Sport

Legende tritt ab, DSV-Star hofft Die Streif - zweiminütiger Ritt durchs Eis-Inferno

Beat Feuz beendet unmittelbar nach der Streif seine großartige Karriere.

Beat Feuz beendet unmittelbar nach der Streif seine großartige Karriere.

(Foto: imago images/Schiffmann)

Die Skirennläufer haben sich in Kitzbühel eingefunden, für viele ist der Ritt auf der Streif der eigentliche Saisonhöhepunkt. Ein Sieg dort ist ein prestigeträchtiger Erfolg für die Ewigkeit - etwa wie für die Tennisspieler ein Triumph in Wimbledon. Für eine Legende ist es der Schlusspunkt.

Die mächtigste, brutalste und legendärste Abfahrt der Welt bittet wieder zum Duell. 58 waghalsige Speedfahrer werden sich an diesem Freitag um 11.30 Uhr auf die Piste wagen, die so viele Geschichten geschrieben hat, von großen Helden, von großen Sorgen um die mutigen Protagonisten. Die Streif ist der schmalste Grat zwischen Show und Horror, den der alpine Zirkus zu bieten hat. Zwischen der maximalen Anspannung im Starthaus und der maximalen Erleichterung im Ziel liegen knapp zwei Minuten, gut drei Kilometer, blankes Eis, die Mausefalle, das Karussell, der Steilhang, die Hausbergkante, die Traverse, der Zielschuss - Abschnitte aus der Hölle, Gefälle bis zu 80 Prozent, Sprünge über 60, 70 Meter ins gefühlte Nichts. Unten eine Kulisse zwischen Ekstase und Angst.

Um möglichst folgenschwere Stürze zu vermeiden - mindestens 20 gab es davon in den vergangenen 30 Jahren - wird die Streif wieder zu einem Hochsicherheitstrakt. Am Pistenrand stehen und hängen rund 15 Kilometer Netze und Zäune, darunter 1,7 Kilometer der sogenannten A-Netze mit Sicherheitsplanen. Hinzu kommen diesmal 141 luftgepolsterte "Airfences". Ein Team aus 30 Helfern kümmerte sich um den Aufbau. Doch so sicher die Streif wird, Stürze wird es immer geben. Auch schwere. Die sind Teil der Geschichte, auch sie begründen den Mythos dieses Rennens. Vor zwei Jahren erwischte es etwa den Schweizer Urs Kryenbühel. Beim Zielsprung verlor er die Kontrolle und knallte mit dem Kopf auf die eisige Piste. Er brach sich das Schlüsselbein und riss sich Kreuz- und Innenband im rechten Knie.

"Ich hätte sterben können"

Die gefährlichen Abflüge bleiben ebenso in Erinnerung wie die großen Siege. "Der Sturz", sagte Daniel Albrecht einst, "war eigentlich ein sehr kleiner Fehler. Ich hätte sterben können." 2009 hatte es den Schweizer erwischt. Lungenquetschungen, schweres Schädel-Hirn-Trauma, fast vier Wochen Koma. Er überlebt. Zwei Jahre später fährt er wieder Weltcuprennen. Erfolgreich ist er nicht mehr, aber glücklich: "Dass ich es nach meinem Unfall nochmals in den Weltcup geschafft habe, stufe ich sehr hoch ein und das Wichtigste: Ich kann gesund aufhören!"

Die Geschichte von Albrecht ist kein spektakulärer Einzelfall. Sie wiederholt sich, wieder und wieder. Nicht immer mit der gleichen Heftigkeit. Manche aber erwischt es noch schlimmer. So wie Hans Grugger. Der Österreicher verliert 2011 während eines Trainingslaufs in der Mausefalle das Gleichgewicht. Er schlägt hart auf Rücken und Kopf auf. Lebensgefahr, Koma, Karriereende.

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie kehrt das Spektakel in voller Ausprägung zurück in den mondänen Skiort, in dem sich Jahr für Jahr die großen Legenden aus dem Sport und dem Showbusiness versammeln. Unangefochtener König der Größen ist Arnold Schwarzenegger. Ein Terminator als Glücksbringer für den Ritt durchs Eis-Inferno - wie passend. 2021 durften keine Zuschauer an der Piste sein, im vergangenen Jahr waren nur 1000 pro Rennen erlaubt. Diesmal wird es im Zielraum wieder voll. Zwar werden pro Rennen maximal 25.000 Tickets verkauft, dazu dürften aber noch zahlreiche VIP- und Ehrengäste für Stimmung sorgen.

