Zum Tod von NBA-Legende Walton Der "Kammerdiener", der nicht schweigen wollte
31.05.2024, 20:39 Uhr
Bill Walton ist im Alter von 71 Jahren gestorben.
(Foto: IMAGO/Newscom World)
Schrulliger Hippie, Vegetarier, Pazifist - und einer der dominantesten Basketballer aller Zeiten. Der kantige Hall-of-Fame-Center Bill Walton war aber stets mehr als das. Eine illustre Karriere nach der Karriere festigte ihn als eine der größten Persönlichkeiten, die der US-Sport je gesehen hat.
"Mehr Zeit, mehr Leben, mehr Liebe, mehr Musik, mehr Spiele, mehr von allem ...": Bill Waltons Antwort auf die Frage, was er eigentlich wolle im Leben, ist sinnbildlich für alles, wofür der Hüne stand - und was ihn bis zu seinem letzten Atemzug antrieb. Er war ein Original, eine überschäumende Seele, endlose Lebensfreude verspürend. Er operierte auf einer gänzlich anderen Wellenlänge als die meisten seiner Zeitgenossen - eine der wenigen Legenden im Sport, die auch abseits ihrer Disziplin etwas Interessantes zu bieten hatten. Ein Typ, der stets einen Unterschied machte, egal ob als Sportler, Kommentator oder Freund.
Vermutlich waren sein eigenes Leid, seine vielen Misserfolge und sein Scheitern der Stoff, der ihn zu einem besseren Menschen machte. Eine verheerende Reihe lähmender und qualvoller Verletzungen hätte ihn vor 15 Jahren beinahe in den Suizid getrieben - so stark waren damals die Schmerzen, in den Fußgelenken, den Knien, der Wirbelsäule, die mit Eisenklammern wieder zusammengeschweißt werden musste. "Es war, als läge man den ganzen Tag in einer Wanne voller Säure, während man Elektroschocks kassiert, und man kann zwei Jahre nicht aussteigen."
Walton liebte die Westküste der USA. Er studierte an der UCLA und hielt einen Abschluss in Rechtswissenschaften von der Universität Stanford. Er liebte es, auf seinem Fahrrad durch die Parks San Diegos zu cruisen. Seine Nähe zur kalifornischen Rockband "Grateful Dead" ist ikonisch. Er und die Bandmitglieder waren beste Freunde, er besuchte mehr als 800 ihrer Konzerte und folgte ihnen 1978 sogar nach Ägypten, wo er als Band-Drummer fungierte. "Ihre Message ist Frieden, Liebe, Hoffnung, Kreativität, Teamwork, Ausgelassenheit. Meine Passionen mit ihnen teilen zu dürfen, macht mich zum fröhlichsten Deadhead der Welt", sagte der Rotschopf, der liebevoll "Grateful Red" genannt wurde.
Dominanz, Erfolge, Titel - Wenn er spielte
William Theodore Walton III. war wie gemacht für diesen Sport: 2,11 Meter groß, 95 Kilogramm, beweglich, agil, smart, mit gigantischer Spannweite und einem noch größeren "Team first"-Instinkt ausgestattet, den kollektiven Erfolg stets über die eigenen Errungenschaften auf dem Hartholz stellend. Er liebte es, Assists einzusammeln und seine Mitspieler punkten zu sehen. Sein Körper jedoch ließ ihn bereits im Teenager-Alter im Stich - und dann immer und immer und immer wieder. So häufig, dass Walton, der insgesamt 39 Mal in seiner Karriere unters Messer (und nur in einer einzigen Offseason nicht operiert werden) musste, satte 680 Partien in 14 Profijahren verpasste. Viermal - inklusive seiner letzten offiziellen Saison 1987/88 - fiel er aufgrund von Verletzungen das gesamte Jahr aus.
Wenn er spielte, dominierte er. Nach zwei Titeln an der Helix High School in seiner Heimat San Diego machte er die UCLA Universität von John Wooden quasi unbesiegbar. Der legendäre Wooden wurde zu Waltons lebenslangem Mentor - nachdem er ihm als Freshman mit dem Rauswurf gedroht hatte, weil Walton sich zunächst geweigert hatte, seine Haare zu schneiden. Die Bruins gewannen dank des besten Nachwuchsspielers des Landes 86 ihrer 90 Partien und zwei nationale College-Meisterschaften in den nächsten drei Jahren, während Walton einen Rekord nach dem anderen brach. Portland wählte den Center an erster Stelle im NBA Draft 1974.

Die Portland Trail Blazers führte Walton zu ihrer einzigen Meisterschaft.
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Während seiner ersten vier Saisons in Portland war er zweimal All-Star (1977 und 1978), MVP der Liga (1978), und powerte die Trail Blazers 1977 als Finals-MVP zu ihrer ersten und bis heute einzigen Meisterschaft. In Spiel sechs der Finals legte er absurde 20 Punkte, 23 Rebounds, 7 Assists und 8 Blocks auf. Er führte die Liga bei den Rebounds und Blocks an und schaffte den Sprung ins All-NBA- und All-Defensive Team. Sein damaliger Coach, der legendäre Dr. Jack Ramsay, sagte einst über seinen Lieblingsspieler: "Bill Russell regiert in der Defensive. Wilt Chamberlain ist vorne nicht aufzuhalten. Bill Walton kann alles."
