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DHB-Star ist gnadenlos Der Bundestrainer schützt Juri Knorr vor sich selbst

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Juri Knorr verliert mit der deutschen Handball-Nationalmannschaft das EM-Halbfinale gegen den großen Favoriten Dänemark. Die Enttäuschung ist nach einem großen Kampf gewaltig, aber der Spielmacher macht es sich selbst besonders schwer.

Der Schweiß, den sie an einem großen Handball-Abend in der gewaltigen Lanxess-Arena auf der Platte gelassen hatten, war noch kaum getrocknet, da mussten die schwer geschlagenen deutschen Helden schon wieder ran: Nur zwölf Stunden nach der Schlusssirene des EM-Halbfinals, in dem sie dem übergroßen Favoriten Dänemark einen furiosen Kampf geliefert hatten, versammelte sich das Team zum Medientermin. Es ist eine obligatorische Grausamkeit, die der Verband dem enttäuschten Verlieren der Halbfinals zumutet. Aber es hilft nichts.

Spielmacher Juri Knorr hatte nach dem Spiel derart gnadenlos mit sich selbst abgerechnet, dass Bundestrainer Alfred Gislason seinen wichtigsten Feldspieler am Tag danach schützen musste. "Klar hätte er es besser machen können", sagte Gislason, der von seiner Mannschaft "das beste Spiel der letzten Jahrzehnte" gefordert hatte, um Dänemark schlagen zu können. "Aber ich habe ihm nicht viel vorzuwerfen."

"Es ist enttäuschend"

Knorr hatte noch in den Minuten nach dem 26:29 (14:12) gegen den Serienweltmeister eine bemerkenswerte Selbstbeschimpfung gestartet: "Das Gefühl, in solch einem großen Spiel nicht alles rausgehauen zu haben, enttäuscht mich so. Es tut einfach weh, nicht alles gegeben zu haben", verkündete ein völlig aufgelöster Knorr.

Während andere schon - und das völlig zurecht - den Stolz über die hochintensive Mannschaftsleistung lobten, verlegte sich der Spielmacher auf schwere verbale Gewalt gegen sich selbst. "Es ging für mich nicht um den ultimativen Erfolg. Ich wollte einfach diese Erfahrung haben und mir im Nachhinein nichts vorwerfen. Leider werfe ich mir was vor." Seine Mannschaftskollegen, die nach einem harten Kampf körperlich und emotional schwer gezeichnet waren, wollte er ausdrücklich nicht mit in die Verantwortung nehmen.

Knorr, der für das Spiel der deutschen Mannschaft unersetzbar ist, hatte am Abend keine große Leistung angeboten, lief sich oft fest und verpasste den richtigen Moment des Abspiels. Er traf aber selbst immerhin viermal und fügte sich auch nahtlos in die vielarmige, bewegliche deutsche Abwehr ein. Es ist das Schicksal des Ausnahmespielers, der noch auf dem Weg in die Weltklasse ist, dass es besonders auffällig wird, wenn ein paar Prozent fehlen. Auch am Tag danach wollte er seine Selbstkritik nicht relativieren. "Es ist enttäuschend, wenn man am nächsten Morgen aufwacht und sich denkt, es war mehr drin. Ich hatte mehr von mir erwartet, dass ich mehr Verantwortung übernehme, mein Herz auf der Platte lasse und alles reinhaue", sagte Knorr.

Bundestrainer widerspricht

"Ich erwarte großartige Dinge von Juri Knorr - hoffentlich nicht morgen, aber in der Zukunft", hatte Dänemarks Trainer Nikolaj Jacobsen gewarnt. "Juri hat ein sehr gutes Turnier gespielt. Er ist ein starker Spieler mit fantastischem Tempo." Knorr selbst hatte klare Erwartungen an den Abend: Es sei "das Geilste auf der Welt, ein Halbfinale vor unseren Fans spielen zu dürfen", sagte er vor dem Spiel. "Wir brauchen einen besonderen Tag, viele handballerische Zutaten sowie Mut und Mentalität. Wir dürfen nicht mit Angst auftreten." Nun habe er sich "ein bisschen von der Angst vor der Größe des Moments lähmen lassen."

Der Profi der Rhein-Neckar Löwen will seiner Mannschaft helfen, auch wenn es bei ihm selbst nicht läuft. DHB-Co-Trainer Erik Wudtke sagte dem "Stern" vor dem Turnier, man müsse "Juri manchmal vor sich selbst schützen. Man muss ihm hin und wieder sagen: Juri, du kannst die Welt nicht retten. Du bist nicht für alles verantwortlich." Der Bundestrainer wollte nicht zu viel über die Selbstbeschimpfung seines gefährlichsten Torschützen sprechen, die Sache hakte der 62-Jährige deutlich ab: "Ich finde nicht, dass es so war!" Vorwürfe aus der Mannschaft gab es ohnehin nie.

"In meinem Kopf ist nur das Halbfinale"

Knapp 20.000 Zuschauer hatten die deutsche Mannschaft, die als klarer Außenseiter in die Begegnung gegangen war, von der ersten Sekunde an nach vorne gepeitscht. "Wir wissen, dass diese Halle extra Kraft für die Deutschen gibt", hatte Dänen-Trainer Nikolaj Jacobsen vorhergesagt. Auch die Energie, die von den Rängen kommt, ist endlich. Irgendwann ging es nicht mehr, auch nicht bei Juri Knorr, der gerne die Last der Welt, mindestens aber des deutschen Spiels auf seine Schultern legt. "Er kam selber raus und hat um eine Pause gegeben. Man merkt ihm natürlich an, dass er viel spielt. Er muss irgendwann mal die Batterie laden", sagte der Bundestrainer. Für Knorr kam Philipp Weber, das Spiel war der deutschen Mannschaft da schon längst entglitten.

Nun steht noch ein Pflichttermin auf dem Plan. Er ist deutlich spektakulärer als das verordnete Get-Together mit den Medien: Am Sonntag (15 Uhr/ ARD und im Liveticker auf ntv.de) spielt das DHB-Team gegen Schweden um EM-Bronze und nebenbei um die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele im Sommer in Paris. Noch so ein großes Spiel. Noch ist Juri Knorr nicht bereit für die neue Herausforderung. "In meinem Kopf ist nur das Halbfinale, kein Spiel um Platz drei", sagte er.

Die Motivation werde bis morgen aber wieder da sein. Schließlich gilt es, eine im Ergebnis schon jetzt erfolgreiche EM zu einem glänzenden Ende zu bringen. "Es gilt, noch einmal ans Limit zu gehen. Wir brauchen ein absolutes Topspiel." EM-Bronze wäre der größte Erfolg seit 2016. Damals hatte man den EM-Titel gewonnen und Olympia-Bronze geholt. "Es wäre fantastisch, wenn wir uns mal wieder eine Medaille um den Hals hängen könnten. Unsere Tanks sind wahrscheinlich schon leer, aber wir haben ein tolles Team mit starken Charakteren. Wir werden jedes Bisschen Energie, das wir noch in unseren Körpern haben, herausholen", versprach Torwart Andreas Wolff. Auch Juri Knorr wird am Sonntag wieder auf der Platte stehen. Die Motivation wird bis dahin wieder zurück sein. Es ist wieder ein großer Moment.

Quelle: ntv.de

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