Fußball

"Spielen die Saison zu Ende" Die DFL verliert die Kontrolle

"Wir werden auf alle Fälle die Saison zu Ende spielen, und wenn es eben 'ne Woche später ist, ist es 'ne Woche später." Das sagt Steffen Schneekloth.

"Wir werden auf alle Fälle die Saison zu Ende spielen, und wenn es eben 'ne Woche später ist, ist es 'ne Woche später." Das sagt Steffen Schneekloth.

(Foto: Andreas Gora/dpa)

Am Wochenende startet die Bundesliga ein Experiment: Als erste große Sportliga der Welt nimmt sie den Spielbetrieb mitten in der Corona-Pandemie wieder auf. Dafür hat die DFL gut und hart gearbeitet. Sie sollte aber nicht glauben, dass sie alles unter Kontrolle hat.

Kennen Sie Steffen Schneekloth? Sie sollten ihn dieser Tage wirklich auf dem Zettel haben, denn Schneekloth ist Vize-Präsident der DFL. Der Jurist versprach am Sonntag im NDR: "Wir werden auf alle Fälle die Saison zu Ende spielen, und wenn es eben 'ne Woche später ist, ist es 'ne Woche später." Das ist grob anmaßend und wenn es tatsächlich die innere Haltung der Deutschen Fußball-Liga ist, ist sie töricht - und verantwortungslos.

Natürlich: Die DFL hat für sich und ihre Mitglieder in der Corona-Krise grandios abgeliefert, ganz unironisch. Die Fußball-Industrie hatte schnell starke Lobbyisten aus der Politik, die Verantwortlichen aus der Liga präsentierten ein großartiges Schauspiel zwischen Demut und Druck, und das kleinteilige Hygienekonzept überzeugte viele Instanzen, es wird weltweit bewundert, wohl zu Recht. Die Entscheidung, dass die Bundesliga den Spielbetrieb am Wochenende wieder aufnimmt, scheint vertretbar. Nachvollziehbar ist der Wunsch von DFL und den angeschlossenen Fußball-Firmen ohnehin.

Die moralischen Implikationen einer Fortsetzung des Spielbetriebs haben die DFL nicht zu interessieren. Dass Eltern Job und Kinderbetreuung im Homeoffice koordinieren müssen, weil Schulen und Kindergärten noch auf Sparflamme laufen, ist weder Schuld noch Problem der DFL. Sie ist ihren Mitgliedern, den 36 Klubs der 1. und 2. Bundesliga verpflichtet. In deren Interesse hat sie das Beste herausgeholt. Der Ball darf erstmal wieder rollen und damit rollt auch der Rubel wieder.

Der Wettbewerb ist korrumpiert

Aber zu behaupten, die Saison werde auf alle Fälle zu Ende gespielt, konterkariert nicht nur die tatsächliche Situation, in der die Gesundheitsämter entscheiden, wer spielt und wer nicht. Die Aussage ist auch eine gefährliche Absage an den fairen Wettbewerb, den die DFL gewährleisten muss.

Denn der ist schon vor dem ersten Ballkontakt korrumpiert, auch, weil das Konzept nicht in letzter Konsequenz mit der Realität vereinbar ist. Das komplette Team von Abstiegskandidat Dynamo Dresden muss nach zwei positiven Fällen für zwei Wochen in häusliche Quarantäne. Das hat das örtliche Gesundheitsamt entschieden, die DFL hoffte in solchen Fällen darauf, einfach die betroffenen Spieler vom Team zu separieren. Denkste. Die beiden Spiele, die dadurch wohl ausfallen, lassen sich aufholen. Der Trainingsrückstand gegenüber der Konkurrenz aber nicht. Das ist nicht nur für die Dresdner problematisch, die einen Punkt hinter dem Relegationsrang stehen, sondern auch für den Wettkampf weiter oben: Die ausgebremsten Sachsen müssen noch gegen drei Aufstiegskandidaten ran.

Diese Bedenken hat die DFL in Person von Steffen Schneekloth locker abmoderiert, die Konsequenz aus dem Dresden-Dilemma besteht offenbar bisher nur in einer Anpassung des Spielplans. Ohnehin galt ja, was DFL-Boss Christian Seifert im "Aktuellen Sportstudio" gesagt hatte: "Was Sie da sehen werden, ist ein absoluter Notbetrieb an Bundesliga." Bis Ende Juni, so der Plan der DFL, will man mit den letzten neun Spieltagen durch sein. Das ist gut schaffbar, passieren darf aber nicht mehr viel. "81 Spiele stehen in der Zweiten Liga an. Es bedeutet nun, dass zwei Spiele von Dresden nicht gespielt werden können. Wir ändern jetzt nicht das Ziel, sondern den Plan", sagte Seifert. Es geht darum, die Sache irgendwie zu Ende zu bringen. Mehr nicht. Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar.

