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18 Stunden in der Nordsee Die unfassbare Reise des Extremschwimmers

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"Kann man da hinschwimmen?" Gemeint ist die einzige deutsche Hochseeinsel - und das Unterfangen halten viele Seeleute für unmöglich. Gerade deswegen reizt es Extremschwimmer André Wiersig. Er setzt seinen Plan um, er wagt und gewinnt. Der 49-Jährige ist nach mehr als 18 Stunden angekommen.

Der Held wankte, als er wieder festen Boden unter sich hatte. Als André Wiersig am Samstagabend, 18:16 Uhr, an der Helgoländer Düne anlandete und seine Frau in die Arme nahm, hatten ihn die Strapazen in der Nordsee gezeichnet: das Gesicht stark aufgedunsen, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, der ganze Körper aufgedunsen. Aber der 49-Jährige lachte und freute sich über die vielen Menschen am Strand. Ihn euphorisierten die rund 200 Menschen, die ihn erwartet hatten. "Ich hatte noch nie einen solchen Empfang", sagte Wiersig mit brüchiger Stimme. Das Salzwasser hatte seine Stimmbänder stark angegriffen.

Seine Frau empfängt den gezeichneten Extremschwimmer.

Seine Frau empfängt den gezeichneten Extremschwimmer.

(Foto: Erik Eggers)

Mit der Ankunft auf Helgoland brachte der Paderborner ein waghalsiges Unternehmen zu Ende, das viele Seeleute für utopisch gehalten hatten: Er war als erster Mensch vom Festland zur einzigen deutschen Hochseeinsel geschwommen. Exakt 48,53 Kilometer Luftlinie sind es von St. Peter-Ording (Nordfriesland), wo er kurz nach Mitternacht bei zehn Grad Außentemperatur gestartet war, nach Helgoland. Wiersig benötigte für diese Distanz 18 Stunden und 14 Minuten. Ans Aufgeben habe er nie gedacht, sagte er. "Es war eine tolle Erfahrung, die Nordsee dort draußen so hautnah zu erleben."

Wiersig hatte freilich auch Krisen durchlitten. In den ersten sieben Stunden nach dem Start um 00:02 Uhr war noch alles nach Plan verlaufen. Er war teilweise schneller als vier Kilometer pro Stunde geschwommen, die er unter Laborbedingungen über einen langen Zeitraum abspulen kann. Wie einkalkuliert, zog der Ebbstrom den Extremsportler so schnell auf die See, dass bei Sonnenaufgang schon fast die Hälfte der Strecke hinter ihm lag.

In der Nacht hatte ihn das Meeresleuchten auf offener See begeistert. Eine Zeit lang schwamm Wiersig durch ein helles Blau, das wie Feenstaub auf ihn wirkte. Und wenn er mit seinen Armschlägen Quallen berührte, veränderten die ihre Farben. "Wenn du die antouchst, leuchten die so grün auf. Das war so großartig."

"Nur 500 Meter pro Stunde"

Doch dann bremste die Strömung den Schwimmer stärker, als dies ein Experte prognostiziert hatte: Wiersig driftete weit nach Norden ab, und als er endlich wieder auf Kurs Helgoland lag, kam er kaum vorwärts. "Eine lange Zeit kam ich nur 500 Meter pro Stunde voran, das nervt natürlich stark, aber es lässt sich eben nicht ändern. Das muss man mental wegstecken", erklärte Wiersig.

Immer begleitet - aber auch auf dem Boot wird gelitten.

Immer begleitet - aber auch auf dem Boot wird gelitten.

(Foto: Dennis Daletzki)

Nun profitierte er von den vielen Erfahrungen, die er in den Ozeanen der Welt bereits gesammelt hatte: Im Kaiwi Channel vor Hawaii hatte ihn 2015 ebenfalls eine Strömung gefangen genommen, als er die Insel Oahu bereits nah vor sich sah. Damals benötigte er 18:26 Stunden für 55 Kilometer, die Luftlinie der Strecke betrug 42 Kilometer. "Es hilft nicht weiter, sich über so etwas aufzuregen oder zu hadern. Das Meer entscheidet am Ende, ob man ankommt oder nicht. Ich versuche einfach, diese Zeit in der See so intensiv wie möglich zu genießen", sagte Wiersig, der als einziger deutschsprachiger Schwimmer 2019 die Ocean's Seven komplettiert hatte, die größte Herausforderung im Freiwasserschwimmen.

Begleitet wurde Wiersig auf der See von einem Helgoländer Börteboot, auf dem sich zwei Kapitäne abwechselten. Auch ein Kameramann und ein Experte vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, der nach einer Stunde Fahrt stark seekrank wurde, waren an Bord. Zwei Kajaker eskortierten zudem den Schwimmer aus Paderborn ans Ziel.

"Kann man da hinschwimmen?"

Wiersig erholte sich am Abend von Strapazen, schon heute kann er sein gelungenes Unternehmen feiern. Der 49-Jährige hatte sich mit einem Trainingslager auf Mallorca und vielen Einheiten im Hallenbad auf das große Wagnis vorbereitet - einmal schwamm er 36 Kilometer im 50-Meter-Becken, einmal 21 Kilometer, um sich an die Belastung heranzustasten. "Viel wichtiger als der körperliche Aufbau ist aber die mentale Vorbereitung", sagt Wiersig. Viele Jahre schon hatte er das Helgoland-Abenteuer für sich als Ziel formuliert. "Kann man da hinschwimmen? Diese Frage zu beantworten hat mich einfach gereizt", sagt er.

Es geht Wiersig immer auch um die Umwelt.

Es geht Wiersig immer auch um die Umwelt.

(Foto: Dennis Daletzki)

Es gehe ihm gut, sagte er am Tag nach der Ankunft. "Auch wenn es komisch klingt: Ich habe nach solchen Distanzen nie Muskelkater. Wahrscheinlich sagt der Körper: Das hat bei dem ohnehin keinen Zweck mehr", sagte er und lachte. Am morgigen Montag wird er sich in das Goldene Buch Helgolands eintragen.

Danach werde er sich wieder auf seine Mission als Meeres-Botschafter konzentrieren, kündigte er an. Seine Schwimmaktionen begreift er stets auch als umweltpolitischen Akt. Beim Schwimmen nach Helgoland fungierte Wiersig als Botschafter der eben ausgerufenen "Ocean Decade" der UNESCO. "Das ist eine Aktion, die die nachhaltige Forschung zum Schutz der Ozeane im Blick hat", erklärt Wiersig. "Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, wie schön das Meer ist - es ist so viel mehr als nur eine Kulisse für Hotels und Kreuzfahrtschiffe", fordert er in seinem Buch "Nachts allein im Ozean", in dem er 2019 seine Erfahrungen als Ocean's Seven-Schwimmer verarbeitete. "Nach den vielen Stunden, die ich im Ozean verbracht habe, maße ich mir an für den Ozean sprechen zu können."

Quelle: ntv.de

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