Gottfried von Cramm Der Tennis-Star, der zum Nazi-Gegner wurde
02.06.2020, 16:58 Uhr
Gottfried von Cramm bei einem Davis-Cup-Spiel in Düsseldorf im Jahr 1952.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Gottfried von Cramm gilt als erst deutscher Tennis-Weltstar. Heute vor 86 Jahren gewinnt er erstmals die French Open, die Nazis versuchen, ihn für ihre Propaganda zu gewinnen. Doch Cramm wehrt sich, geht dafür sogar ins Gefängnis, aus dem ihn seine Mutter befreit.
Auf dem elterlichen Rittergut im niedersächsischen Brüggen aufgewachsen, hegt Gottfried Alexander Maximilian Walter Kurt Freiherr von Cramm früh den Wunsch, seine Fußabdrücke in der Tennis-Welt zu hinterlassen. Dem Vorhaben lässt Cramm, der infolge eines Pferdebisses bereits als Kind die Kuppe des rechten Zeigefingers verliert, Taten folgen. Mit unbändigem Trainingswillen eliminiert der am 7. Juli 1909 geborene Autodidakt auch kleinste Unsauberkeiten in seinen Schlägen und legt so den Grundstein für einen raschen Aufstieg.
Mit 15 feiert Cramm den Doppeltitel bei der deutschen Juniorenmeisterschaft, mit 20 gehört er zu den besten Spielern des Landes, mit 21 holt er seinen ersten internationalen Titel und mit 24 Jahren folgt der Triumph in Paris. Der Weg zum historischen Coup ist jedoch holprig. Im gesamten Turnierverlauf muss Cramm Satzverluste hinnehmen, im Viertel- und Halbfinale verlässt er den Court jeweils erst nach fünf hart umkämpften Durchgängen als Sieger. Der ganz große Krimi erwartet die Tennis-Fans in Paris allerdings erst im Finale.
Der an Position zwei gesetzte australische Titelverteidiger Jack Crawford fordert Cramm, es entwickelt sich eine wahre Sandplatzschlacht, in der Cramm sogar einen Matchball abwehren muss, ehe er die Partie am 2. Juni 1934 mit 6:4, 7:9, 3:6, 7:5 und 6:3 für sich entscheidet.
"Finde nicht, dass ich das deutsche Volk verraten habe"
1936 wiederholt Cramm seinen Triumph bei den French Open, 1935 kassiert der großgewachsene Vorzeigeathlet mit dem charakteristischen Seitenscheitel hingegen auf der roten Asche in Frankreich ebenso eine Finalniederlage, wie 1935, 1936 und 1937 auf dem heiligen Rasen von Wimbledon und bei den US Open 1937. Dem Ansehen des Deutschen schaden die Endspiel-Pleiten jedoch nicht - im Gegenteil. In Wimbledon lobt man den "gracious loser" (würdevollen Verlierer) Cramm. US-Konkurrent Don Budge kommentierte einst: "Er spielte beneidenswert schönes Tennis, das war ihm wichtiger als der Sieg."
Eine Einstellung, mit der sich Gottfried von Cramm nicht nur Freunde macht: Der deutsche Davis-Cup-Kapitän Heinrich Kleinschroth bezichtigt Cramm 1935 sogar des Landesverrats. Im Doppel haben Cramm und sein Partner Kai Lund Matchball, als ein Ball der USA im Aus landet. Von Cramm schreitet ein und gibt zu, die Filzkugel mit dem Schlägerrand touchiert zu haben. Der Ballwechsel wird wiederholt, Deutschland verliert die Partie und kurz darauf das Davis-Cup-Halbfinale. "Ich finde nicht, dass ich das deutsche Volk verraten habe. Ich finde vielmehr, dass ich es geehrt habe", kontert der Tennis-Ästhet die gerade zu Hochzeiten des Nazi-Regimes gefährliche Anschuldigung.
