WM-Bilanz so schlecht wie nieDeutsche Schwimmer treiben dem Debakel entgegen

"Die Trümpfe haben nicht gestochen", räumt der Deutsche Schwimm-Verband bei der WM in Japan ein. Die Hoffnungen liegen jetzt auf Florian Wellbrock, der schon im Freiwasser überragte. Es droht die schwächste Ausbeute, die jemals bei einer WM erzielt wurde.
Florian Wellbrock suchte beim Shoppen am Bahnhof Hakata ein wenig Abwechslung vom WM-Einerlei zwischen Hotel und Schwimmhalle. "Er hat versucht, mal auf andere Gedanken zu kommen. Das ist die einzige Ablenkung, die man hier hat", sagte Bundestrainer Bernd Berkhahn, der seinen Olympiasieger auf den Showdown in Fukuoka vorbereitet. Von Deutschlands Schwimmstar hängt es ab, ob die Tage in Japan historische werden - im Guten oder im Schlechten.
Denn sollte sich der 25-Jährige nach seinem rätselhaften Fehlstart im Becken zum Abschluss am Wochenende auf seiner Paradestrecke wie vor vier Jahren mit Gold zurückmelden, würde er sich nach dem Doppeltriumph im Freiwasser zum ersten deutschen Dreifach-Weltmeister krönen. Sollte er leer ausgehen, könnte er die schwächste deutsche Bilanz der WM-Geschichte perfekt machen.
Nach mehr als der Hälfte der Rennen in der Marine Messe steht weiter nur die Bronzemedaille seines Trainingspartners Lukas Märtens über 400 Meter Freistil zu Buche. So schlecht schnitten die deutschen Beckenschwimmer bei 19 Weltmeisterschaften noch nie ab. Dabei waren Wellbrock und Co. mit einem historischen Vierfacherfolg im Freiwasser in die WM gestartet. "Der Schwung ist verloren gegangen", gab Leistungssportdirektor Christian Hansmann vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV) zu, als erstmals in Fukuoka der Finalabschnitt am Abend ohne deutsche Beteiligung stattfand.
Wellbrock kennt die Rolle als Hoffnungsträger
"Die Trümpfe haben nicht gestochen", bilanzierte Hansmann und meinte damit nicht nur Wellbrock, der über 800 Meter als Goldkandidat bereits im Vorlauf gescheitert war. Genauso früh schied auch die als Vize-Weltmeisterin angereiste Anna Elendt als größte Medaillenhoffnung der Frauen über 100 Meter Brust aus. Isabel Gose stieß über 400 und 1500 Meter noch nicht aufs Podium vor - ebenso wie die Sprinter Lucas Matzerath und Angelina Köhler. Alle drei schwammen deutsche Rekorde, "aber der Sprung zu einer Medaille ist dann noch mal ein großer", befand Hansmann.
So trägt wieder einmal Wellbrock alle Hoffnungen, wenn es darum geht, einen historischen Tiefpunkt abzuwenden. Schon in der Vergangenheit hatte der Magdeburger die deutschen Schwimmer fast alleine aus der Bedeutungslosigkeit geführt, in die sie nach den medaillenlosen Olympischen Spielen 2016 und nur einmal Silber bei der WM 2017 gestürzt waren. Und hatte als erster deutscher Schwimm-Olympiasieger und erster fünfmaliger WM-Medaillengewinner seit "Albatros" Michael Groß in den letzten beiden Jahren bereits Sportgeschichte geschrieben.
Über 1500 Meter geht Wellbrock zwar als Weltjahresbester ins Rennen, er sehe sich aber "nicht mehr als Favorit", berichtete Berkhahn, "das gefällt mir ganz gut." Ein weiteres Déjà-vu mit Gold zum Abschluss nach dem Vorlauf-Aus über 800 Meter wie bei der WM 2019 wäre "unfassbar". Denn dafür, so glaubt der Bundestrainer, müsste er so schnell sein wie niemand zuvor. Wenn man die Entwicklung seiner Konkurrenten über 800 Meter sehe, "dann werden zwei, drei unter Weltrekord schwimmen", prognostizierte Berkhahn, "und das wäre ein Meilenstein in der Schwimmgeschichte." Historisch könnte es werden - so oder so.