DHB-Team steht vor großem Spiel Der Chef ist unbeeindruckt, beim Gegner herrscht Alarm
15.01.2024, 12:02 Uhr
Alfred Gislason hält den Druck auf seine Mannschaft hoch.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft startet makellos und mit Schwung in die Heim-EM, bei der es endlich mal wieder weit gehen soll. Während die Fans feiern, ist der Bundestrainer unbeeindruckt. Nun steht das erste große Spiel an. Und beim Gegner herrscht Alarm.
Alfred Gislason kam eine knappe halbe Stunde nach der Schlusssirene des zweiten Vorrundenspiels der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der laufenden Heim-EM zur Pressekonferenz. Dort, tief im Bauch der Mercedes-Benz-Arena in Berlin, waren die deutschen Fans noch laut zu hören. Sie feierten den souveränen, nie gefährdeten und manchmal spektakulären Sieg des DHB-Teams über Nordmazedonien. Angeführt von Spielmacher Juri Knorr, mit zehn Treffern Spieler des Spiels, hatten die guten Gastgeber die große EM-Party erfolgreich am Laufen gehalten. Das Volk dankte es dem Team.
Aber der Bundestrainer war nicht beeindruckt: Um nach zwei Siegen zum Start in die Heim-Europameisterschaft auch das dritte und letzte Vorrundenspiel zu gewinnen, "müssen wir alles besser machen". Vieles sei gut gewesen, hatte er schon zuvor dem ZDF gesagt, "aber eigentlich nicht gut genug. In der ersten Halbzeit haben wir zu viele Fehlwürfe gehabt, klare Chancen liegen gelassen und sind nicht richtig in die gewünschte Abwehrbewegung gekommen."
Mit Rekord-Weltmeister Frankreich wartet am Dienstag (20.30 Uhr/ZDF, Dyn und im Liveticker auf ntv.de) der erste echte Härtetest, es ist die wichtige Standortbestimmung im EM-Rausch. Um den Einzug in die Hauptrunde geht es dann nicht mehr, den hat das deutsche Team nach zwei Vorstellungen zwischen Souveränität und Spektakel vorzeitig sicher. Jetzt geht es um mehr. Um wichtige Punkte und um einen großen Sieg.
Völlig überraschend hatte der Olympiasieger zuvor nur ein Remis gegen Außenseiter Schweiz geholt - und sich damit zumindest rechnerisch in Schwierigkeiten gebracht: Verliert Frankreich gegen Deutschland, könnte das Turnier für einen der großen Favoriten schon nach der Vorrunde beendet sein. Es wäre eine der größten Sensationen der jüngeren Handball-Geschichte. Angesichts der Torverhältnisse Frankreichs (+10) und Konkurrenz Schweiz (-13) vor dem Gruppenfinale ist der Gedanke an ein Ausscheiden eher theoretischer Natur. Die Eidgenossen müssten also gewinnen und 23 Tore aufholen, während Frankreich verliert.
"Jetzt ist wirklich Alarm angesagt"
Die Franzosen um Superstar Nikola Karabatic waren schon lange nicht mehr in der Halle, als die deutsche Mannschaft chancenlose Nordmazedonier mit einer beweglichen Abwehr und einem effektiven Tempospiel völlig überforderten. Während die Deutschen noch feierten, machten sich die Franzosen derweil vielleicht schon Gedanken, wie sie das Ding am kommenden Dienstag zu ihren Gunsten gestalten sollen. "Gegen Deutschland wird das Ziel dasselbe sein: das Spiel zu gewinnen und zu versuchen, mit zwei Punkten in die Hauptrunde einzuziehen. Wir haben unser Schicksal noch in den eigenen Händen. Aber jetzt ist wirklich Alarm angesagt", verkündete Kreisläufer Ludovic Fabregas.
Beim Spiel der deutschen Mannschaft werden sie nichts gesehen haben, das Panik auslöst. Nicht, weil Deutschland nicht groß genug aufgespielt hatte. Nein, für echte Erkenntnisse war Nordmazedonien schlicht zu schwach. Deren Trainer, der einstige Weltklassespieler Kiril Lazarov, hatte sich selbst nach der Partie schwer enttäuscht von seiner eigenen "nicht konkurrenzfähigen" Mannschaft gezeigt.
So war auch der Satz des Bundestrainers gemeint: Gegen die angeschlagenen Franzosen, die zum Auftakt ihrerseits 39:29 gegen Nordmazedonien gewonnen hatten, muss nun überall noch einmal eine Schippe draufgepackt werden. In der Effizienz, in der Aggressivität, in der Konzentration. Zu Beginn der zweiten Hälfte stauchte der Bundestrainer seine Truppe in einer Auszeit sogar ordentlich zusammen: "Ich habe ihnen gesagt, dass wir weiter laufen müssen. So blöd, wie wir es da gemacht haben, dürfen wir es nicht machen. Jeder, der die Neun-Meter-Linie erreicht hat, hat sofort geworfen. Da haben wir Nordmazedonien fast wieder aufgebaut." Mit der zweiten Hälfte seiner Mannschaft war Gislason immerhin sehr zufrieden.