Ohnehin bewegt sich Cramm auf gefährlichem Terrain. Reichsminister Hermann Göring, der wie Cramm im Berliner Tennis-Klub Rot-Weiß den Schläger schwingt, legt dem propagandatauglichen Modellathleten mehrfach den Eintritt in die NSDAP nah, Cramm lehnt ab. Die Gier nach der Vermarktung deutscher Erfolge schützt ihn vorerst auch vor Konsequenzen, als Gerüchte über homosexuelle Neigungen - unter der Nazi-Terrorherrschaft streng untersagt - die Runde machen. Die Ehe mit Elisabeth Dobeneck diene nur zur Verschleierung, wird gemutmaßt.
Opfer im Schauprozess
Die Situation eskaliert allerdings, als der bekennende Kosmopolit Cramm während einer 200-tägigen Weltreise den Zorn der Nazis auf sich zieht. Als Repräsentant Deutschlands spricht er in Japan, auf die übliche Lobpreisung Adolf Hitlers verzichtet Cramm allerdings und fordert stattdessen einen Austausch "zum Wohle und Segen unserer beiden Völker". In Australien besucht er zudem die Verfilmung des in Deutschland verbotenen Antikriesgromans "Der Weg zurück" von Erich Maria Remarque. Die Folge: Am 5. März 1938, einen Tag nach seiner Rückkehr, wird er inhaftiert und in einem offensichtlichen Schauprozess zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Hinzu kommt: Gottfried von Cramm wird eine homosexuelle Beziehung zu dem jüdischen Schauspieler Manasse Herbst nachgesagt. Außerdem soll er diesem mit finanziellen Mitteln zur Flucht verholfen haben. Die gleichgeschalteten deutschen Medien hüllen sich in Schweigen, die "New York Times" berichtet hingegen empört über den Vorfall - weltweit kommt es zu Protesten. Die Haftzeit endet nach sieben Monaten, nachdem sich Cramms Mutter bei Göring vehement für die Freilassung ihres Sohns einsetzt.
Das Racket schwingt Cramm danach allerdings nur noch kurz. 1940 wird er eingezogen und an die Ostfront geschickt. Dort erleidet er im Winter 1942 schwere Erfrierungen an den Beinen, überlebt das Martyrium jedoch. "Gottfried war wirklich erstaunlich. An ihm schien der Krieg spurlos vorübergegangen zu sein. Niemals erwähnte er die Schrecken des russischen Winters. Auch über die Zeit im Gefängnis sprach er nicht", zitiert die "tz" Cramm-Wegbegleiter Wolfgang Hofer.
Cramm genießt Vertrauen der Alliierten
Eine Veränderung im Wesen Cramms rief die schwere Zeit jedoch offenbar hervor. Protestierte der Tennis-Star zuvor selten offen gegen die Nazis, sympathisierte er nun mit dem Widerstand um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nach dem missglückten Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 soll Cramm sogar zu einer Freundin gesagt haben: "Ich will nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Ich will lediglich wissen, wer von ihnen überleben und wieder freikommen wird, wer noch frei ist und wann sie es das nächste Mal versuchen. Denn dann können sie auf mich zählen!" Den Worten sollen keine Taten folgen.
Nach dem Krieg genießt Cramm das Vertrauen der Alliierten, darf als erster deutscher Sportler an Auslandsreisen teilnehmen und siegt 1947 und 1948 bei den ersten Wahlen zu Deutschlands Sportler des Jahres. Mit beinahe 42 Jahren gibt er sich noch einmal in der Einzelkonkurrenz von Wimbledon die Ehre, bleibt sportlich erfolglos, trifft jedoch auf Woolworth-Erbin Barbara Hutton, die er Jahre zuvor während seiner mittlerweile geschiedenen Ehe mit Dobeneck kennenlernte. 1955 heiratet er die Ex-Frau von Schauspieler Cary Grant. 1960 folgt die Scheidung.
Tragisch endet das Leben eines der ersten deutschen Weltstars am 9. November 1976. Von Cramm stirbt im Alter von 67 Jahren auf einer Geschäftsreise in Kairo bei einem Autounfall.
Quelle: ntv.de