Einer der Allerbesten macht Schluss

Und sie dürften die großen Klimasorgen der vergangenen Wochen vergessen. Ein erschreckender Schneemangel hatten nicht nur den Skiorten in den Alpen massiv zugesetzt, sondern der Welt noch einmal vor Augen gehalten, wie dringend der Kampf gegen den Klimawandel geführt werden muss. Auch in der alpinen Szene war das ein großes Thema. Die Sportler sorgen sich nicht nur um ihre Gesundheit auf den Pisten, sondern auch um ihre Existenz. "Extremwetter wird häufiger, das macht auch etwas mit den Pistenverhältnissen", beklagte Superstar Aleksander Aamodt Kilde zuletzt. Das ein oder andere Rennen sei "auf Biegen und Brechen durchgezogen" worden, "sodass die Sicherheit der Fahrer gefährdet war". Kilde selbst schont sich in Kitzbühel übrigens nicht. Der norwegische Speed-Dominator des Winters geht trotz eines kleinen Bruchs an der Hand an den Start.

Nun ist der Schnee da und legt sich wie ein kuscheliger Mantel über all die Sorgen. Voller Fokus aufs Spektakel. Voller Fokus auf die Geschichten, die dieses Rennen schon im Vorfeld schreibt. Zwei stechen besonders heraus. Der Abschied vom legendären Schweizer Kugelblitz Beat Feuz und die Rückkehr von DSV-Star Thomas Dreßen. "Mit dem Beat verlässt meiner Meinung nach einer der besten Abfahrer aller Zeiten die Bühne", betont der deutsche Topfahrer, der das Rennen im Jahr 2018 völlig überraschend gewonnen hatte und danach reichlich Probleme mit sich herumschleppte, gesundheitlich und mental.

"Beat war und ist nach wie vor ein extremes Vorbild für mich." Es sei "faszinierend", wie stark Feuz auch nach seinen Verletzungspausen zurückgekommen sei. "Das Level an Konstanz, das er gehabt hat, ist brutal", sagte Dreßen über den Eidgenossen, der in seiner Laufbahn jeweils drei Medaillen bei Olympischen Spielen und alpinen Weltmeisterschaften, bislang 16 Weltcup-Rennen und viermal die kleine Kristallkugel für den besten Abfahrer eines Winters gewonnen hat. Auf der legendären Streif in Kitzbühel triumphierte Feuz bisher dreimal.

Dreßen hat einen unglaublichen Spaß

Für Dreßen selbst ist die Rückkehr auf die Streif wie das Wiedersehen mit der ersten großen Liebe. Ihm jedenfalls ging gleich das Herz auf, als er am Dienstag die tatsächlich ja furchteinflößende Streif in Kitzbühel herunterfuhr - nicht am Limit, es war ja nur die erste Trainingsfahrt, aber: fürchterlich egal. "Ich kann mich kaum erinnern", sagte der erfolgreichste, allerdings in den vergangenen Jahren auch so leidgeplagte deutsche Abfahrer, "dass ich so einen Spaß hatte." Fünf Jahre ist es her, als Dreßen nahezu aus dem Nichts auf der herausfordernden "Streif" den ersten Weltcup-Sieg seiner Karriere feierte - es war ein Erweckungserlebnis.

Mehr zum Thema

Es folgten weitere Erfolge, verbunden mit der berechtigten Hoffnung auf eine große Karriere in der alpinen Königsdisziplin. Doch es kam anders. Schwere Verletzungen, Operationen - dieser Tage ist Dreßen erst mal froh und erleichtert, dass er mitteilen kann: "Das Gestell hält, ich fühle mich gut." Kitzbühel, das ist nicht irgendein Ort im Weltcup - für Dreßen gleich gar nicht. Seit seinem Sieg ist er auf der Streif nur noch im Januar 2020 gefahren, mitten in der ersten Comeback-Saison, die Ergebnisse waren damals bescheiden: 17. und 26. wurde er. Dreßen hat, begründet durch sein Können, grundsätzlich andere Ansprüche - doch er weiß auch, dass er sich derzeit damit zufriedengeben muss, überhaupt wieder Rennen fahren zu können.

Am Freitag geht er mit der Nummer zwei an den Start. Eröffnet wird das Rennen vom Amerikaner Travis Ganong. Was ihre Zeiten wert sein werden, das entscheidet sich erst später. Mit der sieben geht der Weltcupführende Marco Odermatt auf die Piste, er ist in der Abfahrt aber nicht der Topfavorit. So richtig knallen wird es zwischen den Nummern 13, Österreichs Hoffnung Vincent Kriechmayr, 14, Kilde und 15, Feuz. Die mächtigste, brutalste und legendärste Abfahrt der Welt bittet wieder zum Duell.

Quelle: ntv.de, tno

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen