Stars, Modus, Übertragung Corona stört Handball-EM schon vor dem Start
12.01.2022, 07:09 Uhr
Timo Kastening schätzt die deutsche Auswahl eher als Außenseiter ein.
(Foto: imago images/camera4+)
Die Inzidenzen in Europa sind fast überall dreistellig, trotzdem wird die Handball-EM vor Zuschauern ausgespielt. Die Finalrunden sogar vor vollem Haus. Die DHB-Auswahl weiß nicht so richtig, was sie kann, während die Favoriten sich an der Maßgabe von Bob Hanning orientieren dürften.
Was steht an?
Die 15. Handball-Europameisterschaft in der Slowakei und in Ungarn beginnt am Donnerstag, die Medaillenspiele gehen am 30. Januar in Budapest über die Bühne. Die deutsche Mannschaft steigt am Freitag (18 Uhr/ARD) gegen Belarus ins Geschehen ein und trifft in der ausgeglichen besetzten Vorrundengruppe D in Bratislava zudem auf Österreich (16. Januar) und Polen (18. Januar).
Wie stehen die deutschen Chancen?
Das DHB-Team gleicht einer Wundertüte. Von Vorrunden-Aus bis Medaillenspiele: Alles scheint möglich. Neun Turnier-Debütanten sorgen - wie beim 35:34-Erfolg in der EM-Generalprobe gegen Olympiasieger Frankreich gesehen - für reichlich frischen Wind. Sie müssen sich aber erst noch beweisen, wenn es ums Ganze geht. Auf eine offizielle Zielsetzung verzichteten Verband und Bundestrainer Alfred Gislason diesmal. Seit dem sensationellen EM-Titel 2016 wartet der deutsche Handball auf einen Platz auf dem Treppchen.
Wie schätzt die deutsche Mannschaft selbst ihre Chancen ein?
Timo Kastening sieht die deutsche Mannschaft nicht unter den besten vier Nationen: "Das ist aktuell die Realität, entsprechend muss man die Erwartungshaltung ein Stück weit herunterschrauben", sagte der Rechtsaußen des Bundesligisten MT Melsungen in einem Spox-Interview. Für den 26-jährigen Linkshänder steht außer Frage, dass "wir aber in naher Zukunft wieder in die Weltspitze stoßen können und wir auch in der Lage sind, uns während eines Turniers in einen Rausch zu spielen". Die Spiele der Vorrunde könnten alle gewonnen, aber an schlechten Tagen auch alle verloren werden. Kastening: "Wenn du die ersten beiden Spiele verlierst, ist alles, was du vor dem Turnier erzählt hast, völlig egal."
Wer sind die Favoriten?
Weltmeister Dänemark gehört natürlich zu den Titelkandidaten, das Team um den dreifachen Welthandballer Mikkel Hansen und den aufstrebenden Mathias Gidsel verteidigte im Vorjahr erfolgreich den WM-Titel. Auch Olympiasieger Frankreich ist immer zu nennen, wenn es um die Favoriten. Nikola Karabatic mag inzwischen 37 Jahre alt, seine Klasse ist weiterhin unbestritten. Zudem ist er mit 324 Länderspielen der mit Abstand erfahrenste Profi, der bei dieser EM aufläuft. In dessen Schatten erwächst allerdings in Spielern wie Ludovic Fabregas und Dika Mem längst die nächste Generation.
Die spanische Auswahl peilt nach den Erfolgen 2018 und 2020 den Titelhattrick an, mit dem verlorenen Finale 2016 gegen Deutschland standen die Iberer sogar dreimal in Folge im Endspiel. Nicht mehr dabei ist der legendäre Raul Entrerrios, ein Umbruch aber sieht angesichts der Routiniers im Kader anders aus. Norwegen schielt nach WM-Silber 2017 und 2019 und EM-Bronze 2020 auf den großen Coup, auf den ersten großen Titel im Männerhandball. Elementar dafür werden die Leistungen von Rückraumstar Sander Sagosen sein. Kroatien unterlag vor zwei Jahren den Spaniern im Finale und ist auch diesmal wieder ein Aspirant für den Finaleinzug - auch, wenn ein Ausnahmeprofi den Turnierstart verpasst (siehe unten).
Wie ist der Modus?
Die Vorrunde wird in sechs Vierergruppen ausgetragen. Die ersten beiden Mannschaften jeder Gruppe ziehen in die Hauptrunde ein, in der es dann zwei Sechsergruppen gibt. Die beiden bestplatzierten Teams der beiden Hauptrundengruppen erreichen das Halbfinale, die Drittplatzierten spielen den fünften Platz aus. Alle Finalspiele werden in Budapest ausgetragen.
Wie stark beeinflusst Corona das Turnier?
Corona war das große Thema der vergangenen Tage. "Es ist schon beängstigend, wenn man die Zahl an Infektionen im europäischen Handball sieht", sagte DHB-Kapitän Johannes Golla in der ARD. Während das deutsche Team bislang vom Virus verschont geblieben ist, bestimmten etliche Infektionen bei anderen Nationen die Schlagzeilen. Als zahlreiche Stars für den Turnierstart auszufallen drohten, verkürzte die Europäische Handballföderation (EHF) die verpflichtende Quarantäne positiv getesteter Spieler für die EM kurzerhand von 14 auf 5 Tage. Die Veranstalter haben sich für ein strenges Hygienekonzept mit einer engmaschigen Teststrategie entschieden, eine vollkommen abgeschottete Turnier-Blase wie beispielsweise bei der WM vor einem Jahr in Ägypten wird es allerdings nicht geben. Namhafte Profis wie die Kroaten Domagoj Duvnjak und Luka Cindric oder der Däne Jannick Green werden den Turnierstart zwar coronabedingt verpassen, dürfen sich aber für den weiteren Verlauf noch Hoffnungen machen.
Sind Zuschauer erlaubt?
Ja. Die Inzidenzen in den Ausrichterländern sind wie in ganz Europa zwar seit Wochen im dreistelligen Bereich und die Impfquoten liegen deutlich unter der in Deutschland (unter 50 in der Slowakei, knapp über 60 in Ungarn). Doch die slowakischen Behörden haben eine Hallenauslastung von maximal 25 Prozent genehmigt, das entspricht im deutschen Vor- und Hauptrundenspielort Bratislava 2500 Zuschauern. In Budapest, wo ab dem Halbfinale ausschließlich gespielt wird, gibt es nach aktuellem Stand keinerlei Restriktionen.
Wie kann man die EM-Spiele aus der Heimat verfolgen?
Handball-Fans in Deutschland dürfen sich auf ein umfangreiches Bewegtbild-Angebot freuen. ARD und ZDF übertragen alle deutschen EM-Auftritte live, außerdem gibt es bis zu 18 Spiele ohne deutsche Beteiligung im Free-TV bei Eurosport zu sehen. Und wer damit nicht genug hat, kann sämtliche 65 EM-Partien live und auf Abruf im Internet auf Sportdeutschland.TV verfolgen. Den digitalen Turnierpass bietet die Online-Plattform zum Preis von zwölf Euro an, Einzelspiele können für 3,50 Euro erworben werden.
Was noch zu sagen wäre?
Bob Hanning mag zwar seit dem vergangenen Jahr nicht mehr Vize-Präsident des DHB sein, für klare Ansagen ist der Trainer des Drittligisten 1. VfL Potsdam, dem Kooperationspartner seines Klubs Füchse Berlin, trotzdem zu haben. Seine im "Kicker" geäußerter Prognose für das Turnier: "Wer die wenigsten Coronafälle hat, wird Europameister."
Quelle: ntv.de, tsi/sid