Auch in diesem Jahr kratzt Deutschland, das die WM 2023 auf Platz fünf abschloss, an der absoluten Weltklasse, sie wollen endlich mal wieder dazu gehören. Wieder zurückkehren in diesen Kreis, wieder große Spiele gewinnen und Medaillen holen. Nun steht wieder eines dieser großen Spiele an: Bei einer Niederlage geht man mit der Hypothek von null Punkten in die Hauptrunde.
"Franzosen sind klarer Favorit"
Das 26:26 der Franzosen gegen die Schweiz sei mit Blick auf die Tabelle ohnehin "annulliert", verkündete Gislason, der dem überraschenden Ergebnis nicht zu viel Aufmerksamkeit beimessen wollte. In die Hauptrunde nehmen die Teams nur die Punkte mit, die sie gegen das zweite aus der eigenen Gruppe qualifizierte Team erspielt wurden. Geht alles seinen geregelten Gang, sind die Siege gegen die Schweiz und Nordmazedonien - Hype hin, Begeisterung her - Streichresultate. Mit einem Sieg gegen Frankreich wäre der Weg ins Halbfinale, wenn es um die Medaillen geht, noch nicht geebnet, er wäre aber zumindest deutlich gangbarer gemacht.
"Wir wollen unser Spiel spielen. Auch wenn wir die Tabelle anführen, die Franzosen sind klarer Favorit", meinte Gislason. Zufrieden war er wieder mit seiner Mannschaft, zu einer Kampfansage an die Handball-Elite wollte sich der Isländer auch unter dem Eindruck des längst eingesetzten Hypes in vollen Hallen nicht hinreißen lassen. Zu groß ist der Respekt vor der mit Superstars und ungeheurer Erfahrung gespickten Équipe.
Und zu frisch ist die Erinnerung an die Weltmeisterschaft im vergangenen Januar, als sich beide Teams zuletzt trafen. Gislasons Mannschaft hatte ein starkes Turnier gespielt, im Viertelfinale führte sie gegen das große Frankreich schon mit vier Toren - um dann in der zweiten Hälfte komplett einzugehen. 28:35 hieß es aus Sicht der völlig ausgepumpten deutschen Mannschaft. Die erfahrenen Franzosen kochten das deutsche Team am Ende einfach ab. "Das tut jetzt erstmal brutal weh", resümierte damals im Winter von Danzig Linksaußen Rune Dahmke. Seit dem Olympischen Viertelfinale 2016 (!) und damit seit acht Turnieren wartet das DHB-Team schon auf einen Sieg in einem K.-o.-Spiel, der letzte Sieg in einem Pflichtspiel gegen Frankreich ist sogar elf Jahre her: 2013 gab es ein 32:30 in der Vorrunde der WM.
"Müssen ein großes Spiel machen"
Doch dieses Spiel ist ein ganz anderes als noch im Vorjahr: Die deutsche Mannschaft hat an Erfahrung gewonnen, das haben sie alle noch in Polen beschworen. Juri Knorr ist ein besserer Spielmacher geworden, der 23-Jährige schraubt seine Fehlerquote weiter nach unten und setzt seinen Rückraum besser ein. Die Achse mit Kreisläufer Golla funktionierte gegen Nordmazedonien teilweise spektakulär.
Rune Dahmke sagte, man sei inzwischen stabiler, wenn Stammkräfte eine Pause bekommen. Ein wichtiger Faktor in einem engen, intensiven Spiel gegen eine mit einer beeindruckenden Bank gesegneten Topnation. Und dann ist da noch der Heimvorteil: "Ich sehe gar keinen Grund, warum die Franzosen der Favorit in unserer Gruppe sein sollen", hatte der langjährige DHB-Vize Bob Hanning im Gespräch mit ntv.de gesagt. "Bei unserer EM, in unserem Land, bei uns zu Hause - warum sollen die der Favorit sein?" Gegen Deutschland in Deutschland - das ist auch für die Topteams der Welt wieder eine komplizierte Aufgabe.
In Frankreich schauen sie mit größtem Respekt auf das so wichtige Spiel: "Wenn wir am Dienstag gewinnen, werden wir Gruppenerster", sagte Torwart Samir Bellahcene, der gegen die Schweiz mit einer Parade in den Schlusssekunden sogar eine Niederlage verhinderte. Und machte klar: "Wir müssen hier bei den Deutschen ein großes Spiel machen."
Quelle: ntv.de