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Lichtlein führt DHB-Team Deutsche Hoffnung nimmt dem Bangen um Knorr den Schrecken

Nils Lichtlein ist jetzt voll drin in dieser Weltmeisterschaft.

Nils Lichtlein ist jetzt voll drin in dieser Weltmeisterschaft.

(Foto: IMAGO/camera4+)

Das "Endspiel" um den Einzug ins Viertelfinale der Handball-Weltmeisterschaft bringt für Bundestrainer Alfred Gislason eine wertvolle Erkenntnis: Er hat einen bärenstarken Ersatz für seinen um die K.-o.-Runde kämpfenden Topstar.

Was die versammelte italienische Handball-Nationalmannschaft in vielen Phasen des "Endspiels" um den Einzug ins WM-Viertelfinale nicht vermochte, schaffte der deutsche Bundestrainer am Tag danach ganz alleine: Nils Lichtlein in schwere Verlegenheit zu bringen. Alfred Gislason saß gemeinsam mit seinem jungen Spielmacher bei der Pressekonferenz nach dem erlösenden 34:27-Sieg und sollte über die Qualitäten Lichtleins sprechen. "Er ist ein sehr wendiger Spieler", hob Gislason an, "er hat seine Chance sehr gut genutzt." Dem U21-Weltmeister war das Lob sichtbar unangenehm, dem 23-Jährigen von den Füchsen Berlin schoss das Blut in den Kopf und er versteckte lachend das Gesicht in den Händen. "Er hat seine Mitspieler extrem gut in Bewegung gebracht und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir viel besser gespielt haben." Anschließend gab es noch einen Klaps vom Bundestrainer.

Lichtlein hatte in diesem Spiel, das von den Deutschen, die alles zu verlieren hatten, lange mit unglaublicher Nervosität geführt wurde, so viele Spielanteile wie noch nie bei diesem Turnier. Weil Juri Knorr, der Weltklasse-Anführer der deutschen Offensive krank fehlte und die Italiener mit unkonventioneller Abwehrarbeit dessen Vertreter Luca Witzke völlig entnervt hatten. Also musste Lichtlein ran, der in der Bundesliga beim Vizemeister Füchse Berlin die dänischen Olympiasieger Mathias Gidsel und Lasse Andersson "nicht nur dirigiert, sondern besser macht", wie Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning gegenüber ntv.de die Qualitäten seines Spielers beschrieb. Gidsel ist der beste Feldtorschütze der Bundesliga, Andersson rangiert auf Platz vier in dieser Wertung.

Gegen Italien kam Lichtlein rein und erzielte vier Tore aus sechs Versuchen, die meisten davon in der Phase der zweiten Hälfte, als sich die deutsche Mannschaft schließlich doch noch entscheidend absetzte und eine drohende Nervenschlacht vermied.

"Wird den Handball in Deutschland prägen"

Lichtlein ist eines dieser Versprechen auf eine goldene deutsche Handballzukunft, gemeinsam mit Senkrechtstarter Renars Uscins, der sich längst als Stammspieler etabliert hat, Torhüter David Späth und Kreisläufer Justus Fischer war der Neffe von Europameister-Torwart Carsten Lichtlein im Sommer 2023 U21-Weltmeister geworden. "Mit und in dieser Weltmeisterschaft ist ja was gewachsen. Der Titel und dieses Erlebnis verbindet die Jungs ein Leben lang und diese Mentalität, die in dieser Gruppe steckt, wird den deutschen Handball über Jahre prägen", sagte Bob Hanning, der Lichtlein einst in die Füchse-Jugend geholt hatte, ntv.de.