Es folgten sieben Jahre Pech und Verletzungen, sechs davon im Trikot der San Diego/Los Angeles Clippers, nachdem Walton seine letzte Saison im Blazers-Dress aus ethisch-moralischen Gründen ausgesessen hatte (er sollte später den Teamarzt auf Schmerzensgeld verklagen, weil der ihn und seine Teamkollegen jahrelang fehldiagnostiziert und so beinahe in die Sportinvalidität getrieben hatte). Über seine Zeit bei den Clippers, die später in den Besitz des kontroversen und 2014 von der Liga für immer verbannten Donald Sterling kamen, schrieb Walton später in seinen Memoiren: "Mein größtes Scheitern als Basketballer ist, hier in meiner Heimatstadt keinen Erfolg gehabt zu haben. Ein untilgbarer Schandfleck auf meiner Seele (…) Als Sterling das Team übernahm, sprangen Hinterteile plötzlich höher als Basketbälle. Der Basketball war abscheulich, und das Geschäft dort war unehrlich, korrupt, amoralisch und illegal. Ansonsten war aber alles in Ordnung..."
Im Sommer 1985, gegen Ende seiner Karriere, griff Walton zum Hörer und rief bei zwei ikonischen Klubs an: den Los Angeles Lakers und Boston Celtics. Während die Lakers erst einmal seine telefonbuchdicke Krankenakte studieren wollten, nutzte ein Zigarre rauchender Red Auerbach in Boston die Gunst der Stunde - und verpflichtete Walton, als "Larry Birds Kammerdiener", wie Walton später süffisant analysierte. Der damals 33-Jährige absolvierte in der Tat seine gesündeste NBA-Saison, machte 80 Partien, wurde als bester Sechster Mann der Liga geehrt und verhalf Bird und den Celtics zum NBA-Titel 1986 - seine laut eigenen Aussagen "besten und glücklichsten Momente als Profi". Er ist der einzige Spieler der Geschichte, der MVP, Finals MVP und Sixth Man of the Year war. 2006 schaffte er den Sprung in die Hall of Fame, 2021 unter die 75 besten Basketballer aller Zeiten.
"Danke für mein Leben"
Nach seinem Karriereende überwand Walton dank der Hilfe des legendären New Yorker Journalisten Marty Glickman sein Stottern, das ihn seit Kindestagen begleitet und lange zum schüchternen Einzelgänger gemacht hatte, und startete so eine zweite, noch erfolgreichere Karriere als Sportreporter. Er arbeitete als TV-Kommentator und als Studio-Analyst für alle bekannten US-Sportsender. 1991 gewann er einen Emmy Award, der bedeutendste Fernsehpreis der USA. Seine Monologe als Co-Kommentator waren der Stoff, aus dem Legenden gesponnen werden - eine Mischung aus philosophischen Lektionen fürs Leben und ulkigem Kauderwelsch, das niemand verstand außer ihm selbst.
Seine politischen Überzeugungen galten als radikal. Während seiner Zeit an der UCLA beteiligte sich Walton aktiv an Protesten auf dem Campus. 1972 wurde er während eines Anti-Vietnamkrieg-Protestes verhaftet - seine zum Friedenszeichen weit nach oben gestreckten Hände wurden symbolisch in zahlreichen Zeitschriften und Magazinen abgedruckt. In der NBA war er zu seiner Zeit der einzige Weiße, der offen und lautstark soziale Missstände anprangerte. Er legte sich mit der US-Regierung an und ließ sich auch von den Klubs und Institutionen, denen er angehörte, nicht den Mund verbieten.
Er war der originäre politische Athlet, nahm resolut Position ein und wehrte sich schon damals gegen das Postulat, Sportler hätten sich gefälligst nur auf Sport zu fokussieren. Auf ewig nonkonformistisch und unkonventionell, blieb sich Walton stets selbst treu. Einer seiner bekanntesten Leitsätze war: "Liebe ist die größte und wichtigste Macht in dieser Welt. Solange die Macht der Liebe nicht über die Liebe für Macht triumphiert, können wir niemals wirklich erfolgreich sein."
Genauso lebte Walton auch sein Leben. Basketball machte ihn berühmt, aber Walton war stets mehr als einer der erfolgreichsten Sportler seiner Generation. Er war, mehr als alles andere, Mensch, durch und durch. Er kümmerte sich um Andere, mit Nächstenliebe, Empathie und Respekt. Und widmete seine Zeit auf diesem Planeten dem Streben nach einer besseren Gegenwart und Zukunft. Er nannte sich selbst den "glücklichsten Mann der Welt". Seine Text-Nachrichten beendete Walton stets mit "Danke für mein Leben." Der Hall of Famer verstarb am Montag, in San Diego, im Kreise seiner Familie. Er wurde 71 Jahre alt.
Quelle: ntv.de