Endlich den Respekt ablegen DEB-Team plant die Sturm-Offensive
19.05.2017, 15:10 Uhr
Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft begeistert bei der Heim-WM. Phasenweise mit gutem Spiel, vor allem aber mit Leidenschaft. Auch wenn das Viertelfinal-Aus als Erfolg gewertet wird, wird der Bundestrainer später deutlich.
Als Kapitän Christian Ehrhoff in der 54. Minute einfach mal schnell und hart durch die Mitte passte, als der schnelle Yannic Seidenberg den flatternden Puck mit dem Schläger aufnahm, ihn im Vollsprint beruhigte, ihn flach aufs Eis drückte und dann mit einer schnellen Körper-Stock-Kombination an Kanadas Keeper Chad Pickard vorbei ins Tor schob, da waren die Nordamerikaner für einen Moment durcheinander. Nicht ganz bei der Sache, angreifbar. So wie die ganze Zeit vorher nicht - und aus deutscher Sicht leider auch danach nicht mehr. In Köln - vor überraschend nicht ausverkaufter Arena - endete Donnerstagabend der Traum von der Sensation bei der Heim-WM. Das DEB-Team unterlag dem 26-fachen Weltmeister im Viertelfinale mit 1:2. Klingt knapp, war's aber eigentlich nicht.
Dabei hatte das deutsche Team mit seinen aktuellen Mitteln eigentlich gar nicht so viel falsch gemacht. Die Männer von Bundestrainer Marco Sturm waren bereit dem spielstarken NHL-Ensemble - nur Verteidiger Chris Lee spielt bei Metallurg Magnitogorsk in der russischen KHL - einen leidenschaftlichen Kampf anzubieten. Mit aller körperlichen Robustheit. So fuhren die deutschen Verteidiger um den überragenden NHL-Profi Dennis Seidenberg von Beginn an harte Checks. Aber die Kanadier, die nach ersten Attacken fragend zu den untätigen Refeeres blickten, wehrten sich fortan mit gleicher Vehemenz. Und zogen ihr beeindruckendes Spiel auf. Schnell und wendig auf den Kufen, kombinationsstark, selbstbewusst und mit wuchtigen Abschlüssen aus allen Lagen. 50 Versuche waren am Ende notiert; dass davon nur zwei einschlugen - Marc Scheifele (18.) und der ehemalige Eiskunstläufer Jeff Skinner (39.) hatten getroffen - lag vor allem am überragenden DEB-Keeper Philipp Grubauer.
"Er war wieder eine Wand heute. Er hat uns die Chance gegeben, das Spiel zu gewinnen. Ich kann nur danke sagen, dass er gekommen ist", erklärte Bundestrainer Sturm. Und hatte damit das große Manko des deutschen Eishockeys ausgemacht. Denn anders als dem von ihrer Klasse absolut überzeugten, nicht aber überheblichen NHL-Quartett um eben Grubauer, Dennis Seidenberg, Top-Talent Leon Draisaitl und dem umstrittenen Goalie Thomas Greiss fehlt es vielen Spielern im Aufgebot gegen die Top-6-Nationen der Welt am unerschütterlichen Glauben, am so wichtigen Selbstvertrauen, das es für eine Überraschung, gar Sensation braucht. In der Vorrunde gab's zwar ein dank Greiss leidenschaftlich erarbeitetes 2:1 gegen die USA, aber eben auch zwei Klatschen gegen die Schweden (2:7) und Russland (3:6). Was dort galt, galt auch gegen die überragenden und aktuell das Weltniveau bestimmenden Kanadier: "Wir haben wieder zu lange zu viel Respekt gehabt."
Harmlos, ideenlos, fehlerhaft
Das vor allem in der Offensive. Dort gelang gegen defensiv nahezu perfekt spielenden Nordamerikaner so gut wie nichts. Schnelles, präzises Spiel mit dem das Team in der Vorrunde - vorwiegend gegen schwächere Teams - phasenweise begeistert hatte, gab's im Viertelfinale nur einmal. In Minute 54. Beim Tor. In Unterzahl. Der Rest ist sehr schnell erzählt: harmlos, ideenlos, fehlerhaft, auch in Überzahl gelang nichts. Selbst die bei der WM zuvor so forsch und unbekümmert aufspielenden Dominik Kahun und College-Spieler Frederik Tiffels wirkten massiv gehemmt. Mit ihrem aggressiven Forechecking beeindruckten die Kanadier das frustrierte DEB-Team nachhaltig. "Aus solchen Niederlagen muss man aber einfach wieder lernen. Das machen wir auch", so Sturm. Wohin das aber führt? Nun, das ist die große Frage, die der Bundestrainer nach dem WM-Aus stellte und die das deutsche Eishockey nun beantworten muss.
Denn dem Team steht ein Umbruch bevor. Den gilt es zu moderieren und zu gestalten. Was nicht einfach wird. "Es sind wahrscheinlich einige gute ältere Spieler in Zukunft nicht mehr dabei. Jetzt müssen die Jungen Verantwortung übernehmen. Das ist noch schwierig bei uns in Deutschland", analysierte Sturm. "Man hat es hier ja wieder gesehen. Was ein Ehrhoff, was ein Seidenberg hier für uns in der Abwehr spielen, ist schon enorm. Die kann man so schnell nicht ersetzen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns." Sturm scheut sich nicht davor.
Aber der ehemalige NHL-Star weiß auch, dass er als Bundestrainer nur Ideengeber und Profiteur sein kann. Die Basisarbeit wird in den Vereinen geleistet. Und die nimmt Sturm hart in die Pflicht für sein Vorhaben, die Mannschaft weiterzuentwickeln. "Man muss sich an das internationale System halten. Es ist leider zu oft noch so, dass der eine oder andere doch noch andere Wege geht, als es verlangt ist. Das hat aber auch mit unserer Liga zu tun", sagte Sturm. "Jetzt müssen wir einfach weitermachen. Vor allem im Nachwuchs. In den Vereinen, aber auch in der DEL. Da müssen wir einfach alle einen besseren Job machen."
Profis hoffen auf Nachwuchs-Hype
Das Problem dabei: Eishockey hängt in Deutschland trotz aller WM-Begeisterung und guter TV-Quoten weiter in einer Nische fest. Nur rund 25.000 Menschen spielen hierzulande im Verein - kein Vergleich zum Beispiel zu Kanada, wo mehr als 25 Mal (!) so viele Menschen regelmäßig den Puck bewegen. Und erst recht kein gesundes Verhältnis zum Fußball in Deutschland, denn dort sind laut DFB fast sieben Millionen Menschen in Vereinen gemeldet. Ob sich durch die Heim-WM ein Boom entfachen lässt? Der 35-jährige Dennis Seidenberg hat immerhin die zarte Hoffnung auf einen kleinen Nachwuchs-Hype: "Hoffentlich haben viele junge Eishockeyspieler und Kinder zugeschaut und wurden inspiriert. Das ist natürlich immer der Wunsch bei so einer WM, wenn wir relativ erfolgreich waren. Wenn wir mehr Breite in den Sport bekommen, wäre es schön." Und vermutlich auch zwingend notwendig. Denn der DEB hat ja bereits vor drei Jahren einen klaren Plan für die Zukunft ausgerufen: Bei der WM 2026 soll spätestens eine Medaille her.
Dass Marco Sturm für diesen Weg der richtige Mann ist, daran haben sie beim Verband nicht die geringsten Zweifel. Der 38-Jährige hat für einen Aufschwung gesorgt, den DEB-Präsident Franz Reindl "kometenhaft" nennt. In nicht einmal zwei Jahren hat sich Deutschland in der Weltrangliste von Platz 13 auf 8 verbessert. Der ambitionierte Chef-Coach spricht nicht wie seine Vorgänger davon, nichts mit dem Abstieg zu tun haben zu wollen, sondern orientiert sich an der Spitze. Zweimal nacheinander hat er das Team nun bis ins Viertelfinale - ein guter Erfolg, wie Coach, Spieler und Verband selbst urteilen - und im vergangenen Herbst beim Qualifikationsturnier in Lettland zurück zu den Olympischen Spielen geführt.
Außerdem hat er Spaß und Leidenschaft zurückgebracht. Die besten Spieler kommen wieder gern zur Nationalmannschaft. Anders als unter Vorgänger Pat Cortina. Und die Profis leben den Traum des DEB und seines Coaches mit. "Jetzt wird es mal Zeit, dass wir mal einen Gegner im Viertelfinale weghauen", sagte Goalie Grubauer. Die nächsten Chancen dazu: Olympia 2018 in Südkorea und die WM in Dänemark. Danach läuft der Vertrag des Bundestrainers aus. Dass der DEB ihn unbedingt halten will - logisch. Schließlich plant der Verband die große Offensive. Mit Marco Sturm. Vermutlich gerne bis 2026. Bis zur angepeilten Medaille.
Quelle: ntv.de