Bedeutungslos? "Extrem wichtig"! DHB-Stars "spielen für Deutschland" und gegen schlechte Nachrichten
25.01.2025, 14:01 Uhr
Alfred Gislason muss gegen Tunesien an Problemen der Zukunft arbeiten.
(Foto: IMAGO/camera4+)
Auf die große Erleichterung folgt für die deutsche Handball-Nationalmannschaft eine Hiobsbotschaft. Vor dem Viertelfinale steht nun ein eigentlich bedeutungsloses Spiel an, das aber dennoch wichtig ist.
"Erleichterung" war das vorherrschende Gefühl bei Alfred Gislason am Donnerstagabend. Vom Handball-Bundestrainer war nach dem Sieg im zum "Endspiel" ausgerufenen WM-Hauptrundenduell mit Italien eine Zentnerlast abgefallen. Gegen den krassen Außenseiter war man gerade zu Beginn am Rande des Desasters gewandelt, eine Niederlage hätte das Aus bedeutet. Das Aus aller Medaillenträume, mit denen man nach Dänemark gereist war.
So hatte Gislason schwer gelitten, tobte an der Seitenlinie entlang und konnte sich erst wenige Minuten vor dem Ende dieser Partie, in der seine Mannschaft zwischenzeitlich mit drei Toren zurückgelegen hatte und sich erst Mitte der zweiten Hälfte entscheidend absetzen konnte, einigermaßen entspannen. Am Abend steht nun das letzte Hauptrundenspiel gegen Tunesien (20.30 Uhr/ZDF und im Liveticker auf ntv.de) an. Mit der Entspannung ist es längst wieder vorbei und in den 48 Stunden zwischen Schlusssirene und Anpfiff sind Dinge passiert, die frische Sorgen schaffen.
"Wir wollen das Spiel gewinnen"
Gegen Tunesien geht es tabellarisch um nichts mehr, am zweiten Platz in der Hauptrundengruppe I ist nichts mehr zu rütteln. Und doch geht es um viel, Gislason erhob das Spiel in den Rang einer nationalen Angelegenheit: "Es ist kein Freundschaftsspiel und keine Trainingseinheit. Wir spielen für Deutschland." Doch natürlich geht es gegen die Nordafrikaner um viel mehr als um die Ehre: Es geht darum, im "Flow" zu bleiben, Selbstvertrauen zu tanken und darum, sich ordentlich warmzuschießen für das Viertelfinale am kommenden Mittwoch. "Wir wollen das Spiel gewinnen, lieber mit einem Tor mehr als weniger", kündigte Gislason an.
Dass Weltklasse-Spielmacher Juri Knorr gegen Tunesien ausfallen würde, war bei dieser Forderung schon eingepreist. Die Schocknachricht aber war bei diesen Tönen des Bundestrainers noch nicht eingeschlagen: Franz Semper, der gegen Italien ins Team gerückt war, groß aufspielte und durchaus zum Schlüsselelement in den Medaillenträumen der deutschen Mannschaft hätte taugen können, verletzte sich. Wieder einmal. Sempers italienische Reise hatte im deutschen Lager für blendende Laune gesorgt, in seinen rund 20 Minuten hatte der Leipziger gleich fünfmal den Weg durch oder über die Abwehr Italiens gefunden. Der Rückraumschütze sollte Dauerbrenner Renars Uscins Luft zum Atmen verschaffen, damit der sich von der übergroßen Last befreien kann, im rechten Rückraum alleine für Tore sorgen zu müssen. Diese Option ist Gislason nun geraubt worden.
Semper hätte gegen Tunesien eine große Rolle gespielt, nun muss Gislason umplanen: Uscins wird seine Pausen bekommen, allerdings wird sich dessen Stellvertreter Nils Lichtlein auf der Spielmacherposition für größere Herausforderungen warmspielen. Der Regisseur von den Füchsen Berlin hatte das bisweilen am Rande des Nervenzusammenbruchs kratzende deutsche Spiel gegen Italien doch noch befriedet bekommen und dürfte sich als beste Lösung des großen Knorr-Problems in Stellung gebracht haben. Gleichzeitig muss Gislason den nachgereisten Mittelmann Marian Michalczik ins Turnier holen, auch der Hannoveraner wird spielen.
Hiobsbotschaften in Serie
Während die schlechte Nachricht um Franz Semper inzwischen verdaut ist, droht auch jederzeit die nächste sportliche Katastrophe: Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete, fuhr Spielmacher Juri Knorr, der, geht es um die großen Ziele, für Deutschland nicht ersetzbar ist, eigens in seine Geburtsstadt Flensburg, um bei einem Facharzt vorstellig zu werden. Knorr hatte Ende vergangenen Jahres mit einer Bronchitis zu kämpfen, nun klagt er über Atemprobleme und Brustschmerzen.
Gislason hatte sich kaum optimistisch gezeigt, dass sein wichtigster Feldspieler im Viertelfinale wieder dabei sein könnte - schon gar nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass das Turnier für den Ausnahmespieler schon beendet sein könnte, bevor es richtig beginnt. Vor dem Tunesien-Spiel wollten sie beim DHB "keine Wasserstandsmeldungen" zum Zustand ihres Spielmachers abgeben. So geht es gegen Tunesien, das vier seiner fünf Turnierspiele verloren hat, nicht vor allem um Belastungssteuerung.
Man wolle "an Sachen arbeiten, die wir dann im Viertelfinale besser machen müssen", sagte der gegen Italien mit 18 Paraden überragende Torwart Andreas Wolff. Und Teamkollege Marko Grgic forderte, "Selbstvertrauen zu tanken und das, was wir in den letzten Spielen nicht so gut gemacht haben in der Anfangsphase, besser zu machen". Und Lukas Mertens brachte es auf den Punkt: "Mir wurde gerade schon gesagt, dass das Spiel bedeutungslos für uns ist. Auf dem Papier vielleicht, aber für uns nicht", bekräftigte der Linksaußen. Es gehe eben auch darum, "im Flow zu bleiben". Und darum, Lösungen für die Probleme der Zukunft voranzutreiben.
"Extrem wichtig"
Gegen Tunesien, das ist klar, geht es nicht um das "Jetzt", sondern um das "Danach". Und das "Danach", der Rest der WM, soll endlich wieder glänzen. Eine Medaille bleibt das Ziel, doch dafür muss sich das gesamte Ensemble steigern. "Natürlich wäre es schöner, wenn man mit perfektem Handball und vielen deutlichen Siegen das Viertelfinale erreicht. Aber mir ist es lieber, mit viel harter Arbeit dorthin zu kommen, als irgendwann mit zu viel Leichtigkeit auf die Schnauze zu fallen", sagte Kapitän Johannes Golla.
Auch der Weltklassemann, der am eigenen wie am gegnerischen Kreis ein Schlüsselspieler für deutsche Erfolge ist, ist einer von denen, die ihre ganze unbestrittene Klasse noch nicht nachhaltig in dieses Turnier eingebracht haben. Auch deshalb findet es der Kapitän "extrem wichtig", durch ein überzeugendes Tunesien-Spiel "jedes Prozent an Selbstvertrauen" mit ins Viertelfinale am kommenden Mittwoch zu nehmen.
Dann geht es wohl gegen Portugal. Das Spiel heute Abend ist dann schon längst wieder egal. Vielleicht aber, so wünschen sie es sich im deutschen Lager, war es ganz wertvoll. Denn es müssen ganz dringend mal wieder gute Nachrichten her.
Quelle: ntv.de