Aber dann ist da noch das erschütterte Vertrauen in das hochgelobte Konzept, das den Spielern größtmögliche Sicherheit und der Liga einen halbwegs fairen Wettbewerb garantieren sollte. Das beste Konzept lebe von der Umsetzung aller Beteiligten, sagte Schneekloth dem NDR, und damit hat er natürlich recht. Voraussetzung sei, dass die Anforderungen eingehalten werden. "Und wenn das gemacht wird, [...] ist es relativ unwahrscheinlich bei Anwendung dieses Konzepts, dass es noch Infizierungen gibt." Nur auf dieser Basis wird überhaupt gespielt.

Da sind die vier Sätze, die Simon Martiniok, einer der beiden positiv getesteten Spieler, offenherzig in einem inzwischen gelöschten Instagram-Post verriet, ein schlimmer Schlag: "Nachdem ich fünfmal getestet wurde, seit wir wieder mit dem Training begonnen haben und jedes Ergebnis negativ war, bekam ich plötzlich einen Test zurück, der besagte, dass ich positiv auf Covid-19 getestet wurde. Keine Symptome, keine Indizien, nichts. Ich habe alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die ich konnte. Und trotzdem ist es passiert." Die Botschaft: Man hat nichts unter Kontrolle, trotz des besten Hygienekonzepts. Wie Hertha-Profi Salomon Kalou in einer viel beachteten Videodokumentation bewiesen hatte: Mancher hat nicht einmal das Konzept unter Kontrolle.

"Das Konzept steht auf tönernen Füßen", sagte Borussia Mönchengladbachs Sportchef Max Eberl mit Blick auf die Corona-Fälle aus Dresden. "Kontaktpersonen in Kitas, Schulen, Familien und Betrieben werden ausnahmslos unter Quarantäne gestellt, wenn die Gefahr einer Ansteckung und Weiterverbreitung besteht. Es gibt derzeit keinen Anhaltspunkt, warum der Fußball hiervon eine Ausnahme bilden könnte oder sollte", sagte Dresdens Stadtsprecher Kai Schulz zu den Fällen bei Dynamo. Es gebe "keine Vereinbarung zwischen der DFL und staatlichen Stellen», die eine Abweichung von diesem Grundsatz zuließe." Ab sofort - und das muss jedem klar sein - fliegt der Fußball auf Sicht, mit der DFL als Ko-Pilot.

"Wenn jeder Spieler anonym entscheiden dürfte ..."

Der Fall des Kölner Profis Birger Verstraete gibt einen Einblick in die Seele der Spieler: "Wir sollten vorerst nicht unter Quarantäne gestellt werden, und das ist ein bisschen bizarr", sagte Verstraete, nachdem in Köln sieben Tests positiv ausgefallen waren. Es sei seltsam, dass "alles einfach so weitergeht", sagte der Belgier dem TV-Sender VTM aus seinem Heimatland. "Wenn jeder Spieler anonym entscheiden dürfte - ohne dass der Verein ihnen die Schuld geben kann -, dann bin ich sehr gespannt, wie die Stimmung ausfallen würde", sagte er. "Alle sagen das Gleiche. Die Gesundheit der Familie steht an erster Stelle."

Zweitligaprofi Marc Lorenz vom Karlsruher SC wurde genauso deutlich: "Es ist für mich ein Durchdrücken ohne Rücksicht auf Verluste. Gesundheit ist unbezahlbar." Eine Infektion könnte für Profisportler tatsächlich auch fatale Folgen haben. "Man muss schon den Sportler schützen. Gehe ich also das Risiko ein für eine schwerwiegende Infektion mit Lungenbeteiligung und möglicherweise das Karriereende? Dieses ist ja zumindest nicht auszuschließen", sagte Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule Köln. Und schildert der Deutschen Welle ein plastisches Beispiel: "Stellen wir uns folgendes rein hypothetisches Szenario vor: Ein Spieler von Mainz 05 hat unwissentlich eine Infektion, und der Test schlägt nicht an, was durchaus vorkommt. Der Klub spielt gegen den FC Bayern, und der Mainzer Spieler steckt Robert Lewandowski an. Bei Lewandowski verläuft die Krankheit schwer, seine Lunge wird schwer geschädigt. Daraufhin sinkt sein Marktwert ins Unterirdische. Und was machen wir dann? Die Verantwortlichen in der Bundesliga sollten sich die Frage stellen, ob sie ein solches Risiko eingehen wollen oder nicht." Die Wissenschaft lernt jeden Tag etwas Neues über das Virus, unterdessen haben Liga und Klubs entschieden, das Experiment zu wagen. Das ist verständlich.

Zu versprechen, dass die Saison zu Ende gespielt wird, egal wie, egal wann, ist anmaßend. Niemand kann garantieren, dass überhaupt in zwei Wochen noch gespielt wird. Die DFL hat alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man es nun auf einen Versuch ankommen lässt. Nicht mehr. Wie das Experiment ausgeht, weiß niemand. Und niemand sollte gegen jede Vernunft behaupten zu wissen, was die Zukunft bringt.

Quelle: ntv.de

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