"Bayern-Dusel" gegen Denver? Die NFL will "nervige" Chiefs endlich verlieren sehen
16.11.2024, 11:07 Uhr
Es könnte für Patrick Mahomes schlechter laufen.
(Foto: IMAGO/Imagn Images)
Die NFL verzweifelt. Die eigentlich von Verletzungen und Formkrisen geschüttelten Kansas City Chiefs dominieren die Liga wie selten. Am Sonntag steht der moderne Klassiker gegen die Buffalo Bills an - und danach könnte alles noch schlimmer werden.
"In der Zeit, in der du zur Tür gehst, um dem Pizza-Lieferanten Trinkgeld zu geben, hat dieses Team einen weiteren Touchdown erzielt." So kündigt Berufssuperstar The Rock vor dem Super Bowl 2019 die Kansas City Chiefs an. Das Team war zu diesem Zeitpunkt seit 50 Jahren nicht mehr im prestigeträchtigen Endspiel der NFL. Sie gewinnen das Spiel gegen die San Francisco 49ers und werden danach zum Dauergast im Super Bowl. 2022 und 2023 holen sie die Trophäe erneut.
Dabei steht das Projekt Titelverteidigung im vergangenen Jahr auf wackligen Beinen. Sie kassieren sechs Niederlagen, so viele, wie seit 2017 nicht mehr. Und doch überrollen sie in der Wild Card Round die Miami Dolphins, setzen sich mal wieder gegen die Buffalo Bills durch, schlagen die Ravens und triumphieren im Super Bowl 2023 – wie schon im 2019 – über die nach Revanche dürstenden San Francisco 49ers.
Das große Hoffen aufs Scheitern
Längst sind die Kansas City Chiefs das Bayern München der NFL. Fans, Teams, Liga, alle haben mehr oder minder große Hoffnungen, dass doch bitte mal jemand anderes gewinnt. Unzählige Menschen hoffen auf das Scheitern der Chiefs. Wenn man im Sommer all jenen Menschen gesagt hätte, wie es in der ersten Hälfte der Saison um den Kader von Andy Reids Truppe bestellt ist, wären wohl Jubelstürme losgebrochen.
Zunächst: Die Kansas City Chiefs verlieren alle drei Pre-Season-Games. Geschenkt. Doch als die Saison losgeht, steckt Travis Kelce, der durch seine Beziehung zu Taylor Swift womöglich berühmter wurde als sein Team selbst, in einem gigantischen Formtief. So wenig Yards pro Spiel wie in der laufenden Saison weist der Tight-End zuletzt 2018 auf. Nummer-1-Running-Back Isaiah Pacheco verletzt sich nach zwei Spielen und fällt bis heute aus. Als Receiver Marquise Brown nach einer Verletzung zu Saisonbeginn gerade erst zurückkommt, muss plötzlich Star-Pass-Empfänger Rashee Rice aussetzen, weil er nach einer Interception vom eigenen Quarterback(!) getacklet wird. Später erwischt es die anderen zwei Passempfänger JuJu Smith-Schuster und Mecole Hardman. Auch Pacheco-Ersatz Kareem Hunt muss drei Spiele zuschauen. Die medizinische Abteilung in Missouri dürfte zwischenzeitig kaum noch mitgekommen sein.
Selbst Mahomes zeigt Schwächen
Den prominenten Optionen fürs Laufspiel sowie einem Großteil seiner Anspielstationen durch die Luft beraubt, scheint alles an Patrick Mahomes zu hängen. Zu allem Überfluss wirft der in der ersten Hälfte der Saison neun Interceptions. 2020 waren es in der gesamten Regular Season lediglich sechs. Sein Passer-Rating ist so niedrig wie noch nie. Wo also stehen die Kansas City Chiefs nach neun Spielen, in denen die Fans ihrer Offense beim Auseinanderfallen zuschauen durften? Auf der 1. Ohne eine Niederlage.
Nun ist es keinesfalls so, als würden die Personalengpässe und Formkrisen überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Der Esprit, diese Unbekümmertheit, mit der die Chiefs in den vergangenen Jahren über Feld und Gegner hinwegdonnern, ist seltener geworden. Auch in den Statistiken des Teams finden sich Auffälligkeiten. Im Schnitt lässt das Team leicht mehr Punkte zu, als in der vergangenen Saison. Die selbst erzielten Punkte pro Partie sind zwar besser als im Vorjahr (24,3), jedoch weit weg von den Werten der Jahre 2020 bis 2022, als Gegnern der Chiefs im Durchschnitt 29 Punkte eingeschenkt wurden.
Wie ein Achtjähriger, der den Eiswagen verfolgt
Und doch: Es reicht. Irgendwie. Und zwar immer. Von ihren neun Siegen sind lediglich zwei keine "One-Score-Games". In allen anderen Partien hätte der Gegner also lediglich einen Touchdown, stellenweise sogar nur ein Field Goal gebraucht, um die geschwächte Übermacht eben doch zu bezwingen. Glück? Pff. "Immer Glück ist Können", stellte FCB-Urgestein Hermann Gerland einst fest.
