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Zustände wie beim WrestlingDarts-Weltmeister Luke Littler? "Wandlung zum Bösewicht ist vollendet"

30.12.2025, 11:04 Uhr
imageVon Kevin Schulte, London
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Durchatmen: Luke Littler übersteht ein schwieriges WM-Achtelfinale gegen Rob Cross. (Foto: IMAGO/Action Plus)

Absurde Szenen bei der Darts-WM in London: Titelverteidiger Luke Littler ätzt nach seinem Achtelfinal-Sieg über Rob Cross gegen die Fans. Wird der Dominator jetzt zu einer Art "Darts-Bösewicht"?

Am Ende eines hochklassigen Spiels hat sich mächtig Frust aufgestaut bei Luke Littler. Der amtierende Darts-Weltmeister versenkt Sekunden zuvor den entscheidenden Dart zum 4:2-Sieg gegen Rob Cross im WM-Achtelfinale, jubelt anschließend wild in Richtung der Fans, als sein Sieger-Interview auf der Bühne des Londoner Alexandra Palace von Buhrufen begleitet wird.

"Es stört mich nicht. Wirklich, es stört mich nicht. Es stört mich nicht", behauptet Littler am Montagabend mehrfach - und hat dabei einen hochroten Kopf, wie ihn nur jemand haben kann, den die Pfiffe der Fans eben doch stören. Dann lacht Littler das Publikum auch noch aus. "Hahaha", schreit Littler ins Mikrofon und maßregelt die verkleidete Masse aus Minions, Pylonen, Teletubbies und Mario-Kart-Charakteren: "Lasst mich euch eine Sache sagen: Ihr bezahlt für Tickets, ihr bezahlt mein Preisgeld. Danke, dass ihr mich ausbuht. COME ON!"

Wumms. Das sitzt. Ein Raunen geht durch den Alexandra Palace. Im Presseraum der Darts-Kultstätte stehen die Münder offen. So manchem Mitarbeiter der Profidarts-Organisation PDC steht P wie Panik ins Gesicht geschrieben. Sofort wird ausgeschwärmt. Es findet eine kurze Absprache zwischen Littler, seinem Anhang und PDC-Vertretern statt. Der junge Darts-Dominator soll abgekühlt werden, damit nicht noch weitere Interviews oder die Pressekonferenz aus dem Ruder laufen.

Pressekonferenz endet vorzeitig

Szenen wie das Littler-Interview will die Profidarts-Organisation PDC bei ihren Turnieren nicht sehen: Der Superstar, der Tausende Fans im "Ally Pally" auslacht. Das 18 Jahre junge Darts-Wunderkind, das sich plötzlich vom umjubelten Darts-Held zum ausgebuhten "Bösewicht" verwandelt.

Weitere Medientermine und die Pressekonferenz verlaufen letztlich ohne größere Vorkommnisse. Littler beantwortet die Fragen der Reporter souverän, räumt auch selbstkritisch ein, dass er auf der Bühne "seinen Kopf verloren" habe. Nach etwa zehn Minuten voller Fragen hinsichtlich Littlers Aussagen auf der Bühne, wird es der PDC dann doch zu bunt. Als eine weitere Frage zum Thema Publikum gestellt wird, wird der Reporter abgekanzelt. "Keine Fragen mehr zum Thema Publikum. Luke hat genügend dazu gesagt", begründet der PDC-Medienmitarbeiter. Danach meldet sich kein weiterer Journalist - weil offensichtlich jeder Littler auf das Fan-Thema ansprechen wollte, aber nicht mehr durfte.

Die britische Sky-Sports-Moderatorin Emma Paton spricht in der Analyse mit Experte und Ex-Profi Wayne Mardle unterdessen von einem sogenannten "Heel Turn". So werden üblicherweise geskriptete Wandlungen von Wrestlern bezeichnet: Der Publikumsliebling, der sich gegen die eigenen Fans wendet. Der nicht mehr geliebt, sondern gehasst werden soll. Solch eine Wandlung durchlaufen viele Wrestler in ihrer Sportschauspiel-Karriere. Es steht so im Skript.

Aber es gibt einen Unterschied zum Darts: Littlers Auftritt im "Ally Pally" ist nicht vorgezeichnet. Es ist wahrhaftiger Sport - mit all seinen Facetten, inklusive echter Emotionen.

Drohen Littler "deutsche Zustände"?

Die legendäre Darts-Kultstätte ist an diesem Abend eine absurde Szene in seiner an absurden Szenen prall gefüllten Geschichte reicher. Es ist ein Moment, der den weiteren Verlauf der Darts-WM beeinflussen kann. Und vielleicht sogar darüber hinaus.

Wenden sich die Fans jetzt auch in Littlers Heimat sukzessive vom Superstar ab? "Es war das erste Mal bei der WM, dass das Publikum nicht wollte, dass ich gewinne", sagt Littler auf der Pressekonferenz. In Deutschland ist die Ablehnung gegenüber dem 18-jährigen Weltklassespieler schon seit über einem Jahr so groß, dass Littler fast jedes Turnier auf deutschem Boden auslässt. Drohen dem Darts-Dominator ähnliche Zustände im eigenen Land?

Littler selbst vermittelt den Eindruck, dieser Zustand sei bereits erreicht. Zur Wahrheit gehört, dass der Großteil der Zuschauer am Montagabend Littler weder größere Zustimmung noch Ablehnung entgegenbringt. Es hat in jüngerer Vergangenheit jedenfalls Spiele gegeben, in den das Publikum einen Spieler deutlich lautstärker ausgebuht hat als in dieser Partie.

Aber einen Punkt hat der amtierende Weltmeister dennoch. Rund 30 bis 40 Prozent der Darts-WM-Besucher kommen jedes Jahr aus Deutschland. In der Zeit nach Weihnachten sind traditionell besonders viele da. Wer Littler nicht mag, nimmt die Abneigung selbstverständlich mit nach London. Und in Deutschland gibt es eben besonders viele Darts-Fans, die Littler für arrogant halten und stattdessen seine Gegner siegen sehen wollen.

"Charakterbogen hat sich geschlossen"

"Man sagt, dass man entweder als Held stirbt oder lange genug lebt, um zum Bösewicht zu werden", schreibt der britische "Guardian" nach dem Auftritt des Weltmeisters. Luke Littler schafft diese Wandlung offenbar genauso schnell, wie es ihm gelungen ist, die Darts-Welt zu erobern und zu dominieren. WM-Finalist mit 16, Weltmeister mit 17, "Darts-Bösewicht" mit 18. "Der Charakterbogen hat sich geschlossen, die Wandlung zum Bösewicht ist vollendet", heißt es in der Zeitung weiter.

Der exzellent errungene Sieg gegen 2018er-Champion Rob Cross ist Littlers nächster Schritt auf dem Weg zur angestrebten Titelverteidigung am 3. Januar. Am 1. Januar trifft "The Nuke" (Die Atomwaffe) im Viertelfinale auf seinen englischen Landsmann Luke Woodhouse oder den Polen Krzysztof Ratajski.

Drei Siege fehlen Littler noch bis zur zweiten WM-Trophäe. Der junge Engländer ist erneut haushoher Titelfavorit, "aber von diesem Punkt an muss er es alleine schaffen", bringt der "Guardian" die Ausgangslage für die Endphase des Turniers auf den Punkt. Littler selbst kündigt auf der Pressekonferenz an: "Was auch immer passiert, ich bin bereit".

Quelle: ntv.de

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