Athleten fühlen sich gedemütigt Dopingverdächtige Rekorde wackeln
02.05.2017, 18:07 Uhr
Paula Radcliffe muss um ihren Fabel-Weltrekord im Marathon fürchten. Sie sieht ihren Ruf beschädigt.
Die Leichtathletik steht vor einer Revolution: Im Kampf gegen Doping könnten verdächtige Rekorde bald gestrichen werden. Zudem sollen strengere Regeln in Kraft treten. Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe fühlt sich zu unrecht beschuldigt.
Es wäre eine Sensation und eine Revolution im Kampf gegen Doping: Der Europäische Leichtathletik-Verband EAA will dopingverdächtige Rekorde löschen. Damit folgt der Verband den Empfehlungen eines Projektteams zur Umsetzung neuer Regeln zur Rekordanerkennung. Die Empfehlungen werden noch auf ihre juristische Durchsetzbarkeit geprüft und sollen auch dem Weltverband IAAF vorgelegt werden.
"Was wir vorschlagen, ist revolutionär. Nicht nur, weil die meisten Europa- und Weltrekorde erneuert werden müssen", sagte EAA-Präsident Svein Arne Hansen im Anschluss der dreitägigen Council-Sitzung in Paris, "sondern weil wir das Konzept eines Rekordes ändern und die Standards für die Anerkennung erhöhen wollen."
Die neuen Regeln sollen dann auch rückwirkend gelten. Betroffen wären zahlreiche Athleten, auch aus Deutschland. Denn zu den womöglich zu löschenden Rekorden könnte auch der fragwürdige Weltrekord von Marita Koch (DDR/47,60 Sekunden/1985) über 400 Meter zählen. Auch der von Jarmila Kratochvilova (CSSR/1:53,28 Minuten/1983) über 800 Meter ist dann nicht mehr in Stein gemeißelt. Unsicher ist zudem, ob die Briten Paula Radcliffe (Marathon) und Jonathan Edwards (Dreisprung) oder der Däne Wilson Kipketer (800 Meter) ihre Bestmarken behalten dürften. Ähnliche Vorstöße zur Löschung von Bestmarken waren bisher fast immer gescheitert.
Die Athleten selbst sind natürlich nicht begeistert - wähnen sie sich doch verurteilt, obwohl ihnen nie etwas nachgewiesen wurde. Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe etwa tobt: "Ich bin verletzt und fühle meinen Ruf und meine Glaubwürdigkeit beschädigt." Und weiter: "Ich habe extrem hart für meine Rekorde gearbeitet. Ich bin stolz auf sie." Ähnlich kommentiert es Kipketer bei Twitter: "Es ist eine Schande. Unfair und beleidigend."
IAAF-Präsident hofft auf mehr Glaubwürdigkeit
Ein siebenköpfiges Gremium unter Vorsitz des Iren Pierce O'Callaghan hatte die Glaubwürdigkeit dopingverdächtiger Bestmarken untersucht. Das Projektteam, dem auch Clemens Prokop als Präsident des deutschen Verbandes DLV angehört, empfahl neben erhöhten technischen Standards und Dopingkontrollmaßnahmen auch, dass Athleten nach Anerkennung eines Rekordes verpflichtet sind, ihre sportliche Integrität aufrechtzuerhalten. Im Falle einer Sanktionierung aufgrund eines schwerwiegenden Regelverstoßes (z.B. wegen eines späteren Dopingvergehens) soll die Anerkennung der Rekorde entzogen werden, selbst wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Regelverstoß die Rekordleistung beeinflusst hat.
Die Empfehlungen werden auch bei der Council-Sitzung des Weltverbandes im August vorgelegt. "Ich werde anregen, die Pläne zu übernehmen" sagte Hansen. IAAF-Präsident Sebastian Coe kommentierte: "Mir gefällt das, weil es unterstreicht, dass wir Doping-Kontrollsysteme und Technologien eingeführt haben, die robuster und sicherer sind als vor 15 oder sogar zehn Jahren." Um die Pläne auf die Weltrekorde und die IAAF zu übertragen, müssten aber alle Kontinentalverbände weltweit zustimmen. "Es wird Athleten geben, aktuelle Rekordhalter, die das Gefühl haben werden, dass die Geschichte, die wir neu kalibrieren, etwas von ihnen nimmt", sagte Coe, "ich denke aber, es ist ein Schritt in die richtige Richtung, und wenn es richtig organisiert und strukturiert ist, haben wir eine gute Chance, Glaubwürdigkeit zu gewinnen."
Quelle: ntv.de, ara/sid