis auf zwei Tore ran. Es glimmt noch einmal richtige Hoffnung auf, es hapert aber weiter an der Effektivität. Und so wird es nie richtig kitzelig.
Kapitän hadert mit "sehr, sehr schlechtem Gefühl"
"Wenn man etwas Positives aus dieser Niederlage nehmen kann, dann, dass wir notgedrungen gezwungen waren, den ganzen Kader zu nutzen", sagte Gislason und tat das nicht unbedingt freiwillig. Knorr hadert sichtlich mit sich, bekommt lange Auszeiten, Heymann fliegt nach einem Foul an Kroatiens Leader Domagoj Duvnjak mit Rot vom Platz, muss ersetzt werden. Heller Lichtblick ist wie schon beim Sieg gegen Algerien Renars Uscins, der Hannoveraner wird von seinem Heim-Publikum erneut zum Spieler des Spiels gewählt. Auch Torhüter Andreas Wolff zeigt eine anständige Leistung, hat aber auch Pech, weil zweite Würfe doch noch reingehen oder seine Vorderleute im Gegenstoß nichts aus seiner Parade machen.
Nun also das Alles-oder-nichts-Spiel gegen Österreich. "Die Spieler haben sich in der zweiten Hälfte etwas Selbstvertrauen zurückgeholt", so der Coach. Auch er bekommt gegen Österreich sein persönliches Endspiel, schließlich wird sein Vertrag als Bundestrainer nur bis zur Heim-WM 2027 verlängert, wenn die Olympia-Qualifikation gelingt.
Die zweite Hälfte baut auf, das sehen die Spieler unabhängig voneinander so. Mit einer Ausnahme: Kapitän Johannes Golla spricht von einem "sehr, sehr schlechten Gefühl", mit dem sie nach Hause fahren. Im Teamhotel dürfte es am Abend noch viel Gesprächsbedarf geben, sagt er. "Dann werden wir das als Mannschaft auffangen, wir sind so eine gute Einheit, dass wir die Gespräche führen können. Jeder kann sagen, wo der Schuh drückt." Und dann? "Dann werden wir morgen mit einem besseren Gefühl aufstehen und gut in das Spiel starten." Das Geschenk zu Julian Kösters 24. Geburtstag wollen er uns sein Team sich dann nachträglich gönnen.
Quelle: ntv.de