Die Zukunft aber, sie könnte schon jetzt beginnen. Und Lichtlein könnte darin noch bei dieser Weltmeisterschaft eine größere Rolle spielen. Denn der drohende längere Ausfall von Juri Knorr hängt weiterhin als dunkle Wolke in den deutschen Träumen von der ersten WM-Medaille seit 18 Jahren. Beim für die Tabelle bedeutungslosen Hauptrundenfinale gegen Tunesien am Samstag (20.30 Uhr/ZDF und im Liveticker auf ntv.de) wird Knorr genauso wie der ebenfalls erkrankte Linksaußen Rune Dahmke wohl fehlen - und bei Knorr sieht es auch darüber hinaus schlecht aus: "Ich gehe fest davon aus, dass keiner von den beiden das Tunesien-Spiel spielen wird", sagte Gislason: "Danach gibt es sicherlich bessere Chancen, dass Rune wieder reinkommt als Juri."

"X-Faktor" für den Bundestrainer

"Danach", das ist das Viertelfinale, das zweite Spiel, in dem es für das DHB-Team in diesem Turnier um alles oder nichts geht. Gut möglich, dass Lichtlein dann wieder mehr Verantwortung übernehmen darf. Manchmal, so scheint es, muss man den Bundestrainer etwas zu seinem Glück zwingen, der mit seinem schnellsten Spielmacher bisweilen etwas zu fremdeln scheint. Gislason schätzt - wie alle Trainer - Spieler, die sowohl in der Abwehr als auch im Angriff nahezu gleichwertig sind. Lichtlein ist das noch nicht - und Gislason billigt Lichtlein in der Regel noch nicht den Sonderstatus zu, extra für ihn einen Angriff-Abwehr-Wechsel einzuplanen.

Nun aber war es schlicht zu augenscheinlich: Lichtlein versteht es wie kein anderer deutscher Regisseur, das Spiel blitzschnell von der einen auf die andere Seite zu leiten, dadurch Lücken in die Abwehr zu reißen, in die er selbst oder seine Nebenleute stoßen konnten. Besonders augenfällig wurde das in der Phase Mitte der zweiten Hälfte, als Lichtlein das Spiel an sich riss und Franz Semper innerhalb von 112 Sekunden zum Aufsteiger des Turniers wurde. Förderer Hanning hatte schon vor dem Turnier angekündigt, Lichtlein werde nun auch "mehr Akzente setzen und er kann in der entscheidenden Turnierphase zum X-Faktor werden".

"Die Jungs vertreten Deutschland"

Mit dem Einzug in die K.-o.-Runde, so sagt Lichtlein, sei nun "endgültig der Druck weg", jetzt könne "alles passieren." Dann aber wartet ein anderer Gegner als die euphorischen, dann aber doch sichtbar limitierten Italiener. In der Hauptrundengruppe III ist noch vollkommen offen, wer sich für das Spiel gegen die deutsche Mannschaft qualifiziert. Mit Portugal, Schweden, Spanien und Norwegen sind aber gleich vier Teams auf Weltniveau darunter. Auch Brasilien, das Deutschland in der Vorbereitung zweimal das Leben schwer gemacht hatte, ist noch im Rennen.

Doch das erste K.-o.-Spiel, das Lichtlein und Co. am kommenden Mittwoch nach Oslo führen wird, ist nicht nur geografisch noch in weiter Ferne. Die Pflichtaufgabe gegen Tunesien erklärte Gislason kurzerhand zur nationalen Angelegenheit: "Wir werden daraus kein Freundschaftsspiel machen", sagte er. Und schob nach: "Die Jungs wissen alle, dass sie Deutschland vertreten." Dennoch werde er einigen seiner viel belasteten Stammkräfte wie Kapitän Johannes Golla, Uscins, der gegen Italien ungewohnt fahrig spielte oder Julian Köster Pausen gönnen. Für Nils Lichtlein trifft das sicher nicht zu, der Bundestrainer tut gut daran, den Linkshänder nach einigen Kurzeinsätzen in der Vorrunde nachhaltig ins Turnier zu holen. Eben für das "danach".

Quelle: ntv.de

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