Sinnbildlich für die Unbezwingbarkeit der Chiefs ist der Auftritt gegen die Denver Broncos am vergangenen Wochenende. Nach einem zähen und doch spannenden Spiel stellen sich die Broncos eine Sekunde (!) vor dem Schlusspfiff zum Field-Goal-Versuch auf. 35 Yards Entfernung, leichter Wind. Das Ding ist durch. Überall in den USA knallen die Sektkorken. Der Underdog mit dem Rookie-Quarterback aus Denver schlägt endlich die Chiefs. Dann rollt Mike Danna, Kansas Citys Defensive End, durch die Mauer der Denver-Spieler und blockt den Kick. 2023 werden in der NFL 1030 Field Goals versucht. Geblockt werden 17. Patrick Mahomes läuft so euphorisiert übers Feld, als würde ein Achtjähriger den Eis-Wagen verfolgen. Weiter, immer weiter.
"Sie sind einfach nur sehr gut"
Das nervt. Also wahrscheinlich alle, außer die Chiefs. The Athletic titelt am Donnerstag: "Bills bereiten sich auf Spiel gegen nervige Chiefs vor, die trotz ihrer Schwächen weiter gewinnen." Längst hat die Unerklärlichkeit der gruseligen Serie den Vorwurf zur Folge, dass die Schiedsrichter das Team bevorteilen. Bills-Verteidiger A.J. Epenesa hält davon wenig. "Ich halte mich fern davon, zu behaupten, die Refs helfen ihnen oder 'Oh, sie haben Glück gehabt.' Als Spieler sind das Ausreden." Der Erklärungsansatz von Bills-Trainer Sean McDermott ist erstaunlich simpel: "Sie sind einfach nur sehr gut."
Eine perfekte Saison gespielt haben bisher vier Teams. Die Chicago Bears sowohl 1933 als auch 1942 (alle 13 Saisonspiele gewonnen), die Miami Dolphins 1973 (14 Spiele gewonnen) und – klar – die New England Patriots 2007 (16 Spiele gewonnen). Als nächstes Team werden die Buffalo Bills versuchen, die Chiefs von diesem Kunststück abzuhalten. Für die Bills sind die Chiefs womöglich eine noch größere Plage als für die anderen NFL-Teams. 2021, 2022 und 2024 trafen die beiden Teams in den Playoffs aufeinander. Immer gewannen die Chiefs. Die letzten drei Regular-Season-Games hingegen gingen allesamt nach Buffalo. Das Spiel ist mittlerweile ein moderner Football-Klassiker.
War es das für die Konkurrenz?
Ironischerweise könnte ein Sieg gegen die Bills dafür sorgen, dass der amtierende Meister im Verlauf der Saison noch das ein oder andere Spiel abgibt. Kein Team, gegen das die Chiefs noch spielen müssen, steht gerade besser da als die Bills. Mit einem Sieg stünden die Chiefs bei 10:0 und somit mindestens zwei Niederlagen vor den anderen AFC-Teams. Je nachdem wie die Konkurrenz in den nächsten Wochen punktet, könnte Kansas der Spitzenplatz der AFC – und somit das freie Wochenende in der ersten Playoff-Runde – bald nicht mehr zu nehmen sein.
Damit wäre der Weg frei, angeschlagene Stars zu schonen, statt sie weiter zu belasten. Ob Kansas die Saison tatsächlich ohne Niederlage beendet, dürfte der erfolgsverwöhnten Franchise recht egal sein. Wichtig wird’s im Januar und Februar, in den Playoffs und im Superbowl. Das Lazarett hätte so genügend Zeit, sich zu lichten. Die Formkurve des strauchelnden Travis Kelce scheint ebenfalls wieder nach oben zu zeigen. Nachdem er auf seinen ersten Touchdown in dieser Spielzeit bis zum 27.10. warten musste, legte er am 10.11. gegen die Broncos gleich noch einen nach. Und dann wäre da ja auch noch DeAndre Hopkins.
Im Angesicht der Verletzungsmisere auf der Receiver-Position hat Kansas City kurzerhand per Trade einen Receiver verpflichtet, der das bisher vorhandene Personal noch einmal überstrahlt. Direkt im Debüt fing der 32-Jährige zwei Touchdowns. Bisher gewann Kansas City seine Spiele mehr als sonst aufgrund der sehr guten Defense. Wenn nun auch die Offensive bis zu den Playoffs wieder gesund wird, beziehungsweise in Form kommt, müssen sich NFL-Fans im Frühjahr 2025 mit dem Trinkgeld für den Pizzaboten wieder beeilen.
Quelle: ntv.de