Zverevs Gegner Casper Ruud Der gefährliche Norweger, der die Freundschaft fürchtet
09.06.2023, 08:56 Uhr
Casper Ruud ist wieder gefährlich.
(Foto: picture alliance / AA)
Casper Ruud ist einer, den die Kollegen respektieren, sie ehren den norwegischen Tennisprofi sogar mit einer Auszeichnung. Dabei will der 24-Jährige seine Gegner eigentlich gar nicht zu sehr mögen. Freundschaft mache ihm das Siegen schwerer, sagt er. Nun steht das nächste große Spiel an.
Casper Ruud ist 24 Jahre alt und eine Tennislegende. Wenigstens in Norwegen. Das liegt, bei allem Respekt für Casper Ruud, auch ein bisschen daran, dass sich in Norwegen über Jahrzehnte niemand so recht für Tennis begeistert. Jedenfalls außerhalb der Familie Ruud. "Es existiert nicht so viel Interesse an Tennis in Norwegen. Ich verstehe, dass olympisches Gold im Skifahren zu gewinnen etwas Größeres ist, als ein Top-Ten-Tennisspieler in der Welt zu sein", sagte der junge Profi mal selbst zum "Tennismagazin".
Ruud bricht alle Rekorde, er ist der größte Tennisspieler in der Geschichte seines Landes. Alle Rekorde, die Casper Ruud bricht, gehörten einst seinem Vater Christian Ruud, der es mal bis auf Platz 39 der Weltrangliste geschafft hat. Der zweitbeste Norweger steht derzeit auf Position 338 der Weltrangliste. Casper Ruud war schon die Nummer 2. Und während der Vater nie ein ATP-Turnier gewinnen konnte, hat der Junior schon elf Turniersiege auf dem Konto. Gegen Alexander Zverev will der junge Ruud zum zweiten Mal in Serie das Finale der French Open erreichen. Die beiden stehen sich am Abend (frühestens ab 17.30 Uhr) im Halbfinale gegenüber. "Es ist großartig, ihn wieder im Halbfinale zu sehen", sagte Ruud über Zverev, der sich im Halbfinale 2022 gegen Rafael Nadal schwer am Knöchel verletzt hatte. Einer von beiden wird das Endspiel erreichen und es dürfte ein großes Spiel werden.
Kyrgios höhnte einst
"Casper war schon mal in dieser Situation, er war letztes Jahr hier im Finale, er weiß ganz genau, was zu tun ist", sagte Zverev nach seinem eigenen Halbfinaleinzug. "Er ist ein sehr, sehr guter Tennisspieler, ein sehr solider Tennisspieler." Was Zverev mit "solide" meint: Ruud hat sich wieder auf einem hohen Niveau stabilisiert, sein Spiel unterliegt in den Tagen von Paris kaum Schwankungen. Negative Emotionen lässt er sowieso nicht zu. Ruud spielt nicht spektakulär, seine Grundschläge haben einfach eine gewaltige Qualität. Branchenrüpel Nick Kyrgios höhnte mal, er "schaue lieber Farbe beim Trocknen zu, als dich Tennis spielen zu sehen". Es ist ein schweres Missverständnis. Ruud hatte dem Australier nach einer Disqualifikation zuvor bescheinigt, er - Kyrgios - habe sich "auf dem Platz benommen wie ein Idiot".
Das war 2019, damals setzte der Grenzen verschiebende Norweger zum großen Klettern an: Seine Basis ist die Tennisakademie von Rafael Nadal auf Mallorca, 2020 erreichte er in Houston sein erstes ATP-Finale, es folgte das Halbfinale in Kitzbühel. Hatte er das Jahr 2019 noch auf Platz 54 der Weltrangliste abgeschlossen, war es 2020 schon Platz 27. "Wenn sich die großen Drei um Federer, Nadal und Djokovic verabschieden, wird es in der Tenniswelt sehr offen sein", sagte Ruud schon 2020 dem "Tennismagazin" zu seinen Ambitionen. "Wir haben in unserer Generation niemanden, der so hervorsticht wie einer von ihnen. Platz eins wird nach ihrem Rücktritt hart umkämpft sein. Irgendjemand muss die Nummer eins der Welt sein. Ich werde alles unternehmen, dass dort mein Name steht."
Im September 2022 steht Casper Ruud, der Tennisprofi aus dem Land der Wintersportler, auf Platz 2 der Weltrangliste. Derzeit ist er Vierter und auf einer Mission: "Ich möchte, dass der Tennissport in Norwegen populärer wird. Ich sage nicht, dass wir die Skier verbrennen sollen, aber vielleicht können einige junge, sportliche Kinder einen Schläger wählen und ihr Talent auf den Tennisplatz bringen", erzählte er der Tenniswelt via "Eurosport". "Vielleicht können sie im Sommer Tennis spielen und im Winter Skifahren."
Es geht auch in Paris dieser Tage um die Nachfolge von Rafael Nadal. Der ewige Dominator von Roland Garros, der im Pariser Sand schon 14 Mal triumphierte, fehlt in diesem Jahr. Der Körper des Spaniers ist von der langen Karriere zerschunden. Im vergangenen Jahr noch ließ Nadal Ruud im Endspiel nicht den Hauch einer Chance, nun nimmt der Norweger den nächsten Anlauf. 14 Mal stand Nadal im Finale der French Open, 14 Mal gewann der Spanier auch.
"Mag es nicht, wenn Gegner Freunde sind"
Die Dominanz Nadals hat Ruud auf einem anderen Feld 2022 aber schon gebrochen: Die Profikollegen ehrten ihn mit dem Stefan Edberg Sportsmanship Award. Eine Auszeichnung, die Nadal zuvor viermal in Serie gewonnen hatte. Sie geht an den Spieler, der "sich über die Saison mit größter Professionalität und Integrität verhalten hat" und der "seinen Mitspielern mit größter Fairness begegnet ist und auch mit Aktivitäten neben dem Platz den Tennissport gefördert hat", wie die ATP schreibt. In den letzten 18 Jahren hatten immer entweder Roger Federer oder eben Nadal diese Auszeichnung gewonnen. Die beiden größten Spieler ihres Sports. Nun also Ruud, der Nachfolger.
Dabei hatte der beliebte Norweger erst jüngst in seinem monatlichen Podcast "Ruud Talk" sein überraschendes Rezept verraten, wie er einigermaßen erfolgreich durch den emotionalen Tenniszirkus kommt: "Ich mag es nicht, wenn meine Gegner gute Freunde sind", erklärte Ruud der ehemaligen Weltklassespielerin Barbara Schett. Schon früher habe er das gehasst, weil er sich nach Siegen schlecht für seine Gegner gefühlt habe. Heute "achte ich darauf, meine Kollegen so respektvoll zu behandeln, wie ich kann. Aber ich will nicht zu viele gute Freunde auf der Tour haben, denn es würde sich in einem großen Match schwierig anfühlen, zu versuchen, sie so deutlich wie möglich zu schlagen."
Das Jahr 2023 ist für den Weltranglisten-Vierten bisher kompliziert: In Estoril holte er zwar den Titel, doch außer beim Masters in Rom (Halbfinal-Aus gegen Holger Rune) liefen die großen Turniere völlig enttäuschend. Drei große Endspiele erreichte Casper Ruud 2022 - und er verlor sie alle: Gegen Nadal in Paris, im Finale der US Open gegen Carlos Alcaraz, bei den ATP Finals unterlag er Novak Djokovic. Es waren herbe Dämpfer und die ersten Ergebnisse des neuen Jahres warfen plötzlich die Frage auf, was das alles mit dem Norweger gemacht haben könnte. Doch pünktlich zum Höhepunkt der Sandplatz-Saison scheint das alles egal: Ruud marschiert souverän durch die French Open.
"Das war sicher der größte Sieg"
Der Viertelfinalsieg über Holger Rune war ziemlich beeindruckend. Den besonders zu Beginn auch mit sich selbst kämpfenden dänischen Senkrechtstarter zermürbte Rune mit gewaltigen Grundschlägen und großer Übersicht, am Ende hieß es 6:1, 6:2, 3:6, 6:3 für Ruud. "Das ist sicher der größte Sieg des Jahres für mich, wenn man bedenkt, wie das Jahr gelaufen ist", sagte der 24-Jährige hinterher. "Ich bin sehr glücklich darüber." Der impulsive Däne Rune ist kein Freund von Casper Ruud, das ist verbürgt. Die beiden lieferten sich schon einmal eine Fehde, die aber ist inzwischen ausgeräumt.
Als die Skandinavier zuvor in Rom im Halbfinale gegeneinander spielten, nahm sich Rune, der eine Satz und ein Break hinten lag, kurz vor Ende des zweiten Satzes ein Medical Timeout. Auf die Frage, ob er eine taktische Maßnahme seines Rivalen unterstelle, sagte Ruud hinterher: "Das will ich nicht unterstellen, aber ich weiß es nicht. Ich müsste einfach raten. Aber ich denke, wenn man Schmerzen hat, dann hat man das Recht, die Physio zu holen." Rune fand nach der Unterbrechung jedenfalls topfit zurück ins Match und gewann in drei Sätzen. Denn: "Er hat im zweiten und dritten Satz sehr, sehr gut gespielt", wie der faire Norweger nach der Enttäuschung lobte. Nun revanchierte sich Rune - und brachte auf den Punkt, was Ruud in guter Form so gefährlich macht: "Selbst sein niedriges Niveau ist sehr hoch."
Ruud ist ein Mann des Ausgleichs, er mag keine Ausbrüche. "Ich habe tatsächlich noch keinen Schläger zerstört. Auch hier habe ich mich an ihm orientiert. Das ist ein kleines Ziel von mir, in meiner Karriere nie einen Schläger zu zerstören", erzählte er 2022 dem "Tennismagazin". "Es ist eine einfache Sache, einen Schläger wegzuwerfen oder zu zerstören, wenn man diesen ständig in der Hand hält und sauer auf sich oder andere wird. Aber es gibt dir keine gute Energie. Es ist nicht die Schuld des Schlägers, sondern deine eigene." Positivität als Erfolgsrezept. Casper Ruud hält gerne sein Niveau und das tut den meisten seiner Kollegen weh. Sehr weh. Er ist ein netter Typ, einer der am meisten respektierten Spieler auf der Profitour. Trotzdem möchten ihn wohl die wenigsten auf dem Platz treffen. Er ist halt eine Tennislegende. Und das liegt nicht nur an Norwegen.
Quelle: